Lidiia Akryshora

Freelance journalist based in Vienna, publishing in German, Ukrainian, Russian

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Geschwister in einiger Entfernung: was vernetzt Wien und Bratislava im IT-Bereich

Es ist aktiv und geräuschvoll wie im Bienenstock. Jemand trinkt Kaffee und schreibt hinter seinem Laptop, ein anderer arbeitet an seinem Projekt und gleichzeitig findet ein Meeting statt. Der moderne und stylische Raum des Coworking Space 0100 am Stadtrand von Bratislava bietet den Gästen eine willkommene Atmosphäre. Der selbstsichere und sportliche Volodymyr begrüßt viele Menschen. Es liefert den Anschein, als ob er hier zu Hause wäre. Heute arbeitet er hier, morgen fährt er nach Wien und übermorgen wieder zurück nach Bratislava. Es ist eine gewöhnliche Woche für Volodymyr, der quasi zwischen zwei Städten lebt. "Die slowakische Hauptstadt ist sehr guter Spot", sagt er.


Das Leben zwischen zwei nächsten europäischen Hauptstädte

Der 37-er IT-Experter kommt aus der Ukraine, vor zwei Jahren ist er nach Bratislava gezogen und betrieb dort eine Firma. Die Firma bietet Dienstleistungen und Beratung, Software-Entwicklung, ganze Pakete, um die Idee der Kunden zu verwirklichen. Meistens arbeitet er zusammen mit Start-ups.


Volodymyr ist nicht der Einzige, der zwischen Bratislava und Wien hin und her pendelt. Kurier.at berichtet, dass laut der slowakischen Statistikamtes mehr als 50 000 Slowaken in Österreich tätig sind. Nur 70 km sind die beiden europäischen Hauptstädte voneinander entfernt. Manchmal wird Bratislava als kleine Schwester Wiens betrachtet. Viele Slowaken arbeiten in Wien oder genießen das österreichische Kulturangebot. Kaum zu glauben, dass bis zum 14. Jahrhundert Bratislava (sogenannter Pressburg auf Deutsch) viel bekannter als Wien war. Nach Angaben der Historiker war der slowakische Wein in Florence drei Mal teurer als der "ordinary Ugrian wine" (ungarischer Wein, der damals sehr geschätzt war). Langsam aber doch versucht Bratislava an dem damaligen Ruhm wieder heranzukommen und zwar im IT-Bereich.


Seit den letzten fünf Jahre erlebt die slowakische IT-Szene einen Boom. Mehr als die Hälfte der slowakischen Start-ups bieten Dienstleistungen an. 40% davon konzentrieren sich auf den IT-Bereich, laut dem "Twin Entrepreneurs Vienna-Bratislava" Report, von der Wirtschaftsagentur Wien und slowakische Assoziation der jungen Unternehmen.


Die Start-up Szene entwickelt sich sehr dynamisch und steigt stetig, auch wenn Bratislava in manchen technischen Neuheiten Wien etwas hinterherhinkt. Diese Wachstumssteigerung zeigt sich auch beim Slowakischen Start-up Award, den es seit sieben Jahren gibt.


„Jedes Jahr werden die Anträge für den Award seriöser und sehr professionell aufbereitet", sagt Peter Kolesar , CEO des Awards. Nach seiner Meinung folgen die slowakischen Start-ups globalen Trends bei der Ideenentwicklung. Unter den besonders populären und beliebten Produkten befinden sich Softwares für Mobilgeräte, Cloud-Technologien, Gaming, Tools für Digital Design, Lösungen für E-Commerce und Bildung.


Die Firma von Volodymyr hat ihren Sitz in Bratislava. Das sogenannte „Gehirn" der Forschungs- und Entwicklungsspezialisten ist im ukrainischen Kiew. Obwohl er hauptsächlich für Kunden aus West-Nord Europa arbeitet. „In erster Linie suchen viele Firmen mögliche Kooperationen in Wien", erzählt er. Ein attraktiver Markt seien auch Deutschland und Großbritannien.


Natürlich sind die Gehälter im Ausland viel höher, was die heimischen Spezialisten besonders anspricht. Außerdem ist der slowakische IT Markt im Verhältnis immer noch sehr klein, weswegen es schwieriger ist, dort qualifizierte Spezialisten zu finden, sagt Volodymyr. Niedrige Qualität der Ausbildung ist auch ein Grund für die mangelnde Anzahl der slowakischen hochprofessionellen SpezialistInnen. Letztes Jahr sind es 1500 freie Positionen in IT-Bereich auf der Webseite Profesia.ak zu finden.


