Wie Bolsonaros Corona-Politik das Leben der Indigenen Brasiliens bedroht
Inzwischen hat das Coronavirus in Brasilien auch dutzende Indigene Gemeinschaften erreicht. Gleichzeitig nimmt die Invasion illegaler Goldgräber und Holzfäller zu. Viele Indigene sehen darin einen von der Regierung "autorisierten Genozid".
Mit einem Video wenden sich am Dienstag Organisationen der Yanomami und Ye'kwana an die Öffentlichkeit. Sie fordern die brasilianische Regierung auf, sofort die 20.000 illegalen Goldgräber*innen aus ihrem Schutzgebiet zu verweisen. Andernfalls seien die Yanomami akut vom Aussterben bedroht.
Laut einer aktuellen Studie der Universität in Minas Gerais sind die Yanomami das aktuell am stärksten von dem Virus betroffene Volk weltweit - gemessen an seiner Bevölkerung. Bei fehlender Unterstützung könnten sich bis zu vierzig Prozent der Yanomami mit dem Virus infizierten und mehr als sechs Prozent sterben.
Bereits im vergangenen Jahr meldeten die Yanomani den Behörden einen explosiven Anstieg illegaler Goldsucher in ihrem Gebiet. Bergbau ist auf indigenen Schutzgebieten laut brasilianischer Verfassung zwar vorgesehen, aber bisher de facto illegal, weil ein Gesetzentwurf dazu über 20 Jahre nicht vom Kongress verabschiedet wurde.
Ein neuer Gesetzesentwurf, den Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro im Februar unterschrieben hat und der nun Bergbau und Energiegewinnung auf indigenem Land erlauben soll, wird von vielen Indigenen-Organisationen daher als offene Provokation empfunden. Auch wenn laut Entwurf die betroffenen Völker entschädigt werden sollen. Das immer wieder gleiche Argument Bolsonaros: "Der Indio ist ein Mensch, genau so wie wir. Er hat ein Herz, Gefühle, Seele und Bedürfnisse - er ist so brasilianisch wie wir alle."
Der Präsident betont immer wieder, er wolle Indigenen doch nur - in Anführungsstrichen - zivilisierte Lebensweisen nahebringen und ihr Recht auf die Ausbeutung ihrer Länder garantieren. Indigene, die dagegen protestieren, sehen das als Versuch, ihnen ihre Indigenität abzusprechen und damit das in der Verfassung verankerte Recht auf Land.
Angesichts des Corona Virus befürchten die Yanomami nun, dass illegale Eindringlinge die Krankheit mit dem Segen der Regierung weiterverbreiten. Zwischen 1986 und 1993 starben rund 20 Prozent aller Yanomami an Krankheiten, die von Zehntausenden Goldgräbern eingeschleppt worden waren. Nach Angaben der Vereinigung der Indigenen Völker Brasiliens sind unter den 178 bis Ende Mai an Covid-19 verstorbenen Indigenen 111 aus dem Bundesstaat Amazonas. Sprecherin Sônia Guajajara sagt in einem Interview für die Nachrichtenplattform UOL: "Für uns Indigene Völker ist diese Politik nicht nur fahrlässig. Wir spüren wieder einmal institutionellen Rassismus, der sich jetzt gerade in einen autorisierten Genozid verwandelt."
Mit 14 Prozent, sagt sie, liege die Sterblichkeitsrate der Indigenen um das doppelte höher als im Rest der Bevölkerung. Nach Angaben der Plattform InfoAmazonia, liegt die durchschnittliche Entfernung Indigener Gemeinschaften zu Intensivstationen bei 315 Kilometern.
Laut der brasilianischen Weltraumagentur Inpe sind die Warnungen zu illegalen Abholzungen im brasilianischen Regenwald im März um knapp 30 Prozent gestiegen - verglichen mit dem Vorjahr. Und: noch etwas fällt auf. Immer mehr Privatpersonen versuchen auf indigenem Land Eigentum anzumelden und kommen damit durch, sagt der Journalist Rafael Oliveira aus Sao Paulo. " Wir haben uns die Jahre 2014 bis 2018 der Regierung Dilma und Temer angesehen. Damals wurden 12 Farmen irregulär zertifiziert. Unter der Regierung Bolsonaro wurden in weniger als eineinhalb Jahren 42 Farmen zertifiziert."
Oliveira arbeitet für die Investigativplattform Agência Pública und hat mit einem Kollegen die entsprechenden Daten der Behörden ausgewertet. Am 22. April erlässt ausgerechnet die Indigenenbehörde einen Erlass, der die Rechte von isoliert lebenden Indigenen und Indigenen auf nicht registrierten oder noch nicht von der Regierung unterschriebenen Indigenen Ländereien schwächt. Die Folge: "In weniger als einem Monat hat die Regierung 72 neue Farmen zugelassen -auf nicht offiziell zugewiesenem Indigenen Land", sagt Oliveira. Das seien also insgesamt 114 im Vergleich zu 12 in den vorherigen Jahren.
Die Rechte Indigener werden mit Füßen getretenSeit seinem Amtsantritt versucht Bolsonaro den in der Verfassung garantierten Schutz Indigener auszuhöhlen, sagt auch Carolina Bellinger von der Nichtregierungsorganisation CPI, die sich für die Rechte Indigener einsetzt. Die Gelder für Sozialleistungen seien in den letzten Jahren drastisch gekürzt worden. "Und die Staatsorgane, die die indigenen Völker unterstützen sollen, wurden geschwächt."
Die Regierung Bolsonaro versucht vor allem, die Indigenenbehörde Funai zu demontieren - dabei geht es zum Beispiel um die Kompetenz, indigenes Land zuzuteilen. Gleich nach seinem Amtsantritt überträgt Bolsonaro Funai diese Kompetenz dem Agrarministerium. Das Ganze gleicht einem Tauziehen. Fünf Monate später macht das der Senat rückgängig. Im Februar nominiert er den Anthropologen und evangelikalen Ex-Missionar Ricardo Lopes zum Leiter der Abteilung für isolierte Indigene und neu-kontaktierte. Erst vor Kurzem machte das ein Bundesgericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft rückgängig.
Arthur Virgílio Neto ist Bürgermeister in Manaus, der Hauptstadt des Bundesstaats Amazonas. Hier standen zu Beginn der Krise für 1,7 Millionen Einwohner 50 Intensivbetten zur Verfügung inzwischen sind es über 90. A m 2. Mai wendet er sich auf seinem Facebook-Account mit einer Videobotschaft sogar an die Schwedische Umweltaktivistin Greta Thunberg und bittet um Hilfe.
Mit ihrem Video wenden sich die Yanomami nun auch an die Internationale Gemeinschaft. Sie hoffen damit, den Druck auf die Regierung zu erhöhen. In Sozialen Netzwerke unterstützen sich Indigene gegenseitig beim Kampf gegen das Virus, etwa mit dem Hashtag #bleibimDorf. (#ficanaaldeia) Doch das nützt wenig, sorgen sich viele, wenn die Invasionen so weitergehen.
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