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Feature

Vom Jetset ins Homeoffice

Als Unternehmerin verband Viola Klein Jetset und Geschäftsabschlüsse mit Spendengalas und sozialer Verantwortung. Jetzt steht ihr Leben still, und Klein muss sich an Regeln halten, mit denen sie hadert. Ein Langzeitporträt.


März 2020

Es gibt ein Wort, das nutzt Viola Klein öfter als andere: »Irre«. Beim ersten Treffen inDresden beschreibt sie damit den Mauerfall, die Wendezeit und ihre erste Begegnung miteinem Computer. An diesem Tag ahnen nur wenige, wie das nächste Jahr verläuft. »Irre«,wird sie zwölf Monate später sagen. Im März 2020 geht es um das, was Viola Klein bisdahin ausmacht: ihr Leben als erfolgreiche Unternehmerin aus Ostdeutschland. Weil esdavon wenige gibt, hat die damals 62-Jährige Erfahrung mit der Öffentlichkeit. Souveränposiert sie für das Pressefoto, die roten Haare zerzaust, das schwarz-weiße Kleid faltenfrei.

Klein steht im März 2020 an einem Wendepunkt. Nach 26 Jahren hat sie mit ihremGeschäftspartner die Softwarefirma Saxonia Systems an Zeiss verkauft. »Es war eine irreZeit«, sagt sie. Über den Preis haben beide Seiten Stillschweigen vereinbart. Nach eigenenAngaben haben Klein und ihr Geschäftspartner einen Teil schon wieder angelegt –mehrere Millionen Euro, in eine Firma für Herzdiagnosegeräte. Irre viel Geld fürNormalbürger und auch für Klein eine große Investition. Wie in ihrer alten Firma willKlein in ihrer neuen als Aufsichtsrätin eine Art Außenministerin werden, Kontaktevermitteln und Netzwerke knüpfen.

Das passt, denn Viola Klein ist immer unterwegs. In wenigen Minuten mit dem DresdnerBürgermeister. In einigen Tagen ist mit Heiko Maas eine Reise nach Kapstadt geplant, woKlein ein Projekt für HIV-positive Menschen unterstützt. In ein paar Wochen dann NewYork, für einen Besuch bei dem Sänger Harry Belafonte, ihrem Trauzeugen. Klein habeschon immer mehrere Bälle in der Luft gehabt, beschreiben sie Vertraute. Letzten Endessagt Klein selbst, es stimme sie traurig, nicht mehr 30 oder 35 zu sein. Denn dann könneman sich aussuchen, was man macht.

Kurz darauf schließen in ganz Deutschland Kitas, Universitäten und Geschäfte.

Mai 2020

Zwei Monate später sitzt Viola Klein etwas verloren in einem großen Polstersessel. IhreWohnung in Berlin-Wilmersdorf ist hell und groß. Mühelos ließen sich hier Partys für 50Personen ausrichten, und Klein feiert gern. Nun sitzt sie seit Wochen mit ihrem Mannallein zu Hause, gleich an der Tür steht eine Flasche mit Desinfektionsmittel. Die Kleinsmüssen aufpassen: Hermjo Klein ist Risikopatient, im Februar hatte er eine Herz-OP.Ihre beiden Söhne sieht Viola Klein jetzt nur aus der Ferne, ihren Vater gar nicht. Er lebtin einem Dresdner Pflegeheim. Im Wolfsburger Hanns Lilje Heim sind da bereits über 40Senioren an Covid-19 verstorben. Auch in Dresden sind Besuche in Pflegeheimenuntersagt. Kleins Reisen nach Kapstadt und New York, Termine in ganz Deutschland –alles ist abgesagt. Bewegung gibt es jetzt mit Asana Rebel, einer Yoga-App. Viola Kleinfühlt sich »wie beschnitten«: Der Mensch sei doch ein soziales Wesen.

Ganz zu Beginn der Krise hieß es, Corona treffe alle gleich. Schnell zeigte sich, dass dasnicht stimmte. Während armen Familien das Geld für Laptops zum Homeschoolingfehlte, brachten sich Reiche in ihren Landhäusern, manche gar auf Inseln in Sicherheit.Vor 30 Jahren, nach der Wiedervereinigung, hätte Viola Klein vielleicht zur erstenGruppe gezählt. Damals war sie arbeitslos, später alleinerziehend. Heute hat sie mitihrem Unternehmen Millionen verdient. Abschotten aber wollte sie sich nie.

