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Zum Tod des algerischen Philosophen Mohammed Arkoun: Kritiker der islamischen Vernunft

Der algerische Philosoph und Islamwissenschaftler Mohammed Arkoun starb am vergangenen Dienstag im Alter von 82 Jahren. In seinen Büchern setzte er sich für eine schonungslose Auseinandersetzung mit den autoritativen Schriften des Islam ein. Eine Würdigung von Loay Mudhoon


Seit jeher hat es Versuche gegeben, den religiösen Diskurs im Islam zu erneuern. Schließlich appelliert der Koran mit aller Macht an das menschliche Erkenntnisstreben.


Doch nur wenige islamische Intellektuelle und Reformdenker haben einen genuin neuen, wissenschaftliche Zugang geschaffen. Zu ihnen gehörte der 1928 in einem Berberdorf geborene algerische Philosoph und Islamwissenschaftler Mohammed Arkoun. Fast dreißig Jahre lehrte er als Professor für muslimische Ideengeschichte an der Pariser Sorbonne.


In zahlreichen Büchern und Vorträgen setzte er sich für eine schonungslose Auseinandersetzung mit den autoritativen Schriften des Islam ein - und für einen interdisziplinären Denkansatz. Hervorzuheben ist insbesondere sein Hauptwerk „Pour une critique de la raison islamique" (Für eine Kritik der islamischen Vernunft), das Erbe des großen Ibn Ruschd bis in die Postmoderne trägt. In deutscher Sprache sind unter dem Titel „Islam - Annäherungen an eine Religion" im Heidelberger Palmyra Verlag 1999 nur seine „Ouvertures sur l'Islam" erschienen.


Im makropolitischen Kontext forderte Arkoun, der 1999 in Paris das „Institut d'Études des Sociétés Musulmanes" gründete, eine fundamentale Kritik zentraler Begriffe, sogenannter theologischer „Konstanten" , die von orthodoxen islamischen Gelehrten als sakrosankt verteidigt werden, wie „das Wesen des Korans", „Essenz des Islam" oder „Säulen des Glaubens".


Arkouns wissenschaftliches Engagement erschöpfte sich jedoch nicht darin, die islamische „Tradition" zu hinterfragen; vielmehr wollte er den Islam schlechthin neu denken, um die „intellektuelle Starre" zu überwinden, die er für die politisch-gesellschaftliche Misere verantwortlich machte. Er strebte eine „radikale Re-Konstruktion von Geist und Gesellschaft in der zeitgenössischen islamischen Welt" an. Dabei plädierte Arkoun für Perspektivwechsel und Bedeutungsvielfalt statt Einfalt und Dogmatismus.


Dem kulturellen Grenzgänger und scharfsinnigen Intellektuellen war vor allem die „andauernde Politisierung des Islam und Reduzierung seiner Botschaft auf Fragen des Rechts und der Macht " ein Dorn im Auge. „Wer heute behauptet, im Islam kann es keine Trennung zwischen der Weltlichen und der Geistlichen Sphären geben, schildert zwar den Status quo in meisten islamischen Ländern, verkennt jedoch, dass dieser auf der verhängnisvollen Geiselnahme der Religion durch die Politik beruht".


Der „Kritiker der islamischen Vernunft" war ein Humanist, der für eine vorurteilsfreie Wissenschaft vom Orient und seinen „islamischen Kulturen und Gesellschaften" plädierte und deshalb dafür kämpfte, dass Islamstudien nicht nur im Bereich der Orientalistik betrieben werden sollten. Mohammed Arkoun starb am vergangenen Dienstag im Alter von 82 Jahren in Paris.


@Der Tagesspiegel 2010


Dieser Beitrag wurde zuerst am 21.09.2010 in der Zeitung Der Tagesspiegel veröffentlicht.





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