Nein, überrascht war ich nicht, die Bedrohungslage in Europa ist weiterhin ernst. Lediglich das Tempo des Terrors hat abgenommen. Der letzte große Anschlag war 2017 in Barcelona, seitdem hören wir nur von kleineren Anschlägen. Die folgen oft einem bestimmten Muster: Es sind häufig Einzeltäter, die keine direkte Verbindung zum „Islamischen Staat" haben und mit sehr einfachen Methoden vorgehen.
Die islamistischen Terroristen, mit denen wir es heute zu tun haben, kommen oft aus der kriminellen Szene. Sie haben sich zwar radikalisiert, sind aber eigentlich gar nicht so religiös interessiert. Oftmals wissen sie nicht einmal genau Bescheid über die Inhalte, sondern sehen den IS eher als eine Art Gang - mit dem Versprechen obendrauf, ins Paradies zu kommen.
Genau, die Hamburger Zelle war ein ganz anderer Typ. Das waren Studenten, von denen einige durchaus gute Aussichten hatten. Bei ihnen stand die Religion im Vordergrund, sie trafen sich jeden Abend, um theologische Fragen zu diskutieren. So etwas sehen wir heute nicht mehr so häufig.
Für die Sicherheitsbehörden wird es immer schwieriger, die potentiellen Täter im Blick zu behalten, weil sie oft zwischen der kriminellen und der islamistischen Szene hin- und herwechseln. Das war zum Beispiel auch bei Amis Amri so. Und durch die Kontakte in die kriminelle Szene ist es für die Attentäter leicht, an Waffen zu kommen. So könnte es in Straßburg möglicherweise auch gewesen sein.
Die Zerschlagung des IS in seinen Heimatländern hat für seine Anhänger in Europa vor allem ideologische Konsequenzen: Das Markenzeichen des IS war eben jenes Kalifat, das Versprechen einer neuen Gesellschaft. Als es 2014 ausgerufen wurde, löste das Enthusiasmus aus. Jetzt stürzt es die Anhänger in eine Legitimationskrise. War das Projekt eine Lüge? Ist der IS vielleicht nicht der perfekte islamische Staat? Es herrscht Enttäuschung. Wir sehen in unserer Forschung, dass in Chats plötzlich auch kritische Fragen auftauchen. Und es radikalisieren sich immer weniger Neue.
Das ist schwer zu sagen, die Bekenntnisschreiben sind mit dem Zusammenbruch des IS weit weniger zuverlässig und berechenbar geworden. Es wäre auf jeden Fall nicht ungewöhnlich, wenn sich der IS erst nach zwei, drei Tagen meldet. Der IS erlaubt Attentätern, seine Marke in Anspruch zu nehmen, auch wenn es keine direkte Kommunikation gab. Deshalb braucht er selbst manchmal einige Zeit, um herauszufinden, ob der Täter überhaupt zum IS passt.
In Straßburg und dem Elsass gab es schon immer eine salafistische Szene, von dort sind 2014 und 2015 auch viele nach Syrien ausgereist. 2000 war das allerdings eine ganz andere Generation, das würde ich nicht unbedingt in einen Zusammenhang stellen. Ein Muster würde ich eher darin sehen, dass wieder ein Weihnachtsmarkt angegriffen wurde.
Ich glaube, dass es dabei nicht vor allem um Weihnachtsmärkte geht, sondern dass sie sich schlicht als erfolgreiche Ziele erwiesen haben. In der Szene lässt man sich gern inspirieren. Das haben wir auch nach Nizza gesehen, danach mehrten sich Anschläge mit dem Auto.
Es zeigt, wie notwendig es ist, dass europäische Sicherheitsbehörden besser miteinander zusammenarbeiten und zum Beispiel alle Daten über Gefährder miteinander austauschen. Es ist seit 2015 zwar schon besser geworden, aber in Zeiten von offenen Grenzen brauchen wir eine nahtlose Kommunikation zwischen den Sicherheitsbehörden. Terroristen arbeiten grenzüberschreitend, unsere Sicherheitsbehörden aber noch nicht.
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