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Reise ins Unbekannte

Sabine Baumgart ist ehemalige Professorin für Stadtplanung. Obwohl sie seit einem Jahr im Ruhestand ist, ist die Bremerin noch immer in der Lehre aktiv.

Dass Sabine Baumgart einmal ausgerechnet der Nordirak begeistern würde, hätte sie vor einem halben Jahr nicht gedacht. Als sie im Februar zum ersten Mal als Gastdozentin nach Dohuk, einer Stadt inmitten der Autonomen Region Kurdistan, fuhr, hatte sie Bedenken: Wie steht es um die Sicherheit in der Region, wie würde sie dort leben? Doch ihr zweiwöchiger Besuch hat ihre Sicht auf den Nordirak geändert. „Ich bin begeistert", sagt die Professorin für Stadt- und Regionalplanung. „Deswegen fahre ich gerne nochmal hin." Im September gastiert sie wieder an der Universität in Dohuk - und kann es kaum erwarten, das Land weiter zu erkunden.

Eigentlich ist Baumgart seit einem Jahr im Ruhestand. Vorher war sie 16 Jahre Leiterin des Fachgebietes Stadt- und Regionalplanung an der Fakultät Raumplanung der Technischen Universität Dortmund, seit 2004 ist sie Partnerin im Bremer Stadtplanungsbüro „BPW Baumgart + Partner". Wirklich Ruhe hat sie sich seitdem aber nicht gegönnt: „Man leidet darunter, weil man nicht mehr aktives Mitglied einer Universität als Institution ist", sagt die Stadtplanerin beim Gespräch in ihrem Haus im Bremer Viertel, „das habe ich ausgeglichen." Jahrelang ist sie für ihre Lehrtätigkeit nach Dortmund gependelt - das Einzige, was sie im Ruhestand aufgegeben hat. Ihrer Fakultät ist sie trotzdem noch immer eng verbunden, seit diesem Jahr ist sie außerdem Präsidentin der Akademie für Raumforschung und Landesplanung mit Sitz in Hannover.

Ihre Forschungsarbeit brachte Baumgart schon immer in andere Ländern, sie zählt Bangladesch und verschiedene afrikanische Staaten auf. „Ich habe schon immer international gearbeitet", sagt sie. Doch der Nordirak war auch für die erfahrene Dozentin neu. Schon seit acht Jahren kooperiert ihre Heimatuniversität in Dortmund mit der Universität in Dohuk, denn dort wird ein Stadtplanungsstudiengang nach Dortmunder Vorbild aufgebaut. Das hat einen Grund: Die Fakultät in Dortmund ist die größte ihrer Art in Europa. Auch Baumgart arbeitete schon einige Jahre mit Studierenden aus Dohuk zusammen, die in Dortmund gastierten. Die Gelegenheit, sich selber ein Bild von der Stadt gut eineinhalb Autostunden nördlich von Mossul zu machen, hatte sie während ihrer Lehrtätigkeit allerdings nicht.

Deswegen nutzte sie die Chance im Februar sofort: „Ich fand es reizvoll, dort nochmal in die Lehre einzusteigen und das Land kennenzulernen." Die Bedenken vor der Abreise? Nach der Ankunft in Dohuk waren sie schnell verflogen. „Wenn man dort ist, hat man nicht das Gefühl, dass man sich Sorgen machen müsste", erklärt Baumgart. Ihre Erlebnisse hat sie in einem Reisetagebuch zusammengefasst, das mehrseitige Dokument hat sie vor sich auf den Tisch gelegt. Immer wieder blättert sie durch die Seiten ihres Berichts - die Reise hat sie, obwohl sie schon so oft international gearbeitet hat und viel gereist ist, sichtlich beeindruckt.

