Es passiert nicht so oft, dass man einen wildfremden Mann auf einer Parkbank spontan umarmen will. Anders bei unserem letzten Familienspaziergang im Emmendinger Stadtpark. Es ist der erste in zweierlei Hinsicht: Seit wir vor Kurzem wieder in die Kleinstadt gezogen sind, nach Jahren in Berlin, Wien, Prag und München. Und seit ich dort nicht mehr mit Freunden, sondern mit Mann und mittlerweile auch zwei kleinen Männern unterwegs bin. Der große kleine Mann, vier Jahre alt, wirft ein paar Brotkrümel in den Teich. Ein dicker Fisch taucht auf und schnappt sie sich. Das Kind jubelt.
"Käpsele!", ruft ihm ein älterer Herr mit Hut und Stock von der Parkbank aus zu. Er versteht das natürlich nicht, er ist in München geboren und wuchs bisher zwischen Kindern auf, die an stinknormalen Tagen in Lederhosen im Kindergarten auftauchen und "Pfiat di" statt "Tschüss" sagen. Ich aber feiere. Und weiß wieder, wo ich hingehöre.
Ein Alltag, der funktioniert - auch mit Kindern
Brezeln mit „L“ – das hat fudder-Autorin Lisa Böttinger vermisst. Foto: Michael Bamberger
Fußball-WM und Kleinstadt, das muss nicht immer gutgehen. Gibt es Public-Viewing-Spots? Oder überhaupt passable Kneipen? Zugegeben, in Emmendingen sind das für mich nicht einmal die wichtigsten Fragen. Viel heikler: Welche Politik verfolgt der örtliche Supermarkt mit WM-Spieler-Sammelkarten? Gibt es wirklich nur eine pro zehn Euro Einkauf, oder wird meinen beiden blauäugigen, blonden, herzallerliebst dreinblickenden kleinen Söhnen auch mal ganz kulant eine Karte extra in die Hand gedrückt?
In München undenkbar. Die Kassiererin zickt schon, als ich meinen sechsten Manuel Neuer zurückgeben will. Und in Emmendingen? Steht eine Box mit geöffneten Karten an der Kasse, "zum Tauschen", strahlt mich die Dame hinter der Kasse an. Das Leben kann so einfach sein.
Klingt logisch, ist es aber nicht. Oder nicht überall. Wie oft musste ich beim Münchner Bäcker das "L" verschlucken, damit ich nicht als Exotin daherkomme - genau wie bei den "Schrippen" statt Brötchen in Berlin? In Bayern sagt man Breze, dazu gibt es Obatzdn und a Mass, noch Fragen?
Brezel: "Dieses Wort oder diese Verbindung ist rechtschreiblich schwierig", warnt in weiser Vorraussicht der Duden all diejenigen, die es wagen, ihren per Geburt zugeteilten phonetischen Brezelbereich zu verlassen. Ich kehre jetzt zu ihm zurück. Und setze noch einen drauf: Eine BUTTERbrezel, bitte. Mit echter Butter, nicht Margerine und nicht in millimeterdicken harten Scheiben, sondern von Hand geschmiert - und mit viel "L".
Ich gehöre leider nicht zu den Müttern, die CO2-verträglich und in Outdoor-Kleidung frühmorgens ihre Kinder in stylischen Lastenrädern zur Kita strampeln, um danach auch noch taufrisch im Büro zu erscheinen. Das liegt vielleicht auch an der Stadt, in der ich bis vor Kurzem gewohnt habe. München will seit diesem Jahr nicht länger "Radlhauptstadt" genannt werden - kein Wunder, erzählten mir die Kollegen nur allzu oft von ihren todesmutigen Odysseen auf zwei Rädern. Ohne mich.
An der Elz entlang lässt es sich aber locker bis nach Freiburg radeln. Und in der Stadt hat heute - kein Witz! - ein Fahrradfahrer angehalten, als ich über den Zebrastreifen gehen wollte. Klingt plötzlich alles garnicht mehr so abwegig mit der sportlichen Fahrrad-Mutti.
Es sind diese Momente am Telefon. Die beste Freundin ist dran, die nach dem Abitur einfach mal in Südbaden geblieben ist. Erstmal muss ich schmunzeln, wenn sie ihren badischen Singsang durch den Hörer zu mir nach Berlin, Prag oder München flötet. Mir haben die Großstädte den Dialekt abtrainiert. Und doch sitzt "weisch" so tief, dass es Momente gibt, in denen man schier keine Alternative findet. "Weisch" ist verräterrisch, erbarmungslos, es erinnert mich vor allem in emotionalen Momenten daran, dass ich Südbaderin bin. Dann platzt es einfach so heraus, ohne Einladung, ohne einen vorgeschalteten Gedanken. "Weisch" ist wie die Atempause nach Monaten des Hochdeutschs in der Ferne. Nach Brezn, Schrippen und zickigen Supermarkt-Kassiererinnen. "Weisch", so klingt Heimat. Nicht nur am Telefon.