Lisa Berins

Frankfurt und Offenbach

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Perspektivlos durch die Coronakrise: Düstere Zukunft für Clubszene

Die Clubs sind auch in Offenbach seit Corona zu. Doch wie geht es nun weiter?© Sophia Kembowski/dpa

Volle Tanzflächen wird es in naher Zukunft in Offenbach nicht mehr geben. Wie soll es für Live-Clubs weitergehen - und wann?


Offenbach - Die DJane dreht auf, ein tiefes Pochen ergreift den Raum, plötzlich ist da kollektive Euphorie. Eine Wolke aus Schweiß und Bierdunst hat sich gebildet - das unsichtbare Gemeinschaftswerk des ekstatischen Mobs. Ein Druffi grölt was, im Licht flackert die Menschenmenge auf, es ist vier Uhr morgens. Und es ist eine andere Zeitrechnung: Wir schreiben das Jahr 1 vor Corona. Eine solche Szene - heute und in naher Zukunft undenkbar.


Clubs wie das Offenbacher „Robert Johnson" oder das „MTW" blicken in eine düstere Zukunft: Ihre Türen bleiben möglicherweise noch Monate geschlossen. Ob sie jemals wieder öffnen? So sehr sich die Politik auch ins Zeug legt, um der Kulturszene einen Neustart zu ermöglichen - an der Realität der Clubbetreiber gehen die Bemühungen großteils vorbei. Auflagen, die vielleicht eine Wiedereröffnung ermöglichen könnten, wie etwa Abstandsregeln, sind in Clubs schlicht nicht umsetzbar - zumindest im Moment nicht.


„Das fängt schon beim Einlass an", sagt Klaus Unkelbach, Geschäftsführer der R+M GmbH, die am Nordring die beiden Offenbacher Technoclubs betreibt. „Wir machen eine Gesichts- und Sicherheitskontrolle. Das heißt, die Gäste müssten dann erst mal ihre Masken abnehmen, damit wir sie identifizieren können." Wenn die Security an der Tür auf Waffen, gefährliche Gegenstände und Drogen kontrolliert, würde sie außerdem gegen das Abstandsgebot verstoßen. Und das Absurdeste: Ins „Robert Johnson" dürften, auf die Fläche umgerechnet, vielleicht 25 bis 30 Leute, sagt Unkelbach. Grüppchenbildung: nur bei Mitgliedern von zwei Hausständen. Abgesehen davon, dass sich das finanziell nicht lohne, fragt sich Unkelbach: „Wie soll da Stimmung aufkommen? Das kann man sich schenken."


Die Clubs wieder ans Netz zu bringen, ist nach der Meinung des Clubbetreibers erst dann wieder sinnvoll, wenn man die Möglichkeit hat, „andere Leute zu erleben, zu kommunizieren, sich kennenzulernen, sich nah zu kommen". Also erst, wenn ein Impfstoff gegen Corona gefunden oder das Virus auf andere Weise aus unserem Leben verschwunden ist. Und das ist, wenn nicht utopisch, dann zumindest langwierig. Bis dahin werden das „Robert Johnson" und das „MTW" in einer Art „Koma-Zustand" ausharren. Ob es ein Erwachen gibt? Oder ob ein Teil der Kulturlandschaft leise dahinsiechen wird?


Der Interessenverband „Clubs am Main" vertritt rund 30 Clubs in Frankfurt und Offenbach. Vorstandsmitglied Klaus Bossert neigt nicht zur Dramatisierung, dennoch ist es offensichtlich, wie sehr die Szene gerade zwischen Hoffen und Bangen schwankt: Die Gefahr eines Clubsterbens bestehe schon, bestätigt Bossert. Glücklicherweise habe er aber noch von keinem Club gehört, der durch die Coronakrise akut in seiner Existenz bedroht ist. Aber das könne eine Frage der Zeit sein. „Wir werden wohl erst nach und nach merken, was aus den Fugen geraten ist", sagt Bossert.


Hoffnung setzt er auf das mit 50 Millionen Euro ausgestattete Unterstützungspaket des Landes Hessen, das der Kulturszene zu einem Neustart verhelfen soll. Davon wollen auch die Clubs in Rhein-Main profitieren. Sie seien immerhin ein wichtiger Teil der regionalen Kulturszene und keine reinen Amüsierbuden, betont Bossert: „Es gibt einen Unterschied zwischen Diskothek und Club: In einem Musik-Club treten Musiker und DJs, also Künstler, auf, die einen eigenen, künstlerischen Ausdruck haben, die eigene Veröffentlichungen haben, auf Tournee gehen."


