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Senatsmedaille für Meeresgeologen

Gerold Wefer, Initiator des Zentrums für Marine Umweltwissenschaften (Marum) und des Hauses der Wissenschaft hinter dem Dom, wird diesen Dienstag mit der Senatsmedaille für Kunst und Wissenschaft ausgezeichnet.

Das Wort „Ich" benutzt Gerold Wefer selten. Selbst dann, wenn es um ihn, um seine Leistungen als Geologe, um seinen Werdegang geht: Er sagt „wir" oder „man". Dabei hätte der 75-Jährige allen Grund dazu, sich mit seinen Errungenschaften zu brüsten: ­Initiator des Zentrums für Marine Umweltwissenschaften, kurz: Marum, Aufbau des Hauses der Wissenschaft, Forschungsreisen, Publikationen. Doch in Wefers Wahrnehmung steht er selbst im Hintergrund: „Die Wissenschaft ist an erster Stelle." Diesen Dienstag wird Wefer in der Oberen Rathaushalle die Senatsmedaille für Kunst und Wissenschaft verliehen.

Gerold Wefer steht am Fenster seines spärlich eingerichteten Büros im Haus der Wissenschaft, dem Panorama mit Domshof und Rathaus hat er den Rücken zugewandt. Mit dem blauen Jackett, dem Nadelstreifenhemd und dem roten Halstuch sieht er genau so aus, wie man sich einen Professor vorstellt. Er zeigt auf die freiliegenden Dachbalken und das rot-braune Backsteinmauerwerk. „Ein Haus mit Geschichte, gebaut am Ende des Mittelalters", sagt er.

Dass der Verein Haus der Wissenschaft genau hier, direkt hinter dem Dom, seinen Sitz hat, ist Gerold Wefer zu verdanken. Er schrieb vor gut 15 Jahren einen 15-seitigen Antrag an den damaligen Bürgermeister Henning Scherf, um die Wissenschaft in die Mitte der Stadt zu holen. Einen Treffpunkt für Forscher und Bürger zu schaffen, das war das Ziel. „Wir wollten die Menschen beteiligen", erklärt er die Idee. „Der Handel hatte ein Haus im Schütting, mit Blick aufs Rathaus. Warum also nicht auch die Wissenschaft?" Der Verein Haus der Wissenschaft im gleichnamigen Haus unweit des Domshofes ist inzwischen eine bremische Institution, Wefer ist bis heute Vorstandsvorsitzender.

Ratschläge für junge Wissenschaftler

In seinem Büro mit dem Ausblick ist Wefer nur noch zweimal die Woche. Sein Leben, sagt er, sei in den vergangenen Jahren ruhiger geworden. Früher, da habe er manchmal alle halbe Stunde einen anderen Termin gehabt. Heute seien es nur wenige - drei oder vier pro Tag. Noch immer forscht er, besucht Seminare und Vorlesungen als Zuhörer, berät sich mit den Kollegen im Marum, steht jungen Wissenschaftlern mit Ratschlägen zur Seite.

Wefer sagt das alles mit nüchternem Ton und monotoner Stimme, als sei sein Rat nichts Besonderes. Sein Lebenslauf erzählt eine andere Geschichte: Studium der Geologie-Paläontologie in Kiel und Miami, Diplomarbeit, Promotion, Habilitation. Im Oktober 1985 trat er eine Professur mit Schwerpunkt Meeresgeologie an der Uni Bremen an, baute den Fachbereich Geowissenschaften mit auf. 1989 brachte er den Sonderforschungsbereich „Südatlantik" an die Universität, der Grundstein für die Meeresforschung. 2001 kam das Forschungszentrum „Ozeanränder" dazu, im selben Jahr wurde das Marum gegründet, das er bis 2012 leitete. Die Uni hat ihm die Einwerbung des Bohrkernlagers im Jahr 1994 zu verdanken, in dem aktuell 155 Kilometer Bohrkerne aus 89 Expeditionen lagern, auch das erste Exzellenzcluster im Jahr 2007 fällt in seine Amtszeit.

