Aufbaukurs oder bilinguale Klasse? Passt das Dirndl farblich zum Schulranzen? Und wohin nur zum Essen an diesem großen Tag? Experten warnen: Kinder kriegen diesen Druck mit.
Die Einschulung begann sie kurz vor Weihnachten zu planen. "Wir wussten, dass wir zum Schulanfang einiges an Material anschaffen müssen", sagt Verena K. Ihre sechsjährige Tochter Helena wird am Dienstag in Trudering eingeschult. Also gab es von der Oma den Schulranzen schon zu Weihnachten: für 220 Euro, mit Federmäppchen und Turnbeutel, dazu eine große Portion Vorfreude gratis. Zumindest bei Helena.
Ihre Mutter hingegen sagt: "Für mich steht über dem neuen Kapitel Schulanfang irgendwie die Überschrift: Schluss mit lustig." Schon im letzten Kindergartenjahr sei vor allem unter den Eltern der Druck groß: In Whats-app-Gruppen werde diskutiert, wer sein Kind für die bilinguale erste Klasse mit Deutsch und Englisch anmeldet und ob die Kinder außer der Vorschule im Kindergarten auch eine Art Aufbaukurs besuchen sollen, den die künftige Grundschule anbietet. K. schickte ihre Tochter nur in die reguläre Vorschule: "Sie soll ihr letztes Kindergartenjahr noch mal voll genießen", sagt die 37-Jährige.
"Müssen die denn jedes Jahr immer früher kommen?" Diesen Satz hat sich Verena K. gemerkt, so hat sie die Verkäuferin in dem Schulranzen-Fachgeschäft im Glockenbachviertel begrüßt, Monate vor dem ersten Schultag. Denn auch die Vorschulkinder bekommen den Hype um ihre Einschulung mit - und bringen ihren Ranzen gerne schon mal vorzeitig mit in der Kindergarten: "Zum Herzeigen", wie K. es nennt.
Dabei sind vor dem ersten Schultag ja noch viel mehr Fragen zu klären: Braucht es ein neues Dirndl, das auch farblich zur Schultüte passt? Müssen neue Schuhe her? Und wohin geht die Familie an diesem großen Tag zum Essen? "Das Problem ist, man will weder bei allem mitschwimmen noch herausstechen", sagt K. Ihre Tochter wird ihr diesjähriges Dirndl zur Einschulung tragen, noch mal etwas Neues braucht es nicht. "Das hat sich auch Helena so gewünscht", sagt ihre Mutter und lächelt. Denn was den Kindern eigentlich wichtig ist, das scheint im ganzen Einschulungstrubel ab und an unterzugehen.
Druck, Stress und Angst, das Falsche zu tun: Entspannt sind die letzten Sommerferien wahrlich nicht. Während der erste Schultag früher meist daheim in kleiner Runde begangen wurde, ist er heute ein Großereignis. Eltern basteln pompöse Schultüten, sie besorgen wertvolle Geschenke vom Smartphone über einen Roller bis hin zu teuren Ketten und Armbändern und sie planen die Feierlichkeiten penibel. Längst ist die Einschulung zum einschneidenden Ereignis geworden, das richtig gefeiert werden muss. Von neun bis elf drängen sich Mütter, Väter, Omas, Opas, Tanten, Onkel, Geschwister und Taufpaten in den Grundschulen. Danach geht es direkt weiter in die nächstgelegene Gaststätte zum Festmahl mit Bescherung.
Wer davor nicht reserviert hat, wird sich schwertun. In Häusern wie dem Hofbräukeller am Wiener Platz essen die Kinder am Dienstag umsonst, die Eltern bezahlen normal. Diese Strategie geht auf: "Ausgebucht", meldet Thomas Wasner, Marketing-Manager im hauseigenen Veranstaltungsbüro. Auch im Restaurant "Schinken-Peter" in Giesing gibt es nur mehr freie Plätze, wenn das Wetter schön ist, weil in den Biergarten mehr Leute passen als in die Säle drinnen, wie Geschäftsführerin Silvia Andrea Fischer erklärt.
Der Ansturm in den Wirtshäusern wird größer und größerSeit elf Jahren schon feiern sie dort den Schulanfang. Seit elf Jahren gibt es eine eigene Schulkarte: Nudel- oder Pfannkuchensuppe, Würstl, Knödel, Hähnchenfilet mit Gemüse und natürlich Schnitzel mit Pommes und am Schluss ein Eis. Genauso lange bekommen alle Erstklässler noch eine Schultüte geschenkt. "Anfangs war das Interesse nicht ganz so groß", sagt Fischer. In den vergangenen Jahren aber sei der Ansturm größer und größer geworden. Ähnliches berichtet Sabine Sedgwick vom Wirtshaus am Bavariapark im Westend. Auch dort wird deftig gespeist, dann können die Eltern ratschen und die Kinder basteln. Am Zuckertütenbaum wartet eine kleine Überraschung.
München wäre aber nicht München, wenn es nicht noch eine Nummer größer ginge. Wer Geld hat, lässt sein Kinderfest zum Beispiel von Daniela Schreck organisieren. Die Chefin von "Tollkids" schmeißt hauptberuflich Partys: All-inclusive-Feiern samt Einladung, Essen, Deko, Kuchen, Zauberer, Kasperltheater oder was sie sich sonst so wünschen.
Die Münchner, so berichtet Schreck, buchen zwar immer noch überwiegend Geburtstagspartys und Sommerfeste. Einschulungsfeiern aber sind im Kommen. Unvergesslich soll der erste Schultag sein, schließlich beginnt jetzt ein neuer Lebensabschnitt. "Früher war der erste Schultag ein Familienfest, es gab nichts außer der Schultüte", sagt Schreck. Heute kann sie von Müttern berichten, die ihren Töchtern Prinzessinnenkleider spendieren, oder von dem kleinen Jungen, der von der Oma einen Segway bekam, also einen elektrischen Stehroller.
Diesen Trend hin zu immer teureren Geschenken, zu immer exklusiveren Feiern sehen Experten mit Sorge. So nämlich setzen Familien sich selbst unter Druck. "Viele Eltern denken, dass die ersten Schuljahre ihres Kindes bereits festlegen, was im restlichen Leben passieren wird", sagt Gerd Schulte-Körne, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie der Universität München.
Original