Für »Aluhüte« und Coronaleugner hat Klein nur irritierte Blicke übrig.

Viola Klein ist reich geworden, aber spendabel geblieben. Auch mit ihrer Zeit: In vielenProjekten engagiert sie sich selbst. Sie würdigt Frauen in der IT mit einem eigenen Preis,organisierte eine Sprach-App für Geflüchtete und sammelt Gelder für Familien inSüdafrika. Sie selbst spendet großzügig und diskret, auch für anderes. Privater Luxus undgesellschaftliche Verantwortung gehören für sie zusammen. Sie nimmt sich vom Leben,was sie braucht, gibt aber auch jenen Zuwendung, die sie brauchen. Nur: Wie funktioniertdas in der Pandemie? Wer gibt jetzt noch Geld? Schafft ihr neues Unternehmen trotzallem den Durchbruch? Kurz: Wie kommt Viola Klein durch die Coronakrise?

In ihrem Wohnzimmer zückt sie ihr iPad. Sie zeigt Fotos aus einem Township beiKapstadt, Kinder stehen in einer langen Schlange. Wegen des Lockdowns fällt inSüdafrika für neun Millionen Kinder das Schulessen aus, für manche die einzige echteMahlzeit am Tag. Seither kümmert sich »Hope Cape Town« um Ersatz. Seit 15 Jahrenunterstützt Viola Klein das Hilfsprojekt. Jeden Herbst organisiert sie dafür eine Gala, fürdie plant sie auch im Mai 2020. Im September will sie außerdem – wie jedes Jahr – ihrenAward für talentierte Frauen in der IT verleihen.Viola Klein ist im Frühjahr hin- und hergerissen. Auf der einen Seite stehen die Sorgenum die Gesundheit ihres Mannes. Für »Aluhüte« und Coronaleugner hat Klein nurirritierte Blicke übrig, das Krisenmanagement der Regierung lobt sie. Auf der anderenSeite stehen die Sorgen um die Wirtschaft. Schon im Mai hält Klein es für ausgeschlossen,drei weitere Monate zu Hause zu bleiben. Das mache die Wirtschaft nicht mit – und mitder kollabiere auch das Sozialsystem, warnt sie. Bereits im Frühjahr fragt sie zum erstenMal, ob die getroffenen Maßnahmen wirklich verhältnismäßig seien.

Juli / August 2020

Im Sommer, als Reisen wieder möglich sind, postet Klein ein Foto auf Facebook. Es zeigteinen verlassenen Flughafen. Beim nächsten Gespräch per Skype blitzt ein Bikini unterihrem Kleid hervor. Klein und ihr Mann verbringen den Sommer in ihrem Haus inSpanien. Einerseits, weil es dort sicherer sei – im Dorf habe es noch keinen einzigenCoronafall gegeben. In Spanien gilt auch auf der Straße Maskenpflicht. Klein beschreibt,wie im Restaurant sorgfältig jeder Tisch desinfiziert wird. Andererseits will sie sich nichtmehr verrückt machen. Dann könne man auch nicht mehr Essen gehen. Auf Facebookpostet sie Fotos zum internationalen Tag des Champagners.Aus ihren Privilegien macht Viola Klein kein Geheimnis. Beim Einkauf in derDesignerboutique lässt sie sich begleiten. In Interviews erzählt sie offen, dass sie als Kindin einer Nomenklatura-Familie in der DDR gern Kaviar aß. Hat sie Termine in Dresden,schläft Klein im Kempinski, mit der Bahn reist sie erster Klasse. Ihr Motto: Was gut ist,darf auch kosten.Das gilt offenbar auch für ihre neue Firma Biomagnetik (BMP) in Hamburg. Im Julizeichnet sich ab, dass die geplanten Verkaufszahlen nicht erreicht werden. Bekümmertscheint Klein darüber nicht. Während sich viele Deutsche an Ostseestränden drängen,plant Klein von Andalusien aus ihren Alltag in Deutschland. Neben der »Hope Gala« fürdas Projekt in Kapstadt und dem Woman Award auch einen Besuch im Bundestag.

