Pandemien und Antibiotikaresistenzen sind überstanden, der Meeresspiegel ist so weit angestiegen, dass die Küsten kaum mehr bewohnbar sind. Die Hauptstadt von Deutschland ist nicht mehr Berlin, sondern Frankfurt: eine Megacity mit zehn Millionen Einwohnern. Und dann ist da diese dubiose Gesundheitsapp... In ihrem neuen Thriller „Paradise City" entwirft Zoë Beck, vielfach ausgezeichnete Schriftstellerin, Verlegerin und Übersetzerin (u.a. von Sally Rooney), ein unheimliches Bild der Zukunft. Wir haben mit ihr über Daten, Dystopien und Verschwörungserzähler gesprochen.
Aus verschiedenen Gründen. Geografisch ist Frankfurt verkehrsgünstiger gelegen als Berlin, das Rhein-Main-Gebiet ist gut vernetzt, es gibt einen funktionierenden Flughafen, Frankfurt ist ein Finanzzentrum. Historisch gesehen war die Stadt immer wichtig. Frankfurt sollte ja sogar mal BRD-Hauptstadt werden, dann fiel die Wahl auf Bonn. Das hat mich als Kind unglaublich gestört. In meinem Buch habe ich mir sozusagen einen Kindheitstraum erfüllt.
In meinen früheren Büchern hatte ich gerne Großbritannien als Schauplatz. Das letzte Buch spielt in London in einer nahen Zukunft, nach dem Brexit. Dann dachte ich mir, dass ich mich nicht nur ein paar Jahre vortasten, sondern direkt ein ganzes Stück vorausgehen könnte. Diese Freiheit, in die Zukunft zu denken, hat mir großen Spaß gemacht.
Richtig.
Ein paar dieser Fragen habe ich versucht, in meinem Roman umzusetzen: In meiner Zukunft haben wir, was die Klimapolitik angeht, gerade noch die Kurve gekriegt. Was die Chancengleichheit betrifft: Hautfarbe, Herkunft, Geschlecht spielen keine Rolle mehr. Einige Dinge, die ich gerne sehen würde, habe ich also einfach im Roman schon mal umgesetzt. Allerdings geraten diese Ziele gerade zugunsten anderer wieder ins Hintertreffen. Auf einmal hat Corona Vorrang, nach dem Motto: „Die Umwelt können wir später noch retten." Können wir natürlich nicht! Es wird versucht, Branchen am Leben zu erhalten, die eigentlich nicht mehr zeitgemäß sind, zum Beispiel im Energiebereich. Das macht mich gerade ganz unruhig.
Ich würde mir wünschen, dass wir die Gesellschaft viel radikaler umbauen. Vor allem die Wirtschaftssysteme, die Sozialsysteme, das Geldsystem. Wir haben doch eigentlich genug auf der Welt, nur müssen wir für eine bessere Verteilung sorgen. Also: weniger Wettbewerb, mehr Verteilung! Zugleich aber sehe ich Tendenzen, auch bei mir selbst, die in eine Art Zukunft führen, wie ich sie im Roman beschrieben habe. Wir haben unsere Corona-App, und man hätte eigentlich gerne mehr Informationen: Wann hatte ich die Risikobegegnung, wo, wer war's? Ich bin manchmal an dem Punkt, wo ich denke: Guck, leider hatte ich in meinem Buch Recht. Wenn wir selbst von etwas bedroht sind, dann sind wir auch bereit, eine ganze Menge preiszugeben. Hauptsache, man selbst ist gesund.
Als kleine Hypochonderin: Ja. So eine App ist doch prima, wenn ich durch sie die Garantie hätte, immer gesund zu sein. In meiner Zukunft haben wir 70, 80 Jahre hinter uns, in denen viele Menschen elendig an Pandemien gestorben sind. Das sind im Grunde so etwas wie Kriegs-Traumata. Dann sind Menschen zu vielem bereit, um ein Stück Frieden und Ruhe zu bekommen. Und es wird ja noch mehr geboten: eine tolle Wohnung, ein guter Job. Was sind schon die paar Daten, die ich preisgebe ... Also zumindest denken viele Leute doch so.
Es geht natürlich um etwas ganz anderes. Darum, dass die Kosten überschaubar sind, und kranke Menschen sind teuer für ein System - dann lieber Vorsorge als Pflegefälle. Das andere ist, dass sich jeder Staat finanzieren muss. Deutschland hat natürlich keine Ressourcen, die in 100 Jahren auf dem Weltmarkt etwas einbringen. Man braucht also etwas zum Handeln. Möglicherweise sind das Daten ...
Viel mehr als ich gedacht hatte. Während des Schreibens habe ich Artikel gelesen, in denen es um die Sachen ging, die ich mir gerade ausgedacht hatte. Die gab es dann also schon. Da überholt einen die Gegenwart sehr schnell.
Genau das war meine Ausgangssituation. Als ich den Roman anfing, wusste noch niemand etwas von Corona. Ich habe mir nur gedacht; diese ganzen Verschwörungserzähler, die sagen, der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei ein Staatsfunk, die sind doch irre. In dieser Zukunft im Buch gibt es wirklich einen Staatsfunk und so gut wie keine freie Presse mehr.
Können Sie die Anhänger von Verschwörungsmythen denn in einer Weise verstehen?Ich versuche es, aber ich kann ihre Weltsicht einfach nicht nachvollziehen, da bin ich zu logisch für. Was mir Angst macht ist, dass sogar Kolleginnen und Kollegen betroffen sind, denen ich das vor Corona niemals zugetraut hätte. Und, schauen wir uns etwa Michael Wendler an; das sind ja Leute, die riskieren für ihre Überzeugung ihre Karriere. Sie glauben, sie wären so etwas wie Widerstandskämpfer des NS-Regimes. Nur, dass wir kein NS-Regime und keine Diktatur haben. Das ist absurd.
Ich denke, wir müssen aufpassen, dass sich die Leute für guten Journalismus interessieren und ihn unterstützen. Kritischer Journalismus, Faktenchecks - das ist enorm wichtig. In Zeiten von Fake News und Deep Fakes kann man sich nicht mehr auf den Wahrheitsgehalt von Bildern, Tonmaterial und Videos verlassen. Deshalb müssen wir bestimmte vertrauenswürdige Instanzen haben, die so etwas überprüfen. Als Privatperson kann man das gar nicht leisten.
Das Gespräch führte Lisa Berins