Wien - "Die Siesta ist vorbei!" - Mit diesem Kampfspruch engagiert sich Marea Granate, eine Organisation, die politische Aktionen von Exil-Spaniern weltweit koordiniert. Marea Granate bedeutet so viel wie "Weinrote Flut" und steht symbolisch für Auswanderung - Rot ist die Farbe spanischer Reisepässe. Heute demonstrieren die Mitglieder gemeinsam mit der griechischen Gruppe Solidarity-4All für die Regierung Tsipras. Alle hoffen auf ein Ende der europäischen Sparpolitik. In Spanien führten 2012/2013 Milliardenkürzungen im Bildungsbereich zu Aufregung. Auf einen Schlag erhöhte die Regierung die Studiengebühren für Bachelorprogramme in manchen Regionen um zwei Drittel. Für viele Studierende bedeutete das, dass sie ihr Studium abbrechen mussten - oder gar nicht damit beginnen konnten. Auch die Gebühren für Masterprogramme sind bis zu 170 Prozent gestiegen, wer das Erasmus-Programm nutzt, bekommt kaum noch finanzielle Unterstützung vom Staat.
All das sind Gründe für Studierende und Uni-Absolventen, ihrer Heimat
den Rücken zu kehren. "Wir werden praktisch rausgeschmissen", sagt
Marta Rodríguez, Aktivistin bei Marea Granate. Aus der letzten
Eurobarometer-Umfrage geht hervor, dass sieben von zehn jungen Spaniern
planen, ihre Heimat zu verlassen. England, Deutschland und
Lateinamerika zählen zu den beliebtesten Destinationen. Aber auch
hierzulande steigt die Zahl der spanischen Zuwanderer kontinuierlich
an. Während 2010 weniger als 3000 Spanier in Österreich lebten, ist die
Community nun bereits auf rund 5600 angewachsen.
Bildungselite wandert ab
Rodríguez ist eine aus der Community. Die 27-Jährige ist 2008 für
ihren PhD nach Wien gezogen, nach ihrem Chemiestudium in Madrid. Hier
seien die Studienbedingungen paradiesisch - im Gegensatz zu Spanien, wo
sich PhD- und Postdoc-Studierende komplett selbst finanzieren müssen.
Auch nach dem Abschluss sind die Aussichten nicht besser: Die
Arbeitslosigkeit unter Jungakademikern liegt derzeit bei 25 Prozent.
Aber was bedeutet es für die Volkswirtschaft, mehr und mehr junge,
hochqualifizierte Menschen zu verlieren? Nichts Gutes, wenn es nach
Gayle Allard, Professorin für Wirtschaft an der Economic School of
Buisness in Madrid, geht. Sie spricht - wie viele andere - von einem
Braindrain: einem Abwandern der Bildungselite, was zu großen
wirtschaftlichen Verlusten führen kann. Statistiken, wie viele gut Ausgebildete langfristig in ihrer
Wahlheimat bleiben wollen, gibt es nicht. "Wenn man mit jungen
Akademikern spricht, wird klar, dass sie nicht in Spanien arbeiten
wollen", sagt Allard. Auch Rodríguez plant nicht, zurückkehren: "Die
spanische Regierung stellt es oft so dar, als wären wir nur auf der
Suche nach Abenteuer und würden danach heimkehren", sagt sie. "Das wird
nicht passieren."
Druck auf die Politik
Damit sich etwas ändert, will sie weiterhin politisch Druck machen -
von Wien aus. Denn: "Organisationen in Spanien riskieren mittlerweile
viel, wenn sie auf die Straße gehen." So sieht ein Gesetzesentwurf hohe
Geldstrafen für Proteste vor. Wird das Gesetz beschlossen, könnte eine
Kundgebung mit bis zu 600.000 Euro bestraft werden.
"Vor einem Jahr hätten wir nie geglaubt, dass wir heute für und nicht
gegen eine Regierung demonstrieren", ruft ein Mitglied von
Solidarity4All bei einer Kundgebung von Marea Granate im Februar im
Wiener Museumsquartier. Es ist zuversichtlich, dass Alexis Tsipras den Sparkurs beenden wird.
Einen solchen politischen Wechsel wünschen sich die Mitglieder von
Marea Granate auch für ihr Land. Umso mehr Hoffnung setzen sie in die
Parlamentswahlen im November: "Auch wir werden wie Griechenland endlich
eine neue Regierung bekommen", sagt Rodríguez. "Aber bis dahin kann
noch viel passieren." (Lisa Breit, Alicia Prager, DER STANDARD,
5.3.2015)
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