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Bremer Vater verklagt Bildungsbehörde

Marcus Schneiders Sohn hat keinen Platz in einer städtischen Kita bekommen, nun wird er in einer privaten Einrichtung betreut.

14 Kilometer Umweg, jeden Wochentag. Diese Strecke müssen Marcus Schneider und seine Frau zurücklegen, um ihren kleinen Sohn in die Kita zu bringen. Einmal quer durch die Stadt, bis zu einer privaten Betreuung, weil er keinen Platz in einer städtischen Kita in Wohnortnähe bekommen hat. Deswegen baten die Eltern die Stadt, wenigstens den Differenzbetrag von 77 Euro, den die private Kita mehr kostet, zu übernehmen.

Die Stadt lehnte ab, die Eltern bohrten nach. Jetzt wirft die Behörde ihnen vor, sie hätten mit Absicht einen privaten Kita-Platz gewählt, um Geld von der Stadt zu fordern. Marcus Schneider hat genug. Er hat die Stadt Bremen verklagt. Ein Sonntagnachmittag Ende Februar. Der kleine Schneider, wie Marcus Schneider seinen Sohn nennt, sitzt am Esszimmertisch der Familie, die Terrassentür gibt den Blick auf einen kleinen Garten und die umstehenden Häuser im Neubaugebiet in Habenhausen frei.

Es geht ihnen nicht ums Geld

„Es geht uns gut", sagt Marcus Schneider und streicht seinem Sohn über die Haare. „Hier geht es nicht ums Geld." Der Eineinhalbjährige greift nach den Unterlagen, die auf dem Tisch verteilt sind, versucht die Tasten des Laptops zu drücken, der vor seinem Vater steht. Der Streit um den Kita-Platz des Jungen ist nicht einfach zu erklären. Schneider hat alles dokumentiert, kann jeden Schritt chronologisch aufzählen, mit datierten Schreiben belegen, manchmal auswendig zitieren.

Alles beginnt im Januar 2018, als Schneider und seine Frau einen Kita-Platz suchen. Sie füllen einen Antrag in einer Einrichtung ganz in der Nähe ihres Wohnortes aus, reichen ihn bei der Kita-Leitung ein. Sie wollen vorbereitet sein, wenn ihr Sohn im Juni ein Jahr alt wird und die Elternzeit der Mutter endet. Um sicher zu gehen, informieren sie sich auch über eine private Kita. Die Mutter muss ihren Arbeitgeber spätestens im März informieren, ob sie im Juni zurückkommen kann.

60 Kinder ohne Kitaplatz

Im März 2018 kommt die Absage der Wunsch-Kita, auch eine weitere Kita in Wohnortnähe hat keinen Platz für den Jungen, das hat die Leiterin der Wunsch-Kita geprüft. Also meldet Schneider seinen Sohn in einer Privatbetreuung im Technologiepark an, 590 Euro kostet sie monatlich, in einer städtischen Einrichtung wären es 430 Euro.

Schon im Mai 2018 stellt Schneider deshalb einen Erstattungsantrag. Abzüglich der 83 Euro Verpflegungskostenanteil, den Eltern selber tragen müssen, entstehen den Schneiders pro Monat 77 Euro Mehrkosten allein an Kita-Gebühren. Ab August bringt Schneider seinen Sohn morgens in die private Kita, um 14 Uhr holt seine Frau ihn wieder ab. Sie beginnt nach der Eingewöhnung des Kleinen wieder zu arbeiten - drei Monate später als geplant. Sie büßt damit drei Monatsgehälter ein.

Begründung für die Ablehnung bleibt aus

Im Herbst dann die Antwort der Bildungsbehörde: Den Eltern sei die finanzielle Mehrbelastung „zuzumuten", sie verdienen zu viel, der Antrag wird abgelehnt. Schneider ruft bei der Behörde an und hakt nach. Er gerät an einen Sachbearbeiter, der aus der Baubehörde dorthin versetzt wurde, um Anträge abzuarbeiten. Der kann nicht weiterhelfen, auch eine Weiterleitung zu einem Vorgesetzten bringt keine Ergebnisse. Er solle noch einmal an die Behörde schreiben, die Begründung für die Ablehnung bleibt aus.

Ende Oktober schaltet Schneider einen Anwalt ein. Er klagt auf Schadenersatz: Nicht nur die 77 Euro Mehrkosten pro Monat soll die Behörde für das erste Kita-Jahr erstatten, sondern auch das Geld für den zusätzlichen Fahrtweg. Nach Rechnung der Schneiders sind das 300 Kilometer im Monat, verrechnet mit 30 Cent pro gefahrenen Kilometer. Gesamtkosten: knapp 2000 Euro.

Die Kita-Offensive

Was folgt, ist ein Papierkrieg, in dem jede Aussage der Schneiders mit einer Gegendarstellung der Bildungsbehörde beantwortet wird. Schneider hat jedes Schreiben abgeheftet, er hat selbst Jura studiert und sieht in der Argumentation der Verwaltung zahlreiche Lücken. Zudem, sagt er, habe die Verwaltung unzählige Fehler gemacht.

