Als Berliner „Tatort“-Kommissar ist er einem großen Publikum bekannt, jetzt kommt der Schauspieler Dominic Raacke in seine Heimatregion zurück. In Hanau wurde der Schauspieler geboren, dort sammelte er auch erste Erfahrungen auf der Bühne. Neben einer langen Film- und Fernsehkarriere hat Raacke vor Kurzem wieder zum Theaterspielen zurückgefunden. Derzeit tourt er mit dem Stück „Die Niere“, in dem es um das Thema Organspende geht, durch deutsche Städte. Am 17. Februar ist die Inszenierung in der
Neuen Stadthalle Langen zu sehen. Wir haben mit dem in Berlin lebenden Schauspieler
über seine beruflichen Anfänge, das Problem, als Deutscher in den USA eine Rolle
zu ergattern, und seinen Organspende-Ausweis gesprochen.
Das Stück „Die Niere" ist eine Komödie. Finden Sie, dass man über das Thema Organspende lachen sollte?
Dominic Raacke: Ich glaube, man sollte über alles lachen können. Humor ist ein gutes Mittel, um Dingen zu begegnen, mit denen man Berührungsängste hat. „Die Niere" hat natürlich auch etwas Bitteres, so ist das bei Komödien: Sie brauchen ein Drama, einen Konflikt. Der ist in diesem Fall, dass der Mann nicht gleich Ja sagt, als seine Frau ihn fragt, ob er ihr eine Niere spendet. Das löst eine Ehekrise aus. Das ist auch Diskussionsstoff für das Publikum. Da werden sich einige Paare danach fragen: Würdest du das auch für mich machen? Ich denke, diese Mischung aus Unterhaltung und Relevanz, das mögen die Leute.
Kathrin, die Ehefrau, leidet an einer Niereninsuffizienz. Warum drückt sich Ehemann Arnold, den Sie spielen, eigentlich so vor der Entscheidung, ob er spenden will oder nicht?
Er hat mehrere Gründe. Eigentlich ist er in Feierlaune. Er ist ein erfolgreicher Architekt und auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Die Nachricht von der Krankheit seiner Frau macht ihm einen Strich durch die Rechnung. Aber er hat ja durchaus gute Argumente, sich die Entscheidung noch mal durch den Kopf gehen zu lassen: Eine Nierentransplantation ist nicht ohne Risiken, beide werden ja quasi gleichzeitig operiert. Sie haben Kinder, sein Hochhausprojekt steht kurz vor der Realisierung. Zugegeben, es hört sich etwas fadenscheinig an. Aber es ist nun mal ein schwieriges Thema und eine klassische Gretchenfrage.
Vor Kurzem ging es im Bundestag um Organspende - im Falle des Hirntods. Es wurde sich gegen die Widerspruchslösung entschieden. Wie finden Sie das?
Ich finde die Idee, dass jeder automatisch Organspender ist, gut und richtig. In vielen europäischen Ländern ist das seit Langem so. Und es bedeutet ja nicht, dass man nicht Nein sagen kann. Jeder wäre gezwungen, Stellung zu beziehen. Das finde ich im Prinzip richtig. Und ich verstehe auch, wenn man Bedenken hat. Denn wir wissen alle nicht, was für ein Zustand das ist, der Tod. Wo befinden wir uns da? Verlassen wir den Körper, wollen wir ihn hergeben? Ist da noch was? Dennoch hätte ich die Widerspruchslösung richtig gefunden.
In der Tat, ja.
Und was ist angekreuzt?
Ich mache es mal so, mal so. Das ganze letzte Jahr hatte ich ein Ja drinstehen. Momentan ist's ein Nein.
Wie kommt's?
Ich war eigentlich immer ein Nein-Mensch, mir ist die Vorstellung, dass mir Organe entnommen werden, ungeheuer. Als wir mit dem Stück „Die Niere" anfingen, habe ich ein Ja angekreuzt, weil ich ausprobieren wollte, wie sich das anfühlt. Es fühlte sich auch gut an. Aber jetzt habe ich es wieder geändert, es ist ja eine freie Entscheidung.
Sind Sie mit dem Stück „Die Niere" auf Aufklärungsmission?
Nein. Unsere Mission ist es, die Leute zu unterhalten. Wir sind nicht vom Bundesgesundheitsministerium. Das Stück ist eine Produktion der Komödie am Kurfürstendamm, und die schicken öfters mal ein Stück auf Reise. Die Idee ist, in Gegenden zu spielen, die kulturell nicht so verwöhnt sind. Und die Zuschauer finden es toll, bisher waren wir immer ausverkauft, und es gab jeden Abend Standing Ovations.
Meine Schauspielerkarriere hat in Hanau begonnen. Vor genau 45 Jahren habe ich in der Schule zusammen mit Freunden und einem jungen Referendar eine Theatergruppe gegründet. Das erste Stück war „Leonce und Lena" von Georg Büchner, ich habe den König gespielt. Da habe ich gemerkt, wie toll es ist, vor Publikum auf der Bühne zu stehen. Das sind schöne Erinnerungen, und ich freue mich, mal wieder in die Heimat zu kommen.
Oft sind Sie aber nicht in der Gegend, oder?
Nein, Hanau und selbst Frankfurt sind keine Städte, wo man als Filmschauspieler unbedingt oft hinkommt. Aber im Herzen bin ich schon ein Hanauer und ein echter Hesse. Und wenn ich das Hessische höre, dann geht mir sowieso das Herz auf. Ich mag den Humor und das Handfeste der Hessen.
