Nein heißt Nein - und auch knappe Kleidung ist keine Einladung zum Anfassen: Das findet nicht nur unsere Autorin Lisa-Maria Röhling, sondern auch eine Demonstrantin in Berlin (Archivbild).
Seit den Enthüllungen über den sexuellen Missbrauch junger Frauen durch den Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein ist ein Knoten geplatzt. Denn auch wenn klar ist, dass seine Eskapaden eine unvergleichliche Dimension hatten - die Strukturen für derartigen Missbrauch sind überall zu spüren. Dieser Tage teilen unter den Hashtags #metoo oder dem französischen #balancetonporc (dt: Verpfeif das Schwein) tausende Frauen ihre Erlebnisse mit Missbrauch und Gewalt. Denn sie alle verbindet eines: das Schweigen. Doch es geht nicht um die Fehltritte eines Mannes. Wir müssen uns als Gesellschaft darüber Gedanken machen, warum sexueller Missbrauch - an Männern und an Frauen - immer noch ein Tabuthema ist.
Weinstein verkörpert ein erschreckendes Extrem des systematischen sexuellen Missbrauchs: Er hat seine Machtposition schamlos ausgenutzt, um jungen Frauen am Anfang ihrer Karriere widerlichste Avancen zu machen. Das reichte von anzüglichen Bemerkungen über aufdringliches Verhalten in Hotelzimmern bis hin zu sexueller Gewalt. Das Schweigen der Opfer hat er sich mit seinem Einfluss erkauft. Inzwischen hat er keine Machtposition mehr inne, auch andere wie der Chef der Amazon-Studios, Roy Price, müssen ihren Posten räumen. Damit ist das Problem aber längst nicht gelöst.
Nein, es ist nicht nur die glitzernde Glamourwelt Hollywoods, in der Frauen derart ausgenutzt und belästigt werden. Sondern überall. Das ist spätestens seit der Enthüllung der schwedischen Außenministerin Margot Wallström klar, die in den höchsten Kreisen der Politik belästigt wurde. Die Bandbreite der sexuellen Belästigung ist groß, von unangebrachten Kommentaren über das Aussehen der Staatssekretärin Sawsan Chebli in Berlin bis hin zu systematischen Missbrauch wie im Falle Weinstein.
Sicherlich ist der Fall Chebli nicht mit derartiger Gewalt zu vergleichen, wie sie in Hollywood geschehen ist. Das nutzen die Skeptiker: Ach, eine Hand am Hintern, ein Kompliment über das Aussehen, was macht das schon? Überzogener Feminismus sei das, hysterisch und empfindlich. Schließlich seien das nur Komplimente, die vor einigen Jahren noch absolut salonfähig gewesen seien.
Schutz der TäterWährend den Opfern oft vorgeworfen wird, zu zimperlich zu sein oder sich nicht gewehrt zu haben, wird das Verhalten der Männer meist abgewiegelt. Weinstein sei ein Dinosaurier, sagte eine Anwältin kürzlich, der sich in der heutigen Zeit zurechtfinden müsse. Ähnlich tat man Rainer Brüderles Verhalten, das zum Hashtag #aufschrei führte, mit Altherrengebaren ab. Wer so argumentiert, schadet den Opfern noch mehr und schützt die Täter: Keine Frau und auch kein Mann fordern heraus, physisch oder psychisch misshandelt zu werden. Nicht mit Worten, nicht mit Gesten und schon gar nicht mit ihrer Kleidung.
Ab dem Moment, wo sich jemand belästigt fühlt, ist jede Handlung ein Problem. Der Maßstab darf nicht die Schwere des Übergriffs sein, sondern die Wirkung auf das Opfer. Denn einer Frau muss nicht erst brutale Gewalt angetan werden, bevor die Gesellschaft einsehen muss, dass auch vermeintlich kleinere Zwischenfälle die Betroffenen belasten.
Sexismus und Gewalt bedingen sich oftmals gegenseitig. Dahinter steckt das krude Bild, dass Frauen weniger wert sind. Dass es hysterisch ist, wenn sie sich über Missstände und Sexismus aufregen. Dass es lächerlich ist, wenn sie professionelles Verhalten am Arbeitsplatz erwarten. Dass sie sich nicht zieren sollen, wenn jemand ihr Aussehen kommentiert. Solche Sprüche finden sich dieser Tage in den sozialen Netzwerken zuhauf.
Wir leben in einer Gesellschaft, in der Frauen immer noch gewarnt werden, abends alleine auf die Straße zu gehen. Wo selbst in politischen TV-Diskussionen Wolfgang Kubicki schmierige Kommentare gegenüber Kathrin Göring-Eckardt unbehelligt zum Besten geben kann. Jede Frau hat schon einmal einen Moment erlebt, in dem sie sich sexuell belästigt fühlte. Das Schweigen muss enden. Den Opfern muss Sicherheit im Alltag gegeben werden. Ohne, dass sie sich vor Stigmatisierungen fürchten müssen
Dazu gehören auch schärfere Rechtsnormen, die eben nicht nur brutale Gewalt bestrafen. Zu oft kommen Täter davon, wenn sie Frauen begrapscht oder bedrängt haben. Wir als Gesellschaft müssen Fälle von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz, im Verein und im öffentlichen Raum klar benennen und offenlegen. Denn Nein heißt Nein heißt Nein heißt Nein. Und jeder Mensch, der sagen muss „Ich auch", ist einer zu viel.