In einer kleinen dunklen Küche steht eine burschikose ältere Dame mit einer Blümchen-Schürze. Vor ihr liegen ein Haufen Ingwer, einige Zitronen und Rohrzucker. Die Frau mit grauem Dutt schält ihre Zutaten auf einem Holzbrett, fast meditativ. "Genau so stellen sich alle Kunden 'Frau Ingwer' vor", lacht Amarilis Bilbeny. Doch die 39-jährige Besitzerin des Online-Geschäftes "Frau Ingwer" erfüllt das Klischee keineswegs. Sie ist jung, schlank und modern gekleidet, hat eine offene, freundliche Art und strahlend blaue Augen - und sie ist Opernsängerin. Seit einem Jahr bereitet die lebensfrohe, quirlige Frau ihren Bio-Ingwersaft und den -essig in Eigenproduktion zu - und die Kunden reißen ihr den "Zaubersaft" förmlich aus der Hand.
Von der Schweiz bis nach Deutschland
Bilbeny ist in Lausanne aufgewachsen, hat dort das Konservatorium besucht und lebt nun seit neun Jahren in Deutschland, seit vier Jahren in Hamburg. "Ich bin Opernsängerin. Also habe ich ganz oft Ingwer gekaut oder Ingwertee getrunken, um meine Stimme aufzuwärmen", erzählt sie stern Genuss. Ihre kleine Manufaktur liegt in einem Hinterhof, im Norden Hamburgs. "Irgendwann hatte ich genug von Tee und habe nach einem Rezept für Ingwersaft gesucht", erzählt sie.
So fing alles an. Denn Bilbeny wurde nicht wirklich fündig, suchte nach afrikanischen und asiatischen Rezepten und Säften - doch die enthielten für sie zu viel Zucker. Also experimentierte die Sängerin selbst monatelang mit unterschiedlichsten Zutaten in ihrer kleinen, privaten Küche, presste die Knolle aus und verfeinerte sie. "Vanille passt am besten zu Ingwer", verrät sie. "Ich wollte so wenig Rohrzucker wie möglich in meinen Saft geben. Dann dachte ich an Vanille, denn Vanille nimmt dem Ingwer ein wenig die Bitterkeit", erklärt sie, während sie den gepressten Ingwersaft in einen separaten Behälter kippt.
Als sie die richtige Rezeptur gefunden hatte, ihre Küche wie ein Schlachtfeld aussah und Freunde ihren Zaubersaft wirklich kaufen wollten, wusste Bilbeny: Nun ist es Zeit, endlich etwas aus ihrer Erfindung zu machen. "Am Anfang war es mehr eine fixe Idee, die wir nach ein paar Gläsern Wein hatten", sagt die 39-Jährige. Heute braucht sie nach nur einem Jahr schon keinen Kredit mehr - auf den Märkten wie dem treib.gut, dem Wochenmarkt am Spiritzenplatz im Hamburger Bezirk Altona oder dem Markt Besonderslecker reißen ihr die Leute ihren Saft förmlich vom Tisch. Das Geschäft mit der Pflanze trägt also seine ersten Früchte.
Im Alleingang
Im ganzen Lagerraum duftet es nach Ingwer. Der Geruch reizt ein wenig die Augen, doch Frau Ingwer macht das schon lange nichts mehr aus. Sie steht jeden Tag hier und verfeinert ihren Saft. Im Moment kann sie nicht mehr hauptberuflich singen, weil die Ingwerproduktion zu viel Zeit in Anspruch nimmt. Trotzdem hält sie ihre Stimme fit, um nebenbei weiterhin Konzerte geben zu können. "Zurzeit hat Frau Ingwer einfach Priorität", so Bilbeny.
Eine zierliche Frau und ihr Ein-Frau-Betrieb: Verwaltung, Vertrieb, Internetauftritt, Produktion, Steuern, Design, aber auch Kisten schleppen und Marktstände aufbauen - all das organisierte sie bis vor Kurzem noch selbst. Weil sie die Bürokratie aber ein wenig überfordert, hilft ihr nun ihre erste Angestellte mit der Verwaltung. "Als sie das erste Mal meine Unterlagen gesehen hat, sagte sie nur 'Meine Liebe, das ist hier so ein riesen Chaos'", erzählt Frau Ingwer lachend. Nun muss sich Bilbeny nur noch auf die Herstellung ihres Produktes konzentrieren. Denn eigentlich wollte sie saisonale Säfte, aber auch Aufstriche und Lutschbonbons anbieten - doch bisher wird nur Ingweressig und Ingwersaft verkauft. "Das ist ein Konzentrat, von dem man am besten ein paar Schlücke in Sprudel oder in Tee oder auch gerne in einen Cocktail gibt", schwärmt Frau Ingwer.
Ihr Rezeptvorschlag: Tonicwater, frische Minze, eine Scheibe Zitrone und einen Schuss "Frau Ingwer" - fertig ist das perfekte Erfrischungsgetränk.
Auch Schokolade- oder Vanille-Eis, Fruchtsalat oder Eiswürfel schmecken mit einem Schuss Ingwersaft noch erfrischender. Der Essig lässt sich auch zum Kochen nutzen. "Mit Linsen oder Fisch schmeckt er besonders intensiv, sehr frisch und ein bisschen scharf", sagt Bilbeny und nippt an einem Gläschen Ingwersaft.
Jeder Ingwer ist anders
"Dieser Ingwer kommt aus Peru und ist schärfer als chinesischer", erklärt Bilbeny. Jede Sorte hat ihren eigenen Geschmack. Selbst jede Ernte kann anders ausfallen. Von pfeffrigem, mildem, bitterem, scharfem bis süßem Ingwer ist alles dabei. Chinesischer Ingwer ist sehr mild, während der peruanische viel Feuer im Abgang hat. "Ich muss meine ganze Produktion verändern, wenn ich eine andere Ingwersorte verwende." Ein Demeter-Naturladen liefert ihr die Ingwerknollen. Leider ist die Lieferung ihres Lieblings-Ingwers aus Brasilien nicht möglich, da die Produktion noch zu klein ist. "Die liefern erst ab drei bis vier Tonnen. Dann wäre hier der ganze Raum bis zur Decke mit Ingwer gefüllt", sagt Bilbeny, die auf den blumigen Geschmack des brasilianischen Ingwers steht.
Das Zwei-Jahre-Ziel der jungen Frau: Angestellte einstellen, weitere Rezepte entwickeln, vielleicht in eine größere Halle umziehen, mit einem Büro. Das naheliegende Ziel ist erst einmal, das Weihnachtsgeschäft zu überstehen. Derzeit arbeitet sie an einem Online-Shop, der Ende des Monats fertig sein soll. Bestellen können Interessierte aber jetzt schon. Im neuen Jahr möchte Bilbeny dann einen Ingwer-Karamellsaft produzieren und wird wieder auf den Märkten in Hamburg bereit stehen. Für all die Ingwer-Liebhaber dieser Welt.