Pilotland mit noch nicht ausgenütztem Potential

„Wenn du ein guter IT-Spezialist in Bratislava bist, befindest du dich schon in Österreich oder Deutschland", erzählt Igor, ein 27-jähriger Russe, den Witz über die Situation in der Slowakei. Während laut Germany Trade&Invest jedes fünfte slowakische Start-up eine Niederlassung im Ausland hat, werden die freien Plätze in der Slowakei von SpezialistInnen aus der Ukraine und Russland besetzt und die slowakischen ArbeiterInnen bleiben somit auf der Strecke. Die Slowakei ist aufgrund günstiger Bedingungen ein attraktives Land, um dort ein Gewerbe zu führen. Igor hat lange Zeit überlegt, welches Land er wählen soll. Zur Auswahl standen Tschechien oder die Slowakei. Seit zwei Jahre befindet er sich nun in Bratislava und hat diese Entscheidung kein einziges Mal bereut.


Die Kooperation zwischen Wien und Bratislava hat großes Potenzial, das nicht vollständig genützt wird, glaubt Peter Kolesar. „Die Slowakei ist ein gutes Pilotland zum Testen. Der Markt ist klein und die Menschen sind dazu geneigt, die neuen Technologien auszuprobieren", sagt er. Um Kooperation komplett auszuschöpfen, müssen die Unternehmen viel mehr an ihren persönlichen Netzwerken und am gemeinsamen Austausch arbeiten. Zusätzlich muss diese gemeinsame Verbindung auf staatlicher Ebene gewährleistet werden. „Die Slowakei arbeitet nicht genug am eigenem Image, wenn es um den IT-Bereich geht", findet Volodymyr. Seiner Meinung nach, sollte es mehr Ausbildungszentren geben und Eco-Systeme entwickelt werden. Deswegen hat er den NGO-Fond „Danube digital" gegründet, der IT-Kurse, Workshops und Beratung für diejenigen anbietet, die gerne in IT arbeiten möchten.


Zukünftige digitale Revolution in Content Verbreitung

In einem kürzlich erschienenen Artikel der Financial Times wurde Bratislava als das Silicon Valley von Zentral Europa bezeichnet. Einige bekannte Erfindungen kommen aus der Slowakei. Darunter befinden sich z.B. das fliegende Auto Aeromobil, das Eset, ein bekannter Virenschutz und einige Facebook-Spiele, die von dem slowakischen Game Studio Pixel Federation entwickelt wurden. Im Kommen ist auch das Decent Start-up, eine Plattform, die sich auf Blockchain befinden wird und verschiedenen Content dezentralisiert. D.h. der Content soll ohne Vermittler, also von Autor zum User, angeboten werden.


Der Medienraum muss sich schon lägst an die Änderungen Anpassen. Vor allem in einer Zeit, in der fast jeder vom Handy ausarbeiten kann und gleichzeitig die Konkurrenz des professionellen Journalisten stätig steigt. Deswegen müssen sich auch die Wege, in denen Content verbreitet ist, verändern bzw. anpassen. Besonders in der Zeit von Fake News und der rasenden Entwicklung verschiedener Technologien, findet Alyona Yanishevskaya, PR Managerin des Decent Start-ups. „Auf der Plattform könnte ein Ranking System für den Qualitätsinhalt sehr gut funktionieren. Wenn der Autor möchte, dass sein Inhalt gekauft wird, muss er Qualitätscontent produzieren".


David Tvrdon zeigt mit Bedauern die Projekte, die sie in SME, der größten slowakischen Tageszeitung, sowie online Plattform, realisiert haben. Mit Bedauern, weil es nur 3-4 longform Projekte pro Jahr gibt. Er würde gerne mehr tun, dafür gibt es aber nicht genug Ressourcen und Budget. Von Decent hat die Redaktion nichts gehört, aber David verfolgt viele Trends und versucht, wenn möglich, das in seiner Arbeit zu implementieren. Er ist Gegner der These „Content is King". Als echter visueller Typ glaubt er, dass sich die Medien sogar mit begrenztem Budget an die moderne Technologie anpassen müssen. „Besser einfache und ein paar Werkzeuge zu verwenden. Das dafür in hoher Qualität", meint er. 


SME hat ein paar longread Stories mit Google Mapping Tools, 360° Fotos usw. über Politiker und berühmte Sportler gemacht. Die Slowakei war übrigens das erste EU-Land, wo vor ein paar Jahren vereinbarte Kooperationen zwischen den größten Medienproduzenten stattfand. Auf einmal hatten sie paywalls (bezahlter Content) für die Leser eingeführt. Jetzt wird bei SME 5-7% des Onlineinhalt monatlich bezahlt. In der Redaktion sind der Meinung, dass die Slowakei ein sehr kleiner Markt auch im Medienbereich ist, was die Hände umarmt, aber auch eigene Vorteile mit sich bringt, um zu entwickeln und vieles auszuprobieren.

Entstanden im Rahmen von eurotours 2016, einem Projekt des Bundespressedienstes, finanziert aus Bundesmitteln.

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