Der 23-jährige Extrembergsteiger David Lama gilt als Wunderkind der Kletterszene - der Cerro Torre in Patagonien als einer der am schwersten zu kletternden Berge der Welt. Diesen ist Lama als erster frei geklettert. Zum Kinostart seines Dokumentarfilms „Cerro Torre - nicht den Hauch einer Chance" spricht er über seinen Aufstieg am Torre und sein Leben als Extrembergsteiger.
2012 sind Sie die Kompressorroute am Cerro Torre frei geklettert. Wie kamen Sie auf die Idee?
Als ich 2008 im Cochamo Valley in Chile war, sah ich in einem Klettermagazin Bilder der Gipfelwand des Torres. Ich stellte mir sofort vor, wie ich ihn frei klettere. Viele gute Bergsteiger wie Jim Bridwell und Reinhold Messner hielten das für unmöglich. Der Ötztaler Hansjörg Auer, der den Torre schon selbst in technischer Kletterei bestiegen hatte, saß damals neben mir und meinte, es könne ein passendes Projekt für mich sein.
Sind Sie nicht eigentlich Sportkletterer?
Meine Wurzeln liegen im Hallen- und Wettkampfklettern. Mittlerweile sehe ich mich aber als Extrembergsteiger. Eigentlich bin ich von Beginn an zweigleisig gefahren, das unterscheidet mich sicherlich von anderen. Technik und Kraft habe ich in der Halle erarbeitet; als Wettkampfkletterer erhielt ich mit 15 Jahren die Sondergenehmigung, am Erwachsenenweltcup teilzunehmen. Ich wurde gleich beim zweiten Wettbewerb erster, dann Europameister und Weltcup-Gesamtsieger. Parallel habe ich mich stets am Fels weiterentwickelt: Mehrseillängen Routen, Big Wall Klettern, Alpinklettern - alles hauptsächlich in den Alpen, bis ich den Torre ins Auge gefasst habe. Das wahre Klettern fand für mich schon immer draußen statt.
Wie sind Sie zum Klettern gekommen?
Durch Peter Habeler - Reinhold Messners Seilpartner bei der Besteigung des Mount Everest ohne künstlichen Sauerstoff. Er engagiert sich in Nepal, dem Geburtsland meines Vaters, für die gleichen Hilfsprojekte wie meine Eltern. Als ich fünf Jahre alt war, nahm mich Peter mit in ein Klettercamp und erkannte sofort mein Gespür für den Fels.
Wie unterscheiden sich Sport- und Alpinklettern?
Beim Sportklettern steht die Leistung im Vordergrund, es gibt klare Regeln. Beim Alpinismus gibt es diese nicht, man muss sich selbst eine Haltung erarbeiten. Das ist Erfahrungssache.
Was für eine Haltung? Gegenüber dem Berg. Wenn man als Kletterer vor einer Wand steht, stellt man sich vor, wie man sie durchsteigt, ob in technischer oder freier Kletterei, und die natürlichen Strukturen durch eine Linie verbindet. Aus dieser Vorstellung ergibt sich die Haltung, sie ist für mich der größte Reiz. Mir ist es wichtig, dieser eigenen Vorstellung treu zu bleiben. Hat man sich vorgenommen, frei zu klettern, ist es für mich inakzeptabel, abzuweichen und ein paar Meter technisch zu klettern, nur weil man an einer Wand nicht durchkommt.
Haben Sie den Unterschied bei Ihrem ersten Versuch am Torre gemerkt?
Sehr. Ich kam als Sportkletterer nach El Chaltén, war Regeln gewöhnt. Nun konnte ich plötzlich machen, was ich wollte. Mir fehlte aber noch die Haltung, die Alpinismus erfordert.
Wie würden Sie Ihren Stil beschreiben? Leicht, schnell, jugendlich-frech. Jüngere Menschen sind eher gewillt, Dinge anzugehen, die als unmöglich gelten. Durch meine Erfahrung in der Halle sehe ich auch ganz andere Linien am Berg.
Wie gehen Sie mit Angst um?
