Die Sonne ist gerade erst ganz aufgegangen hinter den Hügeln der Insel, aber die Frauen stehen schon auf der Straße, dort wo die Hotels und Ferienressorts liegen. Sie tragen Trillerpfeifen und Plakate, auf denen steht: "Es ist Zeit, für unsere Rechte zu kämpfen." Eigentlich müsste Milagros Carreño, 54, jetzt Zimmer putzen. Stattdessen marschiert sie mit rund 30 Kolleginnen voran und ruft: "Schluss mit der Ausbeutung".
Milagros Carreño lebt auf Ibiza und ist "Camarera de piso", was sich im Deutschen wohl am ehesten mit dem Wort "Zimmermädchen" übersetzen lässt. Die Bezeichnung ist eigentlich irreführend, schließlich gibt es auch einige Männer, die den Job machen. Und viele derjenigen, die an diesem Morgen protestieren, sind keine jungen Mädchen, sondern gestandene Frauen: So wie Carreño, die zwei erwachsene Kinder hat.
"Unsere Arbeit ist ein Knochenjob", sagt sie. Schlechte Löhne, unbezahlte Überstunden und dazu ein Tagesablauf, der früher oder später krank macht: "Viele von uns müssen 30 Zimmer am Tag sauber machen. Wenn es schnell gehen muss, haben wir nur 15 Minuten pro Zimmer." In dieser Zeit müsse sie die Böden wischen, die Betten machen, das Bad reinigen, die Handtücher wechseln.
Um auf die schlechten Arbeitsbedingungen aufmerksam zu machen, hat Carreño an diesem Wochenende zum Streik aufgerufen. Sie ist Sprecherin von "Las Kellys", einer Interessenvertretung der Zimmermädchen in Spanien. Auf den Inseln Ibiza und Formentera sollen die Reinigungskräfte der Hotels 48 Stunden lang die Arbeit niederlegen - mitten in der Hochsaison.
Gestreikt wird nicht überall
Einige sind dem Aufruf gefolgt. Im Hotel Palace Ibiza herrscht an diesem Vormittag Chaos. Von 40 Zimmermädchen, die für das 4-Sterne Ressort und dessen Partnerhotel arbeiten, seien nur 12 zur Arbeit erschienen, sagt die Rezeptionistin am Empfang. Im Flur des zweiten Stocks kann man davon schon erste Spuren sehen: Auf dem Teppich klebt Dreck, Sand und Erde, hier hat ganz offensichtlich morgens niemand gesaugt. Eine Frau mit Putzwagen eilt vorbei, sie gehört zu den wenigen Zimmermädchen, die heute gekommen sind. "Jetzt muss ich die Arbeit der anderen mitmachen", sagt sie, zuckt die Achseln und huscht schnell ins nächste Zimmer.
Im Hotel Ibiza Playa wird hingegen wie gewohnt geputzt: Am Mittag sind die Betten frisch gemacht, neue Handtücher hängen im Bad. "Ich streike nicht", sagt Loli, eines der Zimmermädchen im Haus. "Ich werde ja pro Tag bezahlt, da kann ich es mir nicht leisten, ein ganzes Wochenende nicht zur Arbeit zu erscheinen."
Tatsächlich läuft in den meisten Hotels der normale Betrieb. Manche haben von dem Aufruf der Interessenvertretung gar nichts mitbekommen. Andere haben Angst, ihren Job zu verlieren, meint Carreño. Sie weiß nicht, wie viele ihrer Kolleginnen dem Aufruf der "Kellys" gefolgt sind. "Gerade die Jüngeren trauen sich nicht, für ihre Rechte aufzustehen".
Die Schattenseite der Liberalisierung
Der Druck, der auf den Reinigungskräften lastet, ist groß: Viele sind nur für die Sommermonate angestellt, wer Pech hat, bekommt im nächsten Jahr keinen neuen Vertrag. Dabei boomt der Tourismus in Spanien: 83 Millionen Besucher kamen im vergangenen Jahr. Das Land zählt zu den beliebtesten Reisezielen der Welt.
Doch nicht alle profitieren davon. Für die etwa 20.000 Zimmermädchen in Spanien sind die Sommermonate hart. "Wir sehen den ganzen Luxus um uns herum, aber leben selbst sehr prekär", sagt Carreño. Für ihre Vollzeitstelle verdient sie 1300 Euro netto - das sei sehr wenig auf einer Urlaubsinsel wie Ibiza, wo die Preise für Touristen gemacht sind.