September 2020


Ende September ist Klein in den Parlamentsräumen von der FDP für ein Paneleingeladen. Rund 50 Personen verteilen sich um die Stehtische in der Lobby des Paul-Löbe-Hauses, ihre Gespräche vermischen sich zu einem Raunen. Noch vor den Häppchengibt es Desinfektionsmittel. Christian Lindner gratuliert den Gästen: Wer heute hier sei,beweise Mut. Es ist die erste Liveveranstaltung der FDP im Bundestag seit dem Lockdownim März.

Als Jugendlicher hat Lindner den Satz gesagt, Probleme seien nur dornige Chancen. Klein ist solcher Pathos fremd, inhaltlich dürfte sie den Satz teilen. Auf dem Panel sollen Kleinund vier weitere Gäste ihre Erfolgsgeschichten aus Ostdeutschland erzählen. Es ist einProgramm nach Kleins Geschmack. Viola Klein liebt gute Nachrichten – und die Bühne. In der DDR ließ sie sich zum DJ ausbilden. Damals ein Job, der auch Conférencier-Qualitäten erforderte. Bis heute sprechen enge Kollegen genau wie entfernte Bekanntevon der »Sogwirkung«, die Klein ausübe, wenn sie einen Raum betrete.

Mit ihren DJ-Auftritten bessert Klein in der DDR ihr eigentliches Gehalt auf – als Leiterin eines Kindergartens. Schwierig wird es, als sie 1987 aus der SED austritt und ihre Stelle verliert. Nach der Wende ist Klein arbeitslos und mit zwei kleinen Kindern daheim. Im Arbeitsamt teilt ein Bayer ihr mit, als junge Mutter könne sie doch weiter zu Hause bleiben. Also sucht Klein selbst. In einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme knüpft sie erste8/16Kontakte in die IT-Branche. Über Bekannte trifft sie 1992 ihren heutigenGeschäftspartner Andreas Mönch. Kurz darauf machen sich beide mit einem IT-Bildungsinstitut gemeinsam selbstständig. Schon damals ist Mönch beeindruckt von ihrer Schaffensfreude. »Keiner hat sich getraut, mit einzusteigen. Nur Viola hat gesagt: Ich mach das.« Sie sei mutig, manchmal bis zur Tollkühnheit. Später wird Elke BüdenbenderKlein dafür bewundern, dass die sich von nichts aufhalten lasse. Büdenbender, die Fraudes Bundespräsidenten, ist heute Schirmherrin von Kleins IT-Award.1994 gründen Mönch und Klein die Firma, aus der später die Saxonia Systems AG wird.

Sie wollen Softwarelösungen verkaufen. Allein: Im Westen, wo die Gehälter hoch sind und für viele hinter der Elbe Sibirien beginnt, weiß das niemand. Zu Beginn ihrer Karrierein der IT fehlt Klein alles. Kapital, Kontakte, Kenntnisse. Sie besucht Messen von Hamburg bis München, um sich zu vernetzen. Bis zum Verkauf an Zeiss wächst das Unternehmen auf 250 Mitarbeiter. Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer ist heute noch angetan von ihrer Vita. »Viola Klein ist genau das, was man eineerfolgreiche Ostfrau nennt. Jemand, der in der DDR einen Beruf erlernt hat, dann dieChance der Wiedervereinigung ergriffen hat und nie gemeckert hat«, sagt Kretschmer.»Sie ist in der ganzen Welt unterwegs und ist jetzt auch wirtschaftlich und karitativ erfolgreich. Das macht sie so einzigartig.«

Wann immer es in den nächsten Jahren Probleme gibt, handelt Klein nach dem gleichen Krisenrezept. Auf Menschen zugehen, Netzwerke schaffen. In der größten Krise ihrerFirma stellen Mönch und Klein auf agiles Management um. Abwarten kann die Zukunft kosten, geht ein Leitspruch dieser Theorie. Kleins Leben folgt demselben Prinzip. Es falle ihr schwer, mal stillzusitzen, einen Tag lang nichts zu tun, erzählen Kollegen, die sie für ihre Energie bewundern. Sie selbst sagt: Geduld sei nicht ihre Stärke.