Dass das Marum einmal diesen Status, diese Größe haben würde, das habe er nicht gedacht. Ähnlich wie das Haus der Wissenschaft begann das Marum mit einem Konzeptpapier, das war 1996. Darin setzte sich Wefer als Professor der Uni Bremen für die Stärkung der Meereswissenschaften ein. „Ich war immer von Neugier getrieben", sagt er. „Wenn ich in meiner Forschung Fragen beantwortet habe, stellten sich immer neue Fragen." Inzwischen hat das Marum 400 Mitarbeiter, ist eines der angesehensten Meeresforschungsinstitute der Welt. Über seine Rolle dabei redet er ungern, faltet erst die Hände vor sich auf dem Tisch, dann verschränkt er die Arme. „Ich war der Initiator und habe es aufgebaut", sagt er. „Aber jetzt machen es andere. Sie sollen auch die Wertschätzung bekommen."

Viel Zeit in der Natur

Einmal ein Forschungsinstitut zu leiten war Gerold Wefer nicht vorbestimmt: 1944 im kleinen Jaderberg in Niedersachen geboren, besuchte er in seinem Heimatort die Volksschule, das sieben Kilometer entfernte Gymnasium dann nicht mehr. „Es gab in meiner Familie keine Tradition, aufs Gymnasium zu gehen", sagt Wefer. Also begann er mit 14 Jahren eine Beamtenausbildung bei der Deutschen Bundesbahn. Erst als er merke, dass das Abitur seine Beamtenlaufbahn erleichtern würde, holte er den Abschluss auf der Erwachsenenschule Oldenburg-Kolleg in Delmenhorst nach. „Dann wollte ich auch nicht mehr zur Eisenbahn zurück." Im Alter von 22 Jahren begann er zunächst ein Studium in Heidelberg in Mathematik und Physik. Im ersten Semester wurde er zum Grundwehrdienst nach Oldenburg eingezogen.

Die Zeit beim Bund gefiel ihm nicht. Und doch entschied sie über seinen weiteren ­Lebensweg. Denn während er mit der Einheit viel Zeit in der Natur verbrachte, fasste er den Vorsatz, nach dem Wehrdienst eine Naturwissenschaft zu studieren. Und zwar eine, mit der er nicht im Labor landen, sondern draußen forschen würde. „Da gibt es nicht viele Fächer", so Wefer. Die Entscheidung fiel auf die Geologie. Und so führte ihn sein Weg an die Universität Kiel.

Der Weg zum Schwerpunkt Meeresforschung war für Wefer selbstverständlich. „Im Studium beschäftigt man sich viel mit dem Ozean. 71 Prozent der Erde sind mit Wasser bedeckt." Ohnehin spielte das Meer immer eine große Rolle in seinem Leben: Erst in seiner Kindheit, in der er mit dem Rad an den ­Jadebusen fuhr, dann in der Studienzeit, als er begann, für Forschungsreisen zur See zu fahren. „Ich hatte immer eine große Beziehung zum Meer." 1970 fuhr er erstmals auf einem Forschungsschiff bei Bornholm mit, im Jahr darauf die nächste Expedition nach Westafrika. Da war Wefer noch studentische Hilfskraft. „Nach dem ersten Mal auf hoher See wusste ich: Das will ich wieder machen, das ist mein Beruf."

Auf allen Kontinenten der Erde

Vier Jahre lang fuhr er insgesamt zur See, verteilt auf knapp 40 Expeditionen. „Ein einzigartiges, aufregendes Gefühl, jedes Mal, wenn ich ein Schiff betrat." Es sei eine Belohnung gewesen, so die Welt kennen zu lernen, mit vielen Menschen aus unterschiedlichen Kulturen zusammen zu arbeiten, sich gemeinsam der Forschung zu widmen.„Das würde ich nicht als Arbeit bezeichnen. Das hat mein Leben bereichert."

Wefer hat auf allen Kontinenten der Erde geforscht, war in Neuseeland, in der Arktis, auf den Bahamas. Immer in Meeresnähe. Am Ende einer Expedition sei er zwar erleichtert gewesen, wieder zu Hause zu sein - aber nach wenigen Monaten hatte er schon wieder Lust auf die nächste. Sogar als er seltener auf ­Expeditionen ging und sich mehr dem administrativen Geschäft widmete: Die Leidenschaft fürs Wasser ist geblieben. „Selbst wenn ich im Gebirge übernachte, suche ich immer ein Hotel an einem See mit Blick aufs Wasser."

Manchmal, sagt Wefer, vermisse er die ­Expeditionen. Die Momente in der Antarktis und Arktis, als er Pinguinen und Eisbären begegnete. Die Aha-Erlebnisse, wenn er Proben aus der Tiefsee an Deck holte. „Das machen jetzt jüngere Leute", sagt er. „Und das ist auch richtig so."

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