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Der Wert eines brutalen Abends

„Das war brutal. Ich finde gerade kein anderes Wort dafür", sagte Marvin Plattenhardt am späten Mittwochabend in den Katakomben des Berliner Olympiastadions. Der Linksverteidiger von Hertha BSC stand sinnbildlich für den Zustand der Mannschaft nach den extrem spektakulären 120 Minuten samt der Entscheidung im Elfmeterschießen gegen Dynamo Dresden, das die Berliner schließlich ins Achtelfinale des DFB-Pokals führte: Extrem erschöpft, aber auch erleichtert und glücklich.

„Wir müssen uns jetzt gut regenerieren. Wir sind gerade körperlich alle tot", sagte Plattenhardt. Der starke Dresdner Torwart Kevin Broll huschte durch die Mixed Zone und lehnte die Interviewanfrage dreier Reporter aus Dresden mit den Worten ab: „Sorry, ich muss kotzen." Sein blasses Gesicht legte nahe, dass es sich dabei um keine Ausrede handelte.

„Es war wirklich verrückt"

Es war eines dieser Spiele, dass die Mannschaften und auch die Zuschauer an ihre Grenzen brachte. „Das war atemberaubend", sagte Plattenhardt zum Geschehen auf den Rängen. Dodi Lukebakio gab an, noch nie vor so einer Kulisse gespielt zu haben: „Es war wirklich verrückt."

Beide Fangruppen unterstützten ihre Vereine mehr als zwei Stunden lang leidenschaftlich, die mehr als 30.000 Dresdner zündeten dabei allerlei Pyrotechnik und Feuerwerk.

Auf dem Rasen war es dramatisch: Hertha ließ zahlreiche Großchancen liegen, drehte einen Rückstand und musste wegen eines verwandelten Elfmeters in der Nachspielzeit durch den langjährigen Herthaner Patrick Ebert doch in die Verlängerung. In letzter Minute machten die Berliner in Person von Jordan Torunarigha den kurz vorher kassierten Rückstand wett, bevor sie im Elfmeterschießen das bessere Ende für sich hatten.

Thomas Kraft parierte gleich zwei Strafstöße. „Ich habe nach dem Spiel zu ihm gesagt, dass es nicht hätte sein müssen, dass er sich zum Mann des Spiels machen wollte", witzelte Marius Wolf bezüglich Krafts Patzer beim 2:3 der Dresdner. Es war ein Abend, der an die Substanz ging, mental wie körperlich.

Ist denn schon Pokalfinale? Diesen Eindruck konnte man ob der Masse der Dresdner Fans leicht bekommen. Foto: REUTERS

„Dass wir weniger Pause haben als Union, darf keine Ausrede sein", sagte Dodi Lukebakio kurz vor Mitternacht, als er bereits auf das anstehende Bundesliga-Duell mit dem Lokalrivalen am Samstag in Köpenick blickte. Der Belgier verletzte sich bei seinem Treffer zum 1:1 leicht an der Hüfte, für das Derby gegen den 1. FC Union sei das aber „kein Problem". Auch Marius Wolf bemühte sich darum, die Strapazen des Pokalabends nicht für das Spiel in Köpenick geltend zu machen: „So ein Sieg kann beflügeln und auch ein Vorteil für uns sein. In drei Tagen werden wir wieder so fit sein, dass wir bei Union alles geben können."

Im Fußball können sich binnen Sekunden die Dynamiken verändern und die Vorzeichen drehen. Wäre Hertha gegen die tapferen, ab der zweiten Halbzeit fußballerisch aber limitierten Dresdner ausgeschieden, es wäre der klassische Fehlstart in eine der wichtigsten Wochen des Jahres gewesen. So aber geht Hertha durchaus mit einer gewissen Euphorie in das Derby, im Wissen, dass die Mannschaft sich gemeinsam und erfolgreich gegen große Widerstände stemmen kann.

Das Spiel diente auch als Generalprobe für das Derby

Dodi Lukebakio wollte sich angesprochen auf die Versäumnisse der Blau-Weißen gegen Dresden dementsprechend auch nicht zu lange mit einer tiefgehenden Fehleranalyse beschäftigen: „Wir müssen jetzt nicht über Probleme reden. Wir sollten positiv bleiben. Wir haben dieses Spiel noch gewonnen, das zählt. Ich bin sehr stolz auf die Mannschaft." Marvin Plattenhardt sagte: „Dieser Sieg zeugt von großem Willen und großer Stärke."

Dass Hertha vor dem Tor die Cleverness fehlte und die Mannschaft in der Verlängerung kaum noch spielerische Mittel gegen tiefstehende Dresdner gefunden wurden, darum ging es nicht mehr. Die Größe des Sieges und die Dramatik des Spiels überflügelten das. „Ich habe nach dem 2:3 in die Augen meiner Spieler geguckt. In denen habe ich immer noch den Glauben und den Willen gesehen", sagte Trainer Ante Covic.

In gewisser Weise diente das Spiel gegen Dynamo so als Generalprobe für das Derby. Auch am Samstag wird Hertha auf einen kämpferisch starken und kompakten Gegner treffen. Erneut wird die Atmosphäre dabei eine besondere sein, zum ersten Mal treffen beide Teams in der Bundesliga aufeinander.

„Es wäre geil, wenn man ein Spiel wie heute jede Woche hätte. Jetzt haben wir am Samstag das nächste, wo es genauso ablaufen wird", sagte Marius Wolf. Von der Ostkurve sei die Mannschaft nach dem Spielende noch einmal motiviert worden, am Freitag wird die aktive Fanszene dem Abschlusstraining beiwohnen und dort für die nächste spektakuläre Kulisse sorgen. Gut möglich also, dass Marvin Plattenhardts Beschreibung des Pokal-Krimis gegen Dresden auch am Ende der Woche noch einmal ihre Gültigkeit haben wird.

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