Doch was, wenn Abwarten in der Pandemie genau das Richtige ist? Wenn nun geradediejenigen Verantwortung übernehmen, die still sitzen?

Oktober / November 2020

Viola Klein findet das nicht. Im Herbst 2020 hat sie die Geduld verloren. Hinter ihr liegen acht Flüge, aber keine Risikobegegnung auf der Corona-App. Obwohl die Fallzahlen bald höher liegen als je zuvor, hält Klein nun einen Großteil der Maßnahmen für hysterisch. Der Lockdown habe gar nicht sein müssen. »Wir haben so viele Menschen ins Unglückgestürzt.« Sie fühlt sich bevormundet. Wenige Tage zuvor ist ihr Vater im Pflegeheim verstorben. Die Trauerfeier begeht die Familie im kleinsten Kreis. Ein zweites Mal würde sie sich nicht verbieten lassen, ihren Vater zu besuchen, sagt sie wütend. Sie, die Wendezeit und Wirtschaftskrisen überstand, wirkt jetzt überfordert. Immer wieder hatsich Klein neuen Umständen angepasst. Jetzt weigert sie sich, vergleicht Corona-Todeszahlen mit Haushaltsunfällen oder Herzinfarkten. Medien wirft sie Panikmache vor. Auch einer ihrer Söhne schickt warnende Meldungen zur Pandemie. »Ein totaler Corona-Überbewerter«, findet sie. Für Coronaleugner hat sie weiter nichts übrig, aber sie spricht offen aus, was viele vielleicht nur im kleinenFamilienkreis äußern: wie sehr sie die Krise inzwischen nervt. Ängste um ihren Mann erwähnt Klein nun nicht mehr. Danach gefragt sagt sie: »In Panik zu verfallen und zu sagen: Nächste Woche stirbt mein Mann, das ist Unsinn! Wenn ich dieWahl habe, zu leben oder in Sorgen zu versinken, dann lebe ich lieber. Aber mitVorsicht.« Sie trage eine Maske, wasche regelmäßig die Hände – aber sie gehe eben auchessen.

Klein schaltet ab, wenn Karl Lauterbach in einer Talkshow auftaucht.

Bei einem Treffen mit dem Paar gilt die große Sorge der beiden der Wirtschaft. HermjoKlein organisiert Konzerte und Events. Eigentlich, denn seit dem Frühjahr sind seine Angestellten in Kurzarbeit, soloselbstständige Künstler arbeitslos. Manche von ihnen unterstützt Viola Klein nun finanziell. Sie fordert, dass Veranstaltungen mit Hygienekonzept erlaubt bleiben. Wie eine Kugel schießt sie Worte wie Eigenverantwortung in die Luft. Mit mehr Eigenverantwortung,glaubt Klein, wäre die Angst in der Gesellschaft nicht so bestimmend. Mit Abstand hat sie die Verleihung ihres IT-Awards für Frauen durchgezogen. Sie empört sich, dass es nochimmer Tage dauert, das Ergebnis eines Coronatests zu bekommen. Vom Handeln der Regierung hält sie jetzt nichts mehr.

Fragt man Vertraute, was Viola Klein ausmacht, sagen sie: Energie und Empathie. Frühere Kollegen bei Saxonia Systems nennen sie »die gute Seele« des Unternehmens. Immer wieder äußert Klein im Herbst ihr Mitgefühl. Für Kinder, die im Homeschooling abgehängt werden, für Frauen, die jetzt noch mehr häusliche Gewalt ertragen müssen, für Selbstständige, die ihre Altersvorsorge aufbrauchen, und Rentner, die im Heim vereinsamen. Angehörige von Coronatoten erwähnt sie nicht. Erst viel später sagt sie auf Nachfrage: »Wenn Lebenszeit geraubt wird, ist das auf jeden Fall schlimm.« Ein Satz, den man verschieden interpretieren kann und offenbar auch soll.

