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Als Politikstudentin für ein Praktikum im Kuhstall

Es war die erste Geburt, die Annalena in ihrem Leben miterlebt hat. An irgendeinem Wochentag, vormittags in einem Kuhstall im Landkreis Ravensburg - in kompletter Stille. Denn Kühe bekommen in der Regel fast geräuschlos und selbstständig ihre Kälbchen. "Ich dachte, wenn die Kuh ein Kälbchen bekommt, dann schreit und muht sie, aber sie war still", beschreibt die 24-Jährige die Geburt.


Es ist ihre dritte Praktikumswoche auf dem Bauernhof und schon muss sie bei der Geburt helfen. Denn bereits seit einer halben Stunde ragt eine Klaue des Kälbchens mal hervor, dann verschwindet er wieder. Der Landwirt beschließt das Kälbchen gemeinsam mit Annalena hervorzuziehen - mit Hilfe einer ein Meter langen Gewindestange, dem sogenannten "Geburtshelfer". "Am Anfang habe ich mich nicht getraut, nah an die Kuh ranzugehen. Aber irgendwann hat es sich dann natürlich angefühlt", schildert sie. Die Geburt glückt, das Kälbchen landet im Stroh.


Theorie und Praxis der Nachhaltigkeit

Im Juli und August lebte und arbeitete die Freiburger Politikstudentin Annalena auf einem familiengeführten Bio-Bauernhof in Ravensburg - für Kost und Logis sowie 200 Euro Taschengeld. "Auf einem ökologischen Bauernhof das Praktikum zu machen, verband mein Interesse an Nachhaltigkeit mit dem Praktischen", erklärt sie. Das Interesse vieler junger Erwachsener an Nachhaltigkeit und ein zeitgleich steigendes Problembewusstsein für Umweltfragen bestätigt auch eine statistische Erhebung des Umweltbundesamtes im Jahr 2019. So finden 81 Prozent der 14- bis 22-Jährigen Umwelt- und Klimaschutz sehr wichtig. In der Stichprobe ab 23 Jahren sind es noch 67 Prozent.


In die Praxis setzt nur ein kleiner Teil sein Interesse um. Das zeigen Zahlen des Bundesamtes für Familie und Zivilgesellschaftliche Aufgaben: Im Jahr 2017/2018 machten knapp 58.000 Jugendliche und junge Erwachsene ein Freiwilliges Soziales oder Ökologisches Jahr (FSJ; FÖJ). Nur die Minderheit davon machte jedoch das Freiwillige Ökologische Jahr. Auch an den Universitäten im Fach Agrarwissenschaften ergibt sich ein ähnliches Bild. Nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes haben sich im Studienjahr 2019/2020 knapp 18.200 Personen für Agrar-, Forst und Ernährungswissenschaften sowie Veterinärmedizin an deutschen Hochschulen eingeschrieben. Zum Vergleich: Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften beginnen im selben Jahr über 300.000 Erstsemester.

"Die Aufgaben wurden schnell zur Routine und man wusste, man ist nicht nur der Praktikant, der nur im Weg steht." Annalena Zunftmeister


Zumindest auf dem Bio-Bauernhof von Annalena gibt es aber regelmäßig Praktikanten und Minijobber - ohne sie sei das Tagesgeschäft für die zwei Landwirte noch zu stemmen, aber eine ganze Ernte nicht. Trotz ihrer fehlenden Vorkenntnisse ist Annalena der Auffassung, dass sie auf dem Hof eine Hilfe war. "Die Aufgaben wurden schnell zur Routine und man wusste, man ist nicht nur der Praktikant, der nur im Weg steht."

Sie findet, dass jede Person einmal in der Landwirtschaft gearbeitet haben sollte. "Zum Beispiel die Lebensmittelproduktion ist ein elementarer Bereich jeder Gesellschaft, mit dem sich jeder mehr beschäftigen sollte." Die Reaktion ihres Umfeldes auf ihre Praktikumsentscheidung hat Annalena bestärkt. "Es wurde schon häufiger mal gefragt, wie das mit meinem Politikstudium im Zusammenhang steht, aber die meisten haben positiv reagiert."


Jeden Morgen füttern, melken, ausmisten

Zwei Monate lang watete Annalena also in ihrem vollgeschmierten Arbeitsoverall und mit Gummistiefeln jeden Morgen ab 6:30 Uhr durch den Kuhmist im Stall. "Du läufst dann die Stallgasse lang, rufst "Guten Morgen, aufstehen, Melkzeit" und klatschst denen auf den Po." Jeden Morgen füttern, melken, Boxen ausmisten, mal eine ausgebüxte Kuh einfangen.

"Am Anfang war der Geruch nach Kuhscheiße echt gewöhnungsbedürftig. Aber irgendwann merkt man das gar nicht mehr. Es ist irgendwie angenehmer Dreck, da es ja natürlich ist", lacht sie. Annalena kennt sogar jeden Namen der 75 Kühe. "Mich hat motiviert, dass alles was ich mache, den Tieren zugutekommt." Nachmittags ging es dann auf den Acker, Unkraut jäten oder Gemüse ernten. "Auf dem Feld kniest du dann richtig in der Erde, das hat mir richtig gut gefallen."

"Du kommst dann morgens in den Stall und das Kälbchen liegt tot in der Box." Annalena Zunftmeister


Nur einmal musste Annalena auf dem Hof weinen. Kuh und Kälbchen, denen Annalena bei der Geburt geholfen hatte, sind während ihrer Zeit an Krankheiten gestorben. "Du kommst dann morgens in den Stall und das Kälbchen liegt tot in der Box. Dann musst du das Kälbchen, das du liebevoll gefüttert hast, mit der Schubkarre neben den Stall karren und dort ablegen, dass es von der Tierkörperbeseitigung abgeholt wird." Zum Abschied legte Annalena eine Blume auf das tote Tier.


Annalena ist sauer, dass viele Milch konsumieren, aber niemand sich mit den Tieren beschäftigen will. "Es macht mich echt wütend, wie viel Verantwortung für die unbequemen Sachen wir an die Landwirtschaft abgeben. Wir wollen möglichst viel und billig konsumieren, aber wie Lebensmittel erzeugt werden und auf Kosten von wem, da machen wir uns dann keine Gedanken drüber." So ist etwa der Tod eines Tieres schlicht Teil des Alltagsgeschäfts, sei es durch Altersschwäche der Kühe, bei Geburt oder weil männliche Tiere keine Milch geben können und unter anderem an konventionelle Mastbetriebe weiterverkauft werden.

Wer mit Tieren arbeitet, hat viel Verantwortung


Auch wenn Annalena jetzt erst ihr Politikstudium fertig machen will, lässt sie der Gedanke an Landwirtschaft nicht los. "Landwirtin zu werden, muss man wirklich wollen, dann ist man auch Landwirtin mit Leib und Seele." Vor allem gesellschaftlich fehle es aber noch an Aufklärung darüber. "Es ist sicher auch eine Frage der Wertschätzung. Bei uns auf dem Dorf wurde der Begriff Bauer mit jemandem Tölpelhaften und Ungepflegten gleichgesetzt", sagt Annalena.


Aber um als Landwirt erfolgreich zu sein, muss man echt was auf dem Kasten haben, die Arbeit mit Lebewesen verlangt einem Verantwortung ab." Da es Annalena theoretisch an Vorkenntnissen und praktisch an einem Hof fehlt, ist der Weg zur Landwirtin nicht einfach für sie. Im Oktober wird sie erst einmal zur Apfelernte wieder auf den Bauernhof zurückkehren.



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