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Ehrenamt: Freiwillig im Knast | Startseite | Landesschau Rheinland-Pfalz

Wer nicht muss, der will auch nicht in den Knast. Richtig? Falsch. Allein 800 Freiwillige gehen im Namen des Caritasverbands regelmäßig hinter Gitter - als ehrenamtliche Vollzugshelfer.

In Deutschland sitzen gut 60.000 Inhaftierte in 186 Gefängnissen. Die Nachfrage nach Menschen, die mit Gefangenen ehrenamtlich arbeiten ist groß - vor allem unter den Inhaftierten. Der Alltag hinter Gittern ist trist, es fehlt an Privatsphäre und vertrauten Menschen. Gerade langjährig Inhaftierte sind oft vereinsamt, andere haben Angst vor der Rückkehr in ein normales Leben. Zwei Aspekte von vielen, bei denen das Ehrenamt hilft.

"Ehrenamtliche Vollzugshelfer bringen die Gesellschaft ins Gefängnis und die Realität des Gefängnisses in die Gesellschaft", erklärt Cornelius Wichmann, Referent des Deutschen Caritasverbandes. "Gefängnisse sind Teil der Gesellschaftsstruktur, es ist wichtig, dass auf beiden Seiten ein unverfälschtes Bild besteht und sich die Gefängnisse nicht abkoppeln".


Welten können aufeinander prallen

Die Idee zum Ehrenamt im Gefängnis ist nicht neu. In der christlichen Tradition besteht sie schon lange, erzählt Wichmann. Hilfswerke wie Caritas und Diakonie haben sie letztlich in einem eigenen Bereich institutionalisiert. Die Idee zum Ehrenamt im Gefängnis bekommen die meisten aus der Zeitung oder über Aushänge.


"Viele Helfer kommen aus der Mittelschicht, die meisten Inhaftierten aus schlechter gestellten Schichten. Welten können aufeinander prallen. Das ist wichtig, zu bedenken", erklärt Wichmann. Auswahlgespräche helfen, den passenden Helfer für einen Gefangenen zu finden. Einmal im Monat können Helfer ihre Erfahrungen in einem Gesprächskreis des Caritasverbands verarbeiten, mit dabei: Gefängnispsychologen, Gefängnispfarrer, Rechtsanwälte. Die Erfahrung zeigt: Wer einmal anfängt, macht immer weiter.

Helfer brauchen weiße Weste

Wer ehrenamtlicher Vollzugshelfer werden darf, entscheiden allerdings erst einmal die Fakten: Das Mindestalter ist 25 Jahre, ein polizeiliches Führungszeugnis muss vorgelegt werden, es darf kein Verwandtschaftsverhältnis zu Inhaftierten bestehen.

Hinzu kommt: "Die Personen müssen fest im Leben stehen, eine stabile Persönlichkeit haben und Grenzen ziehen können. Außerdem sollten sie mindestens ein Jahr lang dabei bleiben", erklärt Wichmann. Der Verband klärt Interessierte auf, informiert über Rahmenbedingungen. Die endgültige Entscheidung liegt dann aber bei den Gefängnissen - und dem ehrenamtlichen Helfer selbst.


Die meisten Ehrenamtlichen sind Studenten und Rentner, Männer wie Frauen. Manche kommen zweimal pro Woche, andere einmal im Monat. Ihre Motivation: Eine fremde Welt kennenlernen, Neugierde. Sie bleiben gegenüber den Gefangenen anonym und es ist ihnen verboten, für die Inhaftierten Botengänge außerhalb der Gefängnismauern zu erledigen.


Die meisten wollen einfach nur reden

Die Ehrenamtlichen engagieren sich in der Gruppenbetreuung darunter künstlerische Tätigkeiten, Schach und Gesprächskreise. Oft dürfen sich die Inhaftierten Gesprächsthemen wünschen, es gibt aber auch Gruppen mit festen Inhalten. In der Justizvollzugsanstalt Wittlich bietet eine Erzieherin einen Gesprächskreis zum Thema "Der inhaftierte Vater und sein Kind" an, es gibt Treffen für Alkoholiker und Drogenabhängige.


Andere Freiwillige betreuen nur einzelne Gefangene, zum Beispiel langjährig Inhaftierte, vereinsamte, als ungefährlich geltende und diejenigen, die bald entlassen werden. "Viele müssen darauf vorbereitet werden, neu lernen, wie sie sich ein Bahnticket kaufen können. Dabei hilft das Ehrenamt", erklärt Rolf Richartz, Vorsitzender des Sozialdienstes katholischer Frauen und Männer (SKFM) in Wittlich.


"Rückenwind" für Angehörige

In Wittlich gibt es eine Besonderheit: Das Pilotprojekt "Rückenwind". Ehrenamtliche Helfer bieten Angehörigen von Inhaftierten eine Anlaufstelle gleich gegenüber der Vollzugsanstalt. In Frankreich sind solche Einrichtungen verpflichtend, in Deutschland ist dies die einzige. Zehn ehrenamtliche Mitarbeiter helfen bei Rechtsfragen, Problemen mit Nachbarn, dem Ausfüllen von Anträgen, finanziellen Problemen.

Früher gab es bei der JVA Wittlich nur ein Bushäuschen, in dem die Angehörigen warten mussten, bis die Besuchszeit begann. Vor allem für Mütter mit Kindern war das schwierig. Heute können sie bei den ehrenamtlichen Mitarbeitern von "Rückenwind" warten, Kaffee und Tee trinken, sich austauschen.


Sicherheitsrisiko Windel

"Jedes Baby muss beim Eintritt in das Gefängnis neu gewickelt werden, um sicherzustellen, dass nichts in der Windel in die Haftanstalt geschleust wird. Einen Wickelraum gibt es dafür allerdings nicht", erzählt Richartz. Seitdem die Mütter ihre Taschen bei "Rückenwind" abstellen können, haben sie es leichter beim Sicherheits-Check. Auch dürfen nur maximal drei Personen gleichzeitig zu Besuch kommen. Eine Mutter mit drei Kindern muss eines draußen lassen - und kann es bei "Rückenwind"zur Betreuung abgeben.

Ehrenamtliche Helfer werden immer gesucht. Interessenten können sich an "Rückenwind" oder den Caritasverband wenden.

von Lisa Alix Brandau

Stand: 26.11.2015, 10.58 Uhr

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