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Mit Gefühl dagegen

In der Kolumne „Heute ist leider schlecht: Gegen Gefühle“ polemisiert Ronja von Rönne für die Vernunft und gegen Gefühle, die seien schließlich schuld an der AfD im Bundestag. Der Artikel hat bei unserer Redakteur_in Louka ein ganz ungutes Gefühl in der Magengegend ausgelöst.


Manchmal wird mir schlecht, wenn ich mich so durchs Internet klicke. Häufig ist das ein Zeichen dafür, dass ich etwas gelesen habe, was mich richtig aufregt. Dieses Gefühl kommt manchmal, bevor ich weiß, warum mich ein Artikel wütend macht. Quasi wie der Spider Sense von Spider-Man: verkörperte Information.

Ich habe dann nicht gleich die passende Gegenargumentation im Kopf, aber dieses Gefühl, dass mich was stört. Bevor ich jetzt also einen Artikel darüber schreibe und die Welt daran Anteil haben lasse, was in meinem Bauch los ist, sollte ich wohl besser erst mal nachdenken. Was ich in der Öffentlichkeit von mir gebe, sollte kein gefühliges Beklagen sein, sondern Hand und Fuß haben. Oder?

Gefühle sind Voraussetzung dafür, dass wir unseren Verstand überhaupt benutzen können.

Schon Platon trennte das Emotionale, Häusliche vom Öffentlichen, Rationalen. Von Aristoteles bis zur Aufklärung wurden Gefühle vernachlässigt. Für die liberale Demokratie sind Gefühle in der Politik gefährlich, im Neoliberalismus werden Gefühle allenfalls zur Disziplinierung genutzt und dafür strategisch in Wert gesetzt. Gefühle gehören immer noch eher in die eigenen vier Wände, vernünftige Argumente in die Öffentlichkeit - seit Platon wenig geändert. Dabei können Körper und Geist, Gefühl und Vernunft gar nicht getrennt werden.

Unsere Gefühle sind keine interessanten Tierchen, die ab und an mal vorbeischauen. Sie sind Voraussetzung für gute Argumente, Voraussetzung dafür, dass wir unseren Verstand überhaupt benutzen können. Das ist jetzt nicht nur so ein gut feeling von mir, die Neurobiologie der letzten 20 Jahre sagt klar: Entscheidungen sind immer auch Gefühlsentscheidungen. Sich des eigenen Verstandes zu bedienen heißt ja nicht, Gefühle zu vergessen!

Gefühle sind nicht einfach da, bäm, hier bin ich und an mir gibt's nichts zu rütteln. Manche Gefühle nehmen wir mehr wahr als andere, scheinen uns angebrachter, verständlicher; andere unterdrücken wir, denn, Überraschung: Gefühle werden auch kulturell konstruiert und interpretiert. Erst durch Emotionen sind wir dazu in der Lage, die Welt in ihrer Komplexität zu verstehen und in ihr zu handeln. Manches erscheint uns wichtiger als anderes, es bekommt unsere Aufmerksamkeit. Rationalität und Emotionalität hängen zusammen. Ohne Gefühle keine schlauen Entscheidungen.

Die viel zu oft gelobte Aufklärung schrieb Frauen eine emotionale Natur zu und erhob den weißen Mann mit kühlem Kopf zum bürgerlich-liberalen Ideal.

Die Trennung von Gefühlen und Politik ist die Grundlage patriarchaler Herrschaft: Wir lernen, Gefühle von Rationalität und Privates von Politik zu trennen - und legen so fest, was besser ist und mehr Macht in unserer Gesellschaft haben soll. Die viel zu oft gelobte Aufklärung schrieb Frauen eine emotionale Natur zu und erhob den weißen Mann mit kühlem Kopf zum bürgerlich-liberalen Ideal. Das Rationale, Durchdachte und Sachbezogene soll regieren, das Emotionale, Empfindsame und die Wut heben wir uns für das nächste Rockkonzert auf.

Heute erleben wir eine neoliberale Rationalisierung der Politik. All diejenigen, die als besonders emotional gelten, werden in diesem nur noch regulierendem Verständnis von Politik nicht ernst genommen und von politischer Partizipation ausgeschlossen.

Manche Argumente sind gerade mehr wert als andere, und das liegt nicht nur am vorgebrachten Inhalt. Es liegt auch daran, wie sehr das Vorgebrachte an den aktuellen Machtverhältnissen und verbreiteten Meinungen kratzt. Manches wollen wir einfach nicht sehen und nicht hören, weil wir uns dafür selbst hinterfragen müssten und unsere Privilegien kritisch betrachten müssten. Das ist anstrengend.

In unserem aktuellen politischen System gewinnt anstatt des besseren Arguments oft die einfachste Lösung. Es hilft außerdem, weiß und männlich zu sein, einen Doktortitel zu haben und einen Anzug zu tragen. Wer stempelt die Gefühlsäußerungen anderer als Überempfindlichkeiten, als hysterisch oder Furore ab? Wer entscheidet, was angemessen, was sachlich und vernünftig ist, wie viel Gefühl in Sinne der Rhetorik gerade noch okay ist und ab wann mensch sich als Diskussionsteilnehmer selbst disqualifiziert? Was gilt als Wissen und was als Meinung?