Ihre Begeisterung hat nicht nur mit dem ungewöhnlichen Reiseziel, sondern auch mit der Arbeit mit den Studierenden und den Lehrenden vor Ort zu tun, sagt Baumgart. „Die Themen sind dort sehr ähnlich, auch wenn die Rahmenbedingungen anders sind." Globalisierung, wirtschaftlicher Wandel im Einzelhandel, Verkehr, all das bewege auch die Stadtplaner in Dohuk. Jeden Tag von neun bis 16 Uhr arbeitete sie in der Uni, betreute Studierende und Doktoranden, tauschte sich mit den Kolleginnen und Kollegen aus.

Wie die Stadt Dohuk aussehen würde, davon hatte Baumgart vor der Reise keine Vorstellung. Jetzt, ein halbes Jahr später, beschreibt sie begeistert ihre Eindrücke von ihren Stadtspaziergängen: Stadtteile mit modernen, vielgeschossigen Gebäude grenzten an solche mit kleinen, schmalen Straßen, in deren Mitte noch das Abwasser läuft. Millionärsviertel, abgeschlossen durch Mauern und Sicherheitsanlagen, Hochhaussiedlungen und ein gigantischer Stausee umgeben von Neubauten, all das entdeckte Baumgart auf ihren Rundgängen in Dohuk. „Die Stadt ist stark fragmentiert. Es gibt kein einzelnes Zentrum, sondern viele kleine." Hauptverkehrsmittel im gesamten Stadtgebiet: das Auto. „Öffentlichen Nahverkehr gibt es dort praktisch gar nicht." Zur Universität und wieder zurück war Baumgart auf Taxis angewiesen.

Besonders beeindruckt hat die Stadtplanerin allerdings nicht nur die Stadt, sondern vor allem eine Reise in den Norden an die iranische Grenze mit einem früheren Doktoranden: Er zeigte Baumgart ein kleines Dorf, an dessen Rand eine Höhle als Treffpunkt der religiösen Gruppe der Bahai dient. Dieser Ort soll durch bessere Infrastruktur für die Mitglieder der Bevölkerungsgruppe erreichbar gemacht werden. Dafür engagiert sich der ehemalige Doktorand besonders, er gehört selber den Bahai an. „Das war ein toller Tag", sagt Baumgart über die vierstündige Autofahrt in den abgelegenen Ort. „Die Landschaft war fantastisch: große Weiten, grüne, sanft bewachsene Hügel wechselten sich mit schroffen Felsen und einer abwechslungsreichen, sogar mit Schnee bedeckten Gebirgslandschaft ab", schwärmt sie.

Auch die Menschen im Nordirak haben sie begeistert: Oft wurde sie von Dozenten und Kollegen eingeladen, jedes Mal wurde sie mit "unglaublicher Gastfreundschaft und viel Essen" empfangen. Auch deshalb ist sie jetzt schon voller Vorfreude, wieder dorthin zu fahren - auch wenn die internationalen Konflikte mit dem Iran und den USA sie sorgen. "Man denkt viel über die Sicherheitslage nach", sagt sie. "Ich kann mir aussuchen, ob ich hinfahre." Auch da zeigt sich ihre Verbundenheit mit Kollegen und Studierenden in Dohuk: "Die Menschen, die dort leben und arbeiten, haben dort ihre Heimat."

Ihren Reisebericht wird Baumgart im September noch um Einiges verlängern müssen: Sie hat noch viel vor. Sie will noch mehr von Dohuk, mehr von den Landschaften sehen. „Ich will mehr über die Region lernen." Besonders interessiert sie ein Jahrhunderte alter Basar in der Stadt Zaxo, der wieder kultiviert werden soll - die Bachelorarbeit eines Studenten hat sie darauf gebracht. „Das will ich unbedingt sehen." Auch die historischen Städte Amediye und Akrê, die auf Bergplateaus liegen und für deren Erhaltung sich die Stadtplaner in Dohuk einsetzen, sind zwei ihrer Reiseziele. Aus ihrer Zeit in Dohuk hat sie schon jetzt viele Erinnerungen mitgenommen; im Herbst werden es noch mehr werden.

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