Kleins Gäste spenden über 100.000 Euro

Mehrmals gibt Klein zu bedenken, dass doch nur ein kleiner Prozentsatz der Bevölkerungtatsächlich infiziert sei, dass das Virus doch vor allem alte Menschen bedrohe. Sie ist überzeugt, dass die Kollateralschäden längst schlimmer sind als die Pandemie selbst – nicht nur in Deutschland. Für die Hope-Stiftung in Kapstadt will sie deswegen zwei Charity-Dinner ausrichten. Am letzten Wochenende im Oktober lädt sie dafür ins Hotel Kempinski in Dresden. Rund 100 Gäste kommen an jedem der zwei Abende zusammen – nur zwei Tage, bevor in ganz Deutschland Läden, Theater und Kinos für Monate schließen. Die gedeckten Tische stehen auf Abstand, die Gäste tragen Masken zu den Roben, dieStadt hat das Konzept genehmigt. Aus den Boxen tönt leise afrikanische Musik, das Licht ist gedämpft. Klein strahlt hinter dem Mundschutz mit Pailletten. Ihre Gäste begrüßt sie per Ellbogen. Die wiederum verteilen auch Küsschen und Umarmungen. Später animiertein Sänger das Publikum zum Mitsingen. Zwischen Riesengarnelen und Rinderfilets zeigt ein Video Kinder im Township Blikkiesdorp. Vor dem Dessert ersteigern die Gäste in einer stillen Auktion Kunst,Schmuck oder Events. Das Township-Mädchen aus Bronze etwa oder eine Reise nach Milwaukee. Auf den Tischen stehen weitere Spendendosen.

Presse ist an diesem Abend eigentlich ausgeschlossen. Für die Vertraulichkeit, undvielleicht weil Klein ahnt, wie das Event vor dem kommenden Lockdown wirken muss. Alle hätten ihr davon abgeraten. Doch Klein ist überzeugt, dass nur mit dem Dinner dienotwendigen Spenden zusammenkommen. Zwar spenden die Deutschen 2020 mehr als in den Jahren zuvor. Durch den Wegfall von Veranstaltungen schreibt die Aids-Stiftung,in der Klein im Kuratorium sitzt, jedoch ein hohes sechsstelliges Minus, sagt die Vorstandschefin Kristel Degener. Und Kleins Gäste spenden an beiden Abendeninsgesamt mehr als 100.000 Euro.

Leisten Viola Klein und ihre Gäste also einfach pragmatische Hilfe? Oder haben sie dieBodenhaftung verloren, auf der Suche nach dem Glanz ihres früheren Lebens?

Dezember 2020

Gut einen Monat später ist Klein wieder zu einem Abendessen verabredet. In Franken treffen sich Vorstand und Aufsichtsrat der BMP, der Firma, in die Klein und Mönchmehrere Millionen investiert haben. Am nächsten Tag werden sie die Bilanzenbesprechen und alle Zulieferer einladen. Vorher kommen die sechs Unternehmer bei Wein und Haxen im Hotel zusammen. Muss das sein, geht das nicht online? Und warum spielt ausgerechnet das Essengehen für Viola Klein eine so große Rolle?

Ein Teil der Antwort zeigt sich beim Essen selbst. Wie ein guter Conferencier platziert Klein Witze, ohne gewollt zu wirken. Sie bestimmt Themen, ohne Bestimmerin zu sein. Einer der Unternehmer sagt hinterher, Klein sei wirklich nur ihr Name.

Der zweite Teil der Antwort hat weniger mit ihr zu tun. 1,2 Millionen Euro koste ein einziges Herzdiagnosegerät der Firma BMP, sagt Klein. Deals wie diese schließe niemand mal eben online ab. BMP will jedoch auch in die USA und nach Südkorea exportieren.Reisen dorthin hat die Firma wegen der Quarantänezeiten immer wieder verschoben. Ob mit Partnern oder Kollegen, Viola Klein ist überzeugt: Teamarbeit ist mehr als sich angucken auf Zoom. Ohne Treffen kein Vertrauen.In Zukunft will die BMP auch auf Forschungskooperationen in Deutschland setzen. Ihr Geschäftsführer würde das Gerät deshalb gern dem Gesundheitsminister zeigen. Klein hat Kontakte in Spahns Büro, sie könnte vermitteln. Corona erwähnt in der Zukunftsplanung niemand. Erst hinterher sagt Klein, Spahn habe momentan sicher anderes zu tun, alsHerzdiagnosegeräte anzuschauen. In Sachsen, Kleins Heimat, füllen sich derweil die Intensivstationen. Bald darauf gibt es die ersten Diskussionen über mögliche Triagen.

