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Von Lisa Neal, BerlinAls das Paar erfährt, wie viel die aus Japan importierten Kondome kosten (umgerechnet etwa zwei Euro), sagt der Mann so etwas wie: „Na, dann ist Kinder kriegen ja billiger." Darauf antwortet die Frau: „Ach, du bringst das Kind auch zur Welt?" Er: „Dann kaufen wir doch lieber die Kondome." So bringt Mim Rasouli, iranischer Künstler, die Gefühlslage und Verteuerung von Verhütungsmitteln in einem Foto-Comic auf den Punkt.
Verhütung und Familienplanung sind in Iran Themen, bei denen die Haltung von einem ins andere Extrem umschlägt. Die ersten staatlichen Maßnahmen zur Familienplanung wurden 1967 eingeführt. Um ein kontrolliertes Bevölkerungswachstum zu erreichen, wurden Frauen zur Arbeit ermutigt und das Scheidungsrecht reformiert. Nach der Revolution und Staatsgründung der Islamischen Republik 1979 förderte der Staat Familien mit vielen Kindern und forderte dazu auf, für Nachwuchs zu sorgen. Laut den Vereinten Nationen wuchs die iranische Bevölkerung zwischen 1968 bis 1988 von 27 Millionen auf knapp 50 Millionen Einwohner*innen.
Der Babyboom in den 80ern erklärt das junge Durchschnittsalter der Bevölkerung heute. Nach dem Krieg und ab den 90er Jahren kehrte sich die Handhabung wieder ins Gegenteil: Das Sozial- und Bildungssystem war so überlastet, dass der Staat Verhütungsmittel produzierte und Familien zu maximal zwei Kindern anhielt. Verhütung wurde so zum Teil enttabuisiert - allerdings nur im konservativ ehelichen Rahmen. Innerhalb kürzester Zeit sank die Geburtenrate rapide, im Schnitt bekamen iranische Frauen statt sieben und mehr Kinder etwa so viele wie in Deutschland (Stand 2020: 1,57).
Aktuell ist wieder ein Richtungswechsel angesagt, denn 1,7 Kinder im Schnitt sind zu wenige, um die demographische Überalterung der Gesellschaft zu stoppen. Mindestens zwei Kinder - besser mehr - sollen sie gebären. Wenn sich an der Geburtenrate nichts ändert, gehört Iran 2050 zu den ältesten Ländern der Welt. Deshalb fällt die staatliche Subventionierung für Verhütungsmittel und Familienplanung weg. Staatliche Krankenhäuser und Kliniken führen bis auf wenige Ausnahmen offiziell keine Sterilisationen mehr durch und geben keine Verhütungsmittel mehr aus.
Freie Verhütungsmittel für junge Iraner*innen wurden gestrichen, ebenso das kostenlose Einsetzen der Spirale nach dem dritten Kind. Statt Präservativen gibt jetzt es einen verlängerten Mutterschutz und einen zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub. Staatsoberhaupt und Revolutionsführer Ali Khamenei fordert, dass die Bevölkerung von 81 Millionen auf 150 Millionen anwachsen solle.
Allerdings ist Heimlichkeit ein ständiger Begleiter: Homosexualität ist strafbar, vor- und außerehelicher Geschlechtsverkehr sind verboten, ebenso Prostitution. Das alles gibt es trotzdem - nur eben versteckter. Abtreibungen sind illegal (außer das Leben der Mutter ist in Gefahr), aber sie werden bei diskreten Ärzt*innen oder heimlich zu Hause mit Mitteln vom Schwarzmarkt durchgeführt. Über sexuell übertragbare Krankheiten gibt es wenig sichtbare Aufklärung.
In Apotheken, privaten Kliniken und per Bestellservice „Digikala" sind Verhütungsmittel weiterhin diskret zu kaufen. Weil Iran vom internationalen Markt weitestgehend abgeschnitten ist, stellt das Land die gebräuchlichsten Verhütungsmethoden Pille und Kondome selbst her. Doch inländische Produkte und auch Importgüter werden - wie alle Produkte des täglichen Lebens - immer teurer. Darauf spielt auch der Comic von Mim Rasouli an. Laut Statista liegt die Inflationsrate derzeit bei mehr als 34 Prozent.
Wieder mehr Kinder zu bekommen ist für viele junge Iraner*innen wenig verlockend, denn aktuell ist die wirtschaftliche Lage so schwierig, wie es viele von ihnen noch nicht erlebt haben. „Wir wissen uns trotz der Einschränkungen zu helfen", berichtet eine Studentin, die ihren Namen nicht nennen möchte. „Verhütung ist meistens die Sache der Frau, sie muss sich kümmern." Zu ihrer Verantwortung gehörten auch die gesundheitlichen Risiken einer illegalen Abtreibung. Beim Kaufen von Verhütungsmitteln können kontrollierende Fragen und unangenehme Blicke aufkommen: ein Grund, weshalb vor allem unverheiratete junge Menschen fernab ihrer eigenen Nachbarschaft ihren Bedarf decken.
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