Dabei fordern die "Kellys" in erster Linie gar keine bessere Bezahlung, sondern vor allem humanere Arbeitsbedingungen. "Der Zeitdruck, unter dem wir arbeiten, ist einfach zu hoch", sagt Carreño. "Die Hoteliers müssen mehr Personal einstellen, damit wir genügend Zeit haben, die Zimmer zu putzen." Manchmal bliebe an einem 8-Stunden Tag nicht mal Zeit, um auf Toilette zu gehen.
Verschlechtert hat sich die Situation wohl vor allem mit der Liberalisierung des Arbeitsmarktes im Jahr 2012. Damals versuchte die konservative Regierung des damaligen Premierministers Mariano Rajoy, das Land durch Reformen aus der Krise zu holen. Unternehmen wurde es leichter gemacht, festangestellte Mitarbeiter zu entlassen und andere kurzzeitig über Zeitarbeitsverträge einzustellen. Die Arbeitslosigkeit ist in Spanien inzwischen stark gesunken, die Wirtschaft hat sich weitgehend erholt. Doch die Schattenseite sind Millionen von prekären Jobs - so wie die der Zimmermädchen.
Die Folgen des Knochenjobs: Chronische Beschwerden
Carreño macht ihre Arbeit seit 30 Jahren. Früher habe ihr der Zimmerservice Spaß gemacht, sagt sie. "Man hatte Zeit, sich mit den Gästen zu unterhalten, zwischendurch mal mit den anderen Zimmermädchen zu quatschen." Heute könne sie oft nicht mal eine halbe Stunde Mittagspause machen.
Ein Problem seien auch unangenehme Gäste. "Viele Touristen lassen hier die Sau raus", erzählt Carreño. "Wenn sie betrunken sind, machen sie den Fernseher kaputt oder zerschlagen Gläser." Von der Arbeit habe sie oft Rückenschmerzen durch das Heben schwerer Möbeln und das ständige Bücken beim Putzen."Wenn ich abends nach Hause komme, falle ich aufs Sofa und kann manchmal gar nicht mehr aufstehen."
Auch der hektische, ungesunde Arbeitsrhythmus führe dazu, dass viele Zimmermädchen irgendwann chronische Beschwerden entwickelten: "Viele von uns müssen Schmerztabletten nehmen, um das auszuhalten", sagt Carreño. Die Zimmermädchen fordern deshalb, dass das Rentenalter von 67 auf 60 Jahre gesenkt wird. "Niemand der unseren Job macht, kann mit über 60 noch so arbeiten", sagt Carreño. Sie macht sich Sorgen, dass ihr Körper die Strapazen in ein paar Jahren nicht mehr mitmacht.
Gerade die großen Ketten sparen am Personal
Der Chef der Personalabteilung im Hotel Ibiza Playa kann den Unmut von Frauen wie Carreño verstehen. "Es gibt Hotels, die behandeln ihre Bediensteten sehr schlecht", sagt er. "Die stellen viel zu wenig Leute ein, um Geld zu sparen." Doch nicht alle Hotels seien gleich. Es seien eher die großen Ketten, die ihre Mitarbeiter weniger gut behandelten.
Zu einer großen Hotelkette gehört auch das Alua Miami Ibiza. Offenbar hat man in dem Ressort damit gerechnet, dass ein Großteil der Bediensteten streikt. Im Aufzug hängt ein Zettel, auf dem steht, dass am Wochenende die Zimmer nicht gereinigt werden.
Das Ehepaar Kohl aus Frankfurt, das gerade in dem Hotel Urlaub macht, hat dafür Verständnis. "Wer zu wenig verdient, muss streiken", sagt Hannelore Kohl. "Man kann es als Gast schon mal verkraften, wenn das Zimmer nicht geputzt wird", sagt ihr Mann. "Der Streik muss ja auch was bringen."
Der Chef in dem Hotel ist für eine Stellungnahme nicht zu sprechen, er sei den ganzen Tag beschäftigt - wegen den Streiks, heißt es an der Rezeption. Ähnlich sieht es im Palace Ibiza aus. "Wir haben vier Manager für unsere zwei Hotels, die können wir alle seit Stunden nicht erreichen", sagt die Rezeptionistin. "Die sind nämlich irgendwo in den Hotels - Zimmer putzen."