März 2021

Drei Monate später reist der Geschäftsführer der BMP schließlich doch in die USA. Auch Viola Klein ist wieder unterwegs. Fast auf den Tag genau ein Jahr nach dem ersten Lockdown in Deutschland fliegt sie nach Kapstadt. Dort wird Stefan Hippler das Bundesverdienstkreuz verliehen, für das Engagement seines Projekts »Hope Cape Town«gegen Aids. Kurz vor der Rückreise postet Klein ein Foto aus einem Restaurant undschreibt: »Schön essen gehen in Kapstadt... mit dem Einhalten aller Regeln geht auch dieÖffnung der Gastronomie!« Die Menschen auf ihren Fotos sehen glücklich aus. Gleich darüber bedankt sich eine Frau für Kleins Großzügigkeit und ihren Besuch. Klein habe »joy and laughter« gebracht.

Davon gibt es in Deutschland im Frühjahr 2021 wenig. Kurz nach Kleins Rückkehr wird der Lockdown in Deutschland bis Mitte April verlängert. Die Ansteckungszahlen steigen massiv, wieder hat Karl Lauterbach mit seinen Warnungen recht behalten. War es richtig,ausgerechnet jetzt zu reisen? Vielleicht nicht, sagt Klein. Andererseits sei das Risiko in Südafrika viel niedriger. Dort liegt die Sieben-Tage-Inzidenz im März unter 15 – in Deutschland über 100.

Vom Krisenmanagement in Deutschland ist Klein jetzt frustriert. Sobald es ging, lud sie die Corona-Warn-App herunter. Die gilt nun als Investitionsruine. Im Dezember las sie seitenlange Artikel über die Impfung. Im März ist weiter unklar, wann es für jeden ein Impfangebot gibt. Klein wirft der Regierung vor, zu zögerlich bestellt zu haben: Haftungsrisiko sei das wichtigste Wort in Deutschland. Nicht Mut oder Unternehmertum.

Klein ist keine Realitätsverweigerin, ihr ist das Land nur zu unflexibel und zubürokratisch. Es fehlt ihr an Gestaltungswillen und Entschlossenheit. Hat sie selbst die Verantwortung übernommen, die jeder in der Pandemie trägt? Mehr als75.000 Menschen sind in Deutschland bislang an oder mit dem Virus verstorben. »AmInfluenzavirus sind auch viele Menschen gestorben. Waren wir da zu unaufmerksam? Oder sind wir jetzt zu sehr darauf fokussiert?«, fragt sie.

Ihr macht Sorgen, dass so vieleExistenzen auf dem Spiel stehen, dass es im März 2021 knapp eine halbe Million mehrArbeitslose gab als noch im März 2020, dass die Politik mitunter auch einmachtpolitisches Theater aufführt, um sich in der Coronakrise zu profilieren. Für machtpolitische Theater hat Klein als Ostdeutsche ein feines Gespür. Wenn sie glaubt, einem beizuwohnen, dann sagt sie das auch offen. Es ist ihr Beitrag zum Wunsch vieler,eine Debatte über das Richtig und das Falsch zu führen.

Auf das vergangene Jahr blickt Klein ohne schlechtes Gewissen zurück. Sie habe versucht, so wenig Angriffsfläche wie möglich zu bieten, habe das Reisen drastisch reduziert, Händegewaschen, Masken getragen, keine privaten Partys veranstaltet, nur ihre Kinder nach Hause eingeladen. »Ich habe von 1000 auf 50 Prozent runtergefahren. Also ich fand mich gut«, sagt sie nur halb im Scherz.

Was ist mit den Treffen, den Veranstaltungen, den Reisen, die sie dann doch gemacht hat– und die sich andere versagten?

Klein verweist auf insolvente Betriebe, auf Menschen,denen die Perspektive fehlt, eine Gesellschaft, die von Angst beherrscht werde. Sie fragt zurück: »Will man weiter in so einem Land leben? Die Leute werden doch irre.«