Um diese kulturellen Orte über die Krise zu retten, seien vor allem die Städte gefragt. Sie sollten ein „wachsames Auge" auf ihre lokalen Spielstätten werfen. „Wir haben die Erfahrung gemacht: Wenn ein Club verloren geht, dann ist er unwiederbringlich verloren. Besonders im Rhein-Main-Gebiet mit seinem Immobilienmarkt."


Dass es irgendwann ein vollständiges Revival des Nachtlebens geben wird, daran kann man zweifeln. Den Glauben an ein Happy End hat auch Tobias Rapp verloren. Der „Spiegel"-Autor war lange ein ambitionierter Clubgänger, 2009 hat er das Buch „Lost and Sound: Berlin, Techno und der Easyjetset" über die Berliner Clublandschaft geschrieben. Zur coronabedingten Situation der Szene sagt er: „Jeder, der glaubt, es gebe ein Zurück, der lügt sich in die Taschen." Das Geheimnis des Ausgehens, der Clubkultur liege ja gerade in einem „Näheverhältnis" der Menschen. „Nachtleben ist das Gegenteil von Social Distancing." Clubs - für Rapp sind das vor allem Orte, an denen man zwischenmenschliche, sinnliche und physische Erfahrungen machen kann. Wo man erlebt, dass „Musik eine körperliche Dimension hat". Die Versuche, über Livestreaming-Plattformen eine Clubatmosphäre in die Wohnzimmer zu bringen, seien „rührend", mehr aber nicht, findet Rapp.


Der Verband „Clubs am Main" will es immerhin versuchen: Kommende Woche startet die regionale Seite der Plattform „United We Stream" mit Auftritten aus verschiedenen Locations; dabei sein sollen unter anderem der Schlachthof Wiesbaden, das Gibson, das Tanzhaus West. „Wir wollen uns zumindest in Erinnerung halten", sagt Bossert. Das ist vielleicht besser als nichts. Aber es reicht nicht, um Geld einzunehmen und die laufenden Kosten zu decken.

Im Offenbacher „Robert Johnson" und im „MTW" hat Unkelbach den Strom abgestellt. Die Pacht für April und Mai sei gestundet - „aber eine Stundung rettet keinen", weiß Unkelbach. Für seine festen Mitarbeiter habe er Kurzarbeitergeld beantragt, auf dessen Auszahlung er noch wartet. Fast 80 Aushilfen, darunter viele Studierende, die an der Bar oder am Einlass arbeiteten, profitieren davon nicht.


Eigentlich wolle er nicht die Hand aufhalten und Forderungen stellen, sagt Unkelbach. Dennoch: Die Stadt Offenbach habe ihm eine Förderung aus dem Notfallfonds zugesagt. Und es sei eine Fundraising-Aktion geplant, die am 27. Mai online starten soll. Einen Kredit aufzunehmen, das kommt für den Clubbetreiber nicht in Frage, das sei „süßes Gift" und könne lediglich eine „lebensverlängernde Maßnahme" sein.


Überhaupt vertragen sich staatliche Hilfen und die Clubkultur nur bedingt, findet Tobias Rapp: „Es ist ja eine Subkultur, die von Leidenschaft lebt und die unabhängig von der Politik entstanden ist." Der Unabhängigkeitsgedanke und eine öffentliche Subventionierung - das geht kaum zusammen, glaubt der Autor. Außerdem: Solange nicht klar ist, wann die Clubs wieder öffnen können, seien Staatshilfen ohnehin „reine Geldverbrennung". Rapp befürchtet Schlimmes: „Da steht eine Kultur vor dem Abgrund. Und wir können nichts tun, um ihr zu helfen."


Ist es wirklich so dramatisch? Gern würde man verneinen, aber dafür fehlen die Perspektiven: Über eine Wiedereröffnung von Clubs lässt sich derzeit aber noch nicht mal spekulieren. Das Virus wird ein Loch in die kulturelle Landschaft reißen - wie groß wird es sein? Wie könnte in ferner Zukunft eine neue Clubkultur aussehen? Wahrscheinlich wird sehr lange eine der wichtigsten Grundlagen für ein Comeback der Szene fehlen: die Freiheit, sich unbefangen in die Nacht zu stürzen.


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