Ihr Vater hat an der Staatlichen Zeichenakademie in Hanau studiert, war Goldschmied, Kunstprofessor, Produktdesigner, Ihre Mutter war Bildhauerin und Designerin. Sie sind in einem künstlerischen Umfeld groß geworden. Hat Sie das in Ihrer Berufswahl beeinflusst?
Sie haben dann am Frankfurter Schauspiel hospitiert. Das war eine wilde Zeit in den 70ern mit Peter Palitzschs Mitbestimmungstheater und seinen Skandalaufführungen. Das war sicher aufregend!
Ich war ein halbes Jahr dort. Aber das ganze Politische habe ich gar nicht mitgekriegt. Ich war bei Wilfried Minks, der hat einen ganz klassischen „Sommernachtstraum" von Shakespeare gemacht. Als ich noch in der Schule war, sind wir immer nach Frankfurt gepilgert und fanden das ganz toll, diese Aura des Theaters. Aber als ich das Ganze dann von der Rückseite gesehen habe, war ich plötzlich ziemlich enttäuscht. Da saßen „unsere Stars" dann bei Bier und Würstchen in der Kantine, und der ganze Zauber war verflogen.
Die Entscheidung: Film oder Theaterspielen?Sie haben sich dann eher auf den Film konzentriert.
Ja, Film war und ist für mich das magischere Medium. Das Theaterspielen habe ich erst vor ein paar Jahren wiederentdeckt.
Was ist das Tolle daran?
Die lange Probenzeit am Theater, das ist ein großer Luxus. Beim Film gibt es einen viel höheren ökonomischen Druck, jeder Drehtag kostet, da bleibt nicht viel Zeit zum Ausprobieren. Außerdem ist es für eine alte Rampensau wie mich toll, in direktem Kontakt mit dem Publikum zu sein, sie zu lenken, zum Lachen zu bringen, zu überraschen. Ich habe einfach wahnsinnig Lust zu spielen, da geht mir das Herz auf, das erfüllt mich.
Damals sind Sie erst mal auf eine Schauspielschule nach New York gegangen - um dort groß rauszukommen?
So einfach war das leider nicht. In den USA merkt man, wie deutsch, wie europäisch man doch ist. Der Beruf hat viel mit Sprache, mit der eigenen Herkunft zu tun. Man ist sein eigenes Produkt. Und man merkt dann, wie eingeschränkt die Chancen für einen in diesem anderen Land sind. Du bist und bleibst der Deutsche, auch wenn du sehr gut Englisch sprichst. Da bleibt die Rollenauswahl doch eher klein.
Also hätten Sie nur den Nazi oder andere Bösewichte spielen können?
Nein, das hätte ich ja durchaus gemacht. Aber man kommt gar nicht erst an Rollen. Ohne Green Card und das komplizierte Gewerkschaftssystem ist es unmöglich, in Amerika zu arbeiten. Wer es als Europäer in Hollywood schafft, wird eigentlich immer in seinem eigenen Land entdeckt, das gilt für Franka Potente wie für Daniel Brühl. Oder du machst eben den Sprung mit einem Hollywoodfilm, der in Deutschland gedreht wird, wie Christoph Waltz bei „Inglourious Basterds".
Hätten Sie sich das auch gewünscht, dass Hollywood bei Ihnen klingelt?
Ja klar! Gibt es jemanden, der sich das nicht wünscht?
Das hatte der Sender, der rbb, so entschieden. Die wollten eine neue Konstellation haben.
War das enttäuschend für Sie? Oder doch eher eine Befreiung?
Wenn man das so lange macht, denkt man natürlich mal darüber nach, aufzuhören und etwas anderes zu machen. So war das bei mir auch. Es war eine sichere Bank: Man dreht zwei Filme im Jahr, hat ein großes Publikum. Das war schon super. Auf der anderen Seite kommt man dann auch in so eine Schleife. Die Rolle als Kommissar ist einfach limitiert, man befragt, rennt, schießt in die Luft, und am Ende siegt das Gute. Ich empfand es schon als Befreiung, auch wenn die Entscheidung vom Sender ausging. Meine Rollen seitdem sind ambivalenter geworden, und komplexer. Und wer weiß, ob ich sonst zum Theaterspielen zurückgefunden hätte. Der „Tatort" hat mich endgültig populär gemacht, das hat meiner Karriere schon enorm geholfen.
Ab dem 6. Februar sind Sie in dem Film „Enkel für Anfänger" im Kino zu sehen. Das große Geld für Produktionen liegt ja mittlerweile eher bei den Streamingdiensten. Hätten Sie auch mal Lust, in einer Netflix- oder Amazon-Serie mitzuspielen?
Ja natürlich! Serien fand ich schon immer gut. Das lineare Fernsehen stirbt ja tatsächlich aus. Wir schauen jetzt, wann wir wollen und auch wie lange wir wollen. Als Netflix mit „House of Cards" rauskam und alle Folgen gleichzeitig online stellte, war das eine Sensation und hat unser Sehverhalten revolutioniert. Fernsehen wurde plötzlich episch. Ich liebe „The Crown", „Fleabag", „The Affair". Das Netz ist voll toller Geschichten.
Ich würde gerne mal was Historisches machen oder auch was richtig Komisches. Vor 25 Jahren habe ich mit dem Regisseur Ralf Huettner eine Mini-Serie fürs ZDF entwickelt, die hieß „Um die 30" und war so eine Art Hommage an unsere Generation, die Babyboomer. Im Sommer drehen wir die Fortsetzung dazu, „Um die 50". Es wird ein 90-Minüter, und wer weiß, vielleicht wird ja auch wieder eine Serie daraus.
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