Die Gefühle weißer, deutscher Bürger sind der Politik viel wert und es gibt ziemlich viele Menschen, deren Gefühle wenig wert sind. Wer damit ein Problem hat, soll sich nicht aufregen, sondern darf auf breitgetretenen Pfaden seine Gegenargumente hervorbringen - zu viel Engagement schadet am Ende noch der Stabilität des Staates! Wer mit Leidenschaft und sogar persönlicher Betroffenheit für eine Sache kämpft, der ist nicht zu trauen. Wutbürger sind ja vor lauter Empörung blind für sachliche Argumente!

Mir fehlt deswegen das Vertrauen ins System - ist aber auch nur so ein Gefühl.

Wir lernen, bestimmte Gefühle wie Gier und Habsucht wertzuschätzen, nennen sie aber Interessen, das klingt besser.

Bestimmte Gefühle wie Angst werden hervorgerufen und politisch instrumentalisiert, andere als lächerlich abgetan. Wenn Mitgefühl zielgerichtet betäubt wird, können wir die Bilder aus Kriegsregionen beim Abendessen ansehen, ohne dass uns die Butterstulle im Hals stecken bleibt. Und uns danach auf unsere sogenannte Angst vor dem Fremden berufen. Die eigentlich keine Angst ist, sondern Ablehnung und Bequemlichkeit. Oder blanker Hass, wenn der Bus vorfährt mit denen, die dem Krieg aus dem Fernsehen entflohen sind. Wenn eine gut gebildete, rechtskonservative obere Mittelschicht die eigenen Privilegien erhalten und ausbauen will, können mit polemisch geschürten Ängsten ganze Massen in Bewegung gesetzt werden.

Die Frage ist aber nicht, ob Gefühle etwas in der Politik verloren haben, sondern unter welchen politischen und ökonomischen Bedingungen sie auftreten, wie wir sie verstehen und einordnen, und welche Schlüsse wir daraus ziehen. Wenn Pegida-Läufer wirklich Angst vor Geflüchteten hätten, würden sie dann ihre Nähe suchen und sie bedrängen?

Neoliberalismus basiert auf Angst. Angst zu versagen, abgehängt zu werden, schlechter wegzukommen als andere. Solidarität ist das einzige Gegenmittel. Wir lernen, bestimmte Gefühle wie Gier und Habsucht wertzuschätzen, sie ernst zu nehmen und mit ihnen Politik zu machen. Wir nennen diese Gefühle dann Interessen, das klingt besser. Gefühle sollen uns wenn, dann dabei helfen, Unternehmer unserer selbst zu sein: Aus Angst schließen wir eine private Altersvorsorge ab - denn das ist ja vernünftig - anstatt aus Wut gegen die Privatisierung von ehemals sozialstaatlichen Leistungen zu demonstrieren.

Die Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe sieht in diesem gefühlsfeindlichen Politikverständnis einen Grund für den Aufstieg rechtspopulistischer Parteien in Europa: Die moralisierende Polarisierung zwischen dem Wir und den Anderen zieht mehr Leute als ein unemotionales, konsensorientiertes Abwägen der Optionen.

Gefühle sollen Argumente nicht ersetzen, sie sollen sie mitgestalten.

Für Politik sind aber mehr Gefühle wichtig als Angst und Unsicherheit, sie darf Gesellschaft nicht nur regulieren wollen. In einer Welt, in der die Wahrheit umstritten ist, haben Gefühle einen leicht authentifizierenden Charakter, im Großen und Ganzen aber einen schlechten Stand. Doch mein moralischer Kompass funktioniert nur mit Gefühl. Unsere Gesellschaft ist geprägt von Ungerechtigkeit - da können Betroffenheit und Verletzlichkeit, Mitgefühl und Leidenschaft emanzipieren. Sie können eigene Unterdrückungserfahrungen bewusst machen oder die anderer greifbarer #metoo. Sie sind die Grundlage für politisches Handeln.

Politik kann und darf Gefühle nicht ausschließen. Gefühle sollen Argumente nicht ersetzen, sie sollen sie mitgestalten. Gefühle können instrumentalisiert werden, sie können zerstörerisch sein oder Zugehörigkeit schaffen und politische Kämpfe mobilisieren.

Die Labradorkrawatte sitzt im Bundestag, weil ihre Identitätspolitik in einer immer gespalteneren Gesellschaft so erfolgreich war - und nicht, weil Gauland so gefühlvoll ist, viel Charme versprüht und mitreißende Reden hält. Wir dürfen nicht weiter so tun, als seien Gefühle schlechte Ratgeber und versuchen, sie in das Private zu verbannen und als Befindlichkeiten abtun. Gefühle abzuwerten festigt das Patriarchat und schafft Ausschlüsse, die am Ende der AfD in die Hände spielen. Wenn wir im Angesicht von Ungerechtigkeit nicht wütend werden, wenn uns Grausamkeit nicht berührt und wir uns nicht in Solidarität üben, dann können wir bei Parlamentsdebatten in ein paar Jahren einem ganzen Labradorrudel dabei zusehen, wie es Hass und Ängste für die eigenen Interessen mobilisiert.



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