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Das interkulturelle Sofa

Drei für ein Sofa - und viele, schöne Geschichten: Mattes Gertzen, der für den Transport zuständig ist, Annette Wagner, die Initiatorin, und Lars Dierking, Stifter des roten Vorlese-Sofas. (Frank Thomas Koch)

Ein Stoff in sattem Rot überzieht das Sofa. Auf der einen Seite steht eine alte Stehlampe, auf der anderen eine dunkle Holzkiste – gefüllt mit Büchern aus der Kindheit.

Davor liegen 50 Sitzkissen auf dem Boden verteilt. Eine Szene, die 14 Tage lang an verschiedenen Orten in Bremen zu sehen sein wird - wenn das „reisende Vorlese-Sofa" durch die Stadtteile zieht.

Bremerinnen und Bremer aus verschiedenen Ländern lesen ihre Lieblingsbücher vor. In ihrer Muttersprache und auf Deutsch, umsonst und draußen - das ist die Idee des reisenden Sofas. Ein Begegnungsformat für Kinder zwischen sechs und zehn Jahren - und für alle, die Geschichten lieben. 15 Stationen in 14 Tagen fährt das rote Sofa an. Beginn ist am kommenden Montag, 29. August, um 16 Uhr in den Wallanlagen gegenüber der Zentralbibliothek.

Organisatorin des Projektes ist die Bremer Journalistin Annette Wagner. „Ich habe Flüchtlingskindern in den Notunterkünften vorgelesen und gemerkt, wie wichtig es ist, dass sie zur Ruhe kommen", erzählt Wagner. „Vorlesen stiftet Geborgenheit und Gemeinschaft." Mit den Geschichten unserer Kindheit sind wir gut aufgehoben gewesen - so lautet das Grundprinzip des Projektes. Aber warum solle immer nur sie vorlesen, hat sich die 52-Jährige gefragt, schließlich könnten Flüchtlinge ja auch selber lesen. „Im November habe ich einen kleinen Jungen dazu motiviert, die Bremer Stadtmusikanten in der Stadtbibliothek auf Arabisch vorzulesen (der WESER-KURIER berichtete)." Mit dem reisenden Vorlese-Sofa geht Annette Wagner nun einen Schritt weiter.

Von der Innenstadt nach Gröpelingen, über Arbergen und die Vahr bis nach Lesum - das sind die ersten Stationen des Vorlese-Sofas. Jeden Nachmittag gastiert das interkulturelle Sofa in einem anderen Stadtteil. Es findet Platz vor Bibliotheken, Kultur- und Bürgerzentren oder auf öffentlichen Plätzen. Immer in der Nähe sind Einrichtungen für Flüchtlinge.

Die Schutzplane und der Anhänger für das Sofa sind für die Reise quer durch Bremen individuell angefertigt worden, denn transportiert wird das Sitzmöbel auf besondere Weise: per Fahrradkurier. „Die Leute sollen sich fragen, warum ein Sofa durch die Straßen rollt", erklärt Annette Wagner. „Die Stadt soll das Projekt mitbekommen." Über 50 Leute sind mittlerweile in die Vorbereitung und Ausgestaltung des reisenden Vorlese-Sofas involviert - dazu gehören Mattes Gertzen vom „Fahrrad Express", der für den Transport zuständig ist, sowie Lars und Horst Dierking, Geschäftsführer der Möbelhäuser „Hay" und „Popo". Sie stellen das rote Sofa zur Verfügung, das extra in Dänemark bestellt worden ist. Es sind Freunde, Bekannte, Leute aus der Nachbarschaft oder Freunde von Freunden, die Annette Wagner in ihrem Vorhaben unterstützen. „Anfangs war ich mir nicht sicher, ob ich das Projekt alleine schaffe", so die Journalistin. „Aber Mattes hat sofort zugesagt und das hat mir Mut gemacht." Jeder trage auch einen Teil der Verantwortung mit. „Alle bisherigen Herausforderungen haben wir gemeinsam gelöst."

Mit dem reisenden Vorlese-Sofa möchte Annette Wagner die unterschiedlichsten Bremer zusammenbringen: hier geborene Bremer, Migrantenfamilien, die schon länger in der Stadt leben, und Flüchtlinge. „Es gibt auch andere ‚Neu-Bremer', die aus den verschiedensten Gründen gekommen sind", sagt Wagner. „Ich möchte den Flüchtlingen die Augen öffnen, welche anderen Kulturen es hier noch gibt und die Leute aus ihren Wohnungen holen." Die Vorleserinnen und Vorleser stammen unter anderem aus dem Iran, Eritrea, Russland, Spanien oder Syrien. Unter ihnen sind einige Bremer Persönlichkeiten: Zum Beispiel Fußballer Theodor Gebre Selassi. Am Dienstag, 6. September, um 12.30 Uhr wird der Werder-Spieler eine Geschichte aus seiner Kindheit im Weserstadion auf Tschechisch vorlesen. Am Sonnabend, 10. September, um 16 Uhr liest der aus der Demokratischen Republik Kongo stammende Bremer SPD-Politiker Elombo Bolayela in der Arena des Kulturzentrums Schlachthof ein Buch auf Lingala. Sozialsenatorin Anja Stahmann liest am Mittwoch, 7. September, die deutsche Übersetzung der Vorlesung des aus Guinea stammenden Dine Diallo, der eine Geschichte auf Fulani erzählt. Bibliotheksmitarbeiterin Eva Koprek freut sich, dass das Vorlese-Sofa auch in Walle Halt macht. „Mit ihrer Idee hat Annette Wagner bei uns offene Türen eingerannt." Berührungspunkte mit dem Projekt gebe es mehrere: die gegenüberliegende Grundschule am Pulverberg, in der viele Nationen vertreten seien, ebenso wie ein Erzähl-Café für Flüchtlinge, welches das Kulturhaus betreibt. „Die verbindende Klammer ist aber unsere Stadtteilbibliothek", sagt Koprek. Aufgebaut wird das Sofa auf dem großen Platz zwischen Brodelpott und Grundschule, geschützt unter Bäumen. „In der Mitte ist ein Rondell, dort soll das Sofa stehen", sagt Koprek. „Das ist ein richtig schöner Vorleseort." Neben der Lesung erwartet die Besucher an diesem Tag der Auftritt einer guineischen Tanzgruppe.

Mit ihrem sozialpolitischen Projekt im Stadtraum möchte Annette Wagner Begegnungen schaffen - auf niederschwellige und freundliche Art. Analog und weg von den Smartphones. „Ich sehe es als Versuch, dass aus dem Fremdeln nicht Fremdenfeindlichkeit wird." Von Montag, 29. August, bis Sonntag, 11. September, ist das „reisende Vorlese-Sofa" unterwegs. Die Lesungen sind kostenlos und finden draußen statt, bei Regen entweder drinnen oder es ist überdacht.

Besucher der Vorlesung im Weserstadion finden sich am 6. September bis spätestens 12 Uhr vor dem Ostkurvensaal ein. Informationen zu den einzelnen Stationen und Vorlesern gibt es im Internet unter www.liesmirvor.net und www.facebook.com/liesmirvor.

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