Angst ist wichtig, man sollte auf sie hören, wenn man sich im Vorfeld mit dem Berg beschäftigt. Sie macht dir Gefahren bewusst, wodurch du Risiken minimieren kannst: Wer fürchtet, dass an der Ostwand des Torres Eislawinen runterkommen, wird dort nicht biwakieren. Für mich reduziert sich alles auf die Frage, ob es mir wert ist, ein Risiko für das Erlebnis einzugehen. Kann ich das bejahen, ist es für mich legitim, in die Wand zu steigen.
Was, wenn an der Wand die Angst zurückkommt?
Das ist schwer zu beschreiben. Durch Erfahrung lernt man, lähmende Angst in rationales Denken umzuwandeln, zu schauen, wie man das Beste aus der Situation macht. Das ist wichtig, denn es gibt immer unvorhergesehene Momente - zum Beispiel einen Steinschlag. Mit der Zeit hat man davor aber keine Angst mehr, sondern überlegt, wie man Gefahren am besten ausweicht.
Ihre ersten beiden Versuche am Torre scheiterten, wieso haben Sie weitergemacht?
Weil ich noch nicht wusste, ob ich es schaffen kann, meine Idee umzusetzen und diese Linie, die in meinem Kopf existierte, real werden zu lassen.
Haben Sie nie die Hoffnung verloren?
Nicht wirklich, sonst wäre ich jetzt nicht am Ziel. Nur als ich an der Bolttraverse gestürzt bin, habe ich mich gefragt, ob es wirklich funktionieren wird. Am Torre gibt es nur wenige Wetterfenster. Wenn du eine Seillänge zehnmal versuchen musst, weil du immer wieder stürzt, schaffst du es nicht. Ich wusste, ich habe nur noch zwei oder drei Versuche, bevor das Wetter umschlägt. In den fünf Jahren, in denen ich immer wieder in Patagonien war, war das Wetter genau dieses eine Mal richtig gut. Wenn es da nicht geklappt hätte, hätte ich vielleicht wieder fünf Jahre warten müssen. Als ich an der Bolttraverse vorbei war, war für mich klar, dass es jetzt einfach irgendwie gehen muss.
Wie viel der Route war geplant, wie viel entstand spontan an der Wand?
Die Fotos, die ich gesehen habe, gaben mir nur einen Überblick darüber, an welcher Stelle Felsstrukturen vorhanden sind. Die kleinen Griffe und Tritte, die ich genutzt habe, sind aber auf keinem Foto der Welt verzeichnet. An der Bolt Traverse halte ich mich an kleinen Quarzgesteinen von ein paar Millimetern fest; rechts und links pfeift es 1000 Meter hinunter auf den Gletscher. Das kann man nicht auf den Millimeter, Zentimeter oder auch nur auf den Meter genau planen. Man muss vorausschauend klettern, ein Auge für den Fels haben.
Wie war das Gefühl, als Sie auf dem Gipfel standen?
Gemischt. Du kennst das sicherlich auch: Man schließt ein großes Projekt ab und ist plötzlich gar nicht mehr so glücklich darüber. Denn dann muss man sich was Neues suchen. Trotzdem ist es ein nachhaltigeres Gefühl als ein Sieg in der Halle. Ich würde sagen, ich hatte mich vom Sportkletterer zum Extrembergsteiger entwickelt.
Haben Sie bereits ein neues Projekt?
Den Masherbrum (K1) in Pakistan. Das ist ein 7.800 Meter hoher Berg mit einer 3.500 Meter hohen Nordostwand - praktisch eine Eiger-Nordwand mit einem Cerro Torre oben drauf. Peter Ortner, Hansjörg Auer und ich wollen dort eine Route durch die noch undurchstiegene Nordostwand machen. Im Mai fahren wir runter. Wir werden auch wieder dokumentieren, allerdings selbst. Der Torre war wirklich die Grenze; am K1 wird der Kameramann nicht über das Basecamp hinausgehen. Das wäre nicht nur für ihn zu gefährlich, sondern auch für uns.