Das beginnt beim Anmeldeversuch im Januar: Einen Kita-Pass, den der kleine Schneider automatisch hätte bekommen müssen, hat die Familie nie bekommen. Eigentlich ist dieses Dokument zwingend für die Anmeldung nötig, sagte damals die Leiterin. Die Familie füllte den Antrag ohne den Pass aus, die Leiterin nahm ihn an. Schneider kontaktierte daraufhin die Behörde, die antwortete, im „Hintergrund laufe ein entsprechendes Verfahren", um das Dokument nachzureichen. Die Schneiders haben es bis heute nicht.

Vorwürfe von der Behörde

Die Zumutbarkeit der finanziellen Belastung, erklärt er, beruhe auf einem Ermessensentscheid. Das heißt: Die Behörde muss ihre Entscheidung ausführlich begründen. Außerdem bestehe der Anspruch auf einen Kita-Platz unabhängig vom Gehalt: „Die verkennen ihre Rechtspflicht." Auch, dass er noch einen weiteren Brief mit seinen Forderungen schreiben musste, hält er für „juristischen Nonsens". Schon die Ablehnung des Erstattungsantrags sei ein Verwaltungsakt gewesen. Da es in Bremen in diesen Sachen kein Widerspruchsverfahren gebe, sei ein solcher Brief sinnlos. Schneider ist wütend, hebt jedes Schreiben in die Höhe, wenn er spricht.

Dann kommt der Januar 2019. Ein vierseitiges Schreiben der Prozessbevollmächtigten der Bildungsbehörde landet bei den Schneiders. Darin erklärt die Behörde, die Eltern hätten sich nicht richtig um einen Kita-Platz bemüht, hätten nicht richtig gesucht, hätten ihren rechtlichen Anspruch auf einen öffentlichen Platz nicht geltend gemacht. Schlimmer noch: Sie sollen sich nicht darum gekümmert haben, auf eine Warteliste für eine öffentliche Kita zu kommen, sondern hätten die private Einrichtung bewusst gewählt.

Schwanewede schafft neue Kita-Plätze

Schon zu diesem Zeitpunkt, vermutet die Prozessbevollmächtigte, hätten die Schneiders geplant, die Mehrkosten einzuklagen. Da war für Marcus Schneider das Maß voll. „Die Stadt versäumt es, ihre rechtlichen Pflichten wahrzunehmen und bezichtigt uns des Betruges." Er habe trotzdem im Januar erneut einen Antrag für das neue Kita-Jahr ausgefüllt, damit sein Sohn vielleicht ab Herbst 2019 in der Nähe betreut werden kann. Auch, damit der Kleine Freunde finden kann, die ganz in seiner Nähe wohnen. Schneider streicht seinem Sohn wieder über den Kopf. Der versucht weiterhin, auf die Tasten des Laptops zu drücken.

Acht Wochen später ist klar: Das Kind hat wieder keinen städtischen Kita-Platz bekommen, er ist erneut in der privaten Einrichtungen angemeldet. In diesen acht Wochen, sagt Schneider beim Treffen in einem Café, herrschte auch im Papierkrieg zwischen ihm und der Behörde Ruhe. Bis jetzt. Nun, sagt er, behaupte die Stadt, er und seine Frau hätten nie einen Anspruch auf Kinderbetreuung geltend gemacht.

"Einer städtischen Verwaltung nicht mehr würdig"

Einen Antrag in der Kita zu stellen, reiche nicht aus, hat man ihnen mitgeteilt. Die Eltern hätten sich beim zuständigen Träger der Jugendhilfe melden müssen. Stattdessen hätten sie einen Platz in der privaten Kita angenommen, ohne „weitere Hilfe" von der Behörde in Anspruch zu nehmen. Schneider zieht einen Flyer der Stadt Bremen aus seiner Tasche, auf dem Kinderbetreuungsangebote aufgelistet sind. Dort heißt es: „Für einen Kita-Platz melden Sie Ihr Kind in der Einrichtung an."

Und weiter: „Die Kita-Leitungen und Fachberatungen sprechen sich in den Stadtteilen untereinander ab, damit möglichst viele Kinder einen Platz in der Nähe ihrer Wohnung bekommen." Für ihn ist klar: Die Kita kümmert sich um die Platzvergabe, fragt auch bei anderen Einrichtungen nach. Dass sich Eltern nach einer Ablehnung selber auf die Suche nach einem Kita-Platz machen, sei absurd. „Was Bremen hier abliefert, ist einer städtischen Verwaltung nicht mehr würdig."

Schneider hat inzwischen seine Klage auf Kostenerstattung auf das zweite Kita-Jahr ausgeweitet. Aber eigentlich geht es ihm ums Prinzip: „Wenn ich schon die Arbeit der Behörde mache, erwarte ich ein bisschen Fairness." Das Geld, das er erstattet haben will, sei inzwischen ohnehin zu großen Teilen in die Verfahrenskosten geflossen. Hätte es von der Behörde ein Friedensangebot gegeben, ja, vielleicht ein Eingeständnis, dass etwas schief gelaufen sei - er hätte eingelenkt, sagt Schneider. Das Bildungsressort wollte sich auf Anfrage nicht zu dem laufenden Verfahren äußern. Der Streit wird wohl erst im kommenden Jahr vor Gericht entschieden. Bis dahin fahren die Schneiders ihren Sohn in die private Kita. Jeden Wochentag. 14 Kilometer.

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