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Südafrika: Wie eine Anwältin Wasserquellen besser schützen will

Wassereinzugsgebiete in den Bergen sind zentral für die Trinkwasser-Versorgung. Doch nur ein Bruchteil ist per Gesetz geschützt. Eine engagierte Juristin will das ändern.


Es ist ein klarer Wintertag in Kapstadt, der Blick auf den Tafelberg wolkenlos. Die Bergkette mit dem berühmten Plateau ist mehr als das Wahrzeichen der Metropole an der Südspitze Afrikas – sie ist der Grund, warum die Stadt überhaupt existiert. Die Khoi-Ureinwohner nannten sie Camissa, den Ort des Süßwassers. Auch europäische Seefahrer und Kolonisatoren ließen sich hier wegen der Trinkwasser-Vorkommen nieder, bauten Kanäle und Tunnel, durch die das Wasser aus den Quellen geleitet wurde.

Mehrere Flüsse entspringen in dem Bergmassiv, darunter liegt ein riesiger Aquifer, ein Grundwasserspeicher. Er ist ein Grund für die einzigartige und außergewöhnlich vielfältige Flora. Die sogenannte Capensis bildet eines von nur sechs Florenreichen der Welt. 2004 erklärte die UNESCO die Region zum Weltnaturerbe, sie formt einen Biodiversitätshotspot von internationaler Bedeutung.

Acht Prozent der Fläche Südafrika liefern die Hälfte des Grundwassers

Am Fuß des Tafelbergs, im Botanischen Garten, geht Amanda Mkhonza durch die Fynbos-Landschaft, die zu den evolutionär ältesten Biomen der Welt zählt. Prächtige Proteen blühen rot und gelb am Wegesrand. Die Universitäts-Dozentin war schon oft mit Studenten hier – doch sie ist keine Botanikerin. Sie ist Juristin. Ihr Spezialgebiet: der gesetzliche Schutz von Südafrikas Wassereinzugsgebieten. Für ihr Thema spielt die Bergregion eine entscheidende Rolle.

Der Tafelberg gehört zu insgesamt 22 Wassereinzugsgebieten, den „strategic mountain catchment areas“ Südafrikas. „Ich war selbst überrascht, als ich erfuhr, dass diese Gebiete in den Bergen nur acht Prozent der Grundfläche unseres Landes ausmachen, aber die Hälfte unserer Frischwasser-Ressourcen liefern. Trotzdem gibt es bis heute kein Gesetz, dass sie angemessen schützt!“ Die 32-jährige hat sich vorgenommen, das zu ändern.

Zwar gibt es den „Mountain Catchment Areas Act“, aber der stammt aus dem Jahr 1970, also aus Zeiten der Apartheid und bezieht sich auf Behörden und Ministerien, die in dieser Form heute gar nicht mehr existieren. „Er ist nur das Skelett eines Gesetzes“, kritisiert Mkhonza, während sie sich auf eine der Parkbänke setzt. „Es ist nur ein paar Seiten lang und sehr allgemein gehalten. Deshalb mussten wir bei null anfangen.“

Das Wasserrecht wurde ihre Leidenschaft

Ihre Augen leuchten, wenn sie von ihrer Arbeit erzählt, die zweifellos zu einer Leidenschaft geworden ist. In ihrem Studium mit Schwerpunkt Umweltrecht hatte sie über diese Gesetzeslücke nichts erfahren. Erst durch ihre Arbeit beim Centre for Environmental Rights sei sie zur „Wasser-Aktivistin“ geworden. Die Gruppe von Anwältinnen und Anwälten vertritt Bürger und Zivilgesellschaft in Fragen „ökologischer Gerechtigkeit“. Dazu gehört das laut Verfassung garantierte Recht auf eine gesunde Umwelt und sauberes Trinkwasser.

Amanda Mkhonza wurde engagiert, um die Rechtslage für den Schutz der Wassereinzugsgebiete zu überprüfen, Verbesserungen vorzuschlagen und Gespräche mit Bürgerïnnen und Regierung aufzunehmen. Diese Arbeit setzte sie fort, als sie als Jura-Dozentin an die Universität Kapstadt wechselte. Ihr Fachbereich: Umwelt und natürliche Ressourcen.

Diese neue Stelle trat sie ausgerechnet 2018 an, dem Jahr, in dem Kapstadt das Wasser auszugehen drohte. Die Millionenmetropole bereitete sich damals auf den sogenannten „ Day Zero " vor - den Tag, an dem die Wasserresourcen nicht mehr für den kommunalen Bedarf ausreichen würden. „Alle sprachen plötzlich über Wasser", erinnert sich Mkhonza. Allerdings ohne nachhaltigen Effekt: In der Bevölkerung sei „Day Zero" mittlerweile wieder vergessen, sagt die Anwältin seufzend. Und auch die Maßnahmen der Stadtverwaltung seien eher kurzfristiger Natur gewesen.

Bürger, die es sich leisten konnten, bohrten Brunnen; die Stadtverwaltung selbst zapft nun den Grundwasserspeicher im Tafelberg an. Und das, obwohl Ökologen warnen, dass dadurch die „ökologische Infrastruktur" kompromittiert werde, von der die Gesundheit der Region und ihrer Menschen abhänge. Ökosysteme und gefährdete Pflanzenarten seien dadurch bedroht. Über einem zweiten Aquifer in der „ Philippi Horticultural Area ", die Kapstadt mit Gemüse versorgt, plant die Stadt nun den Bau von Büro- und Apartment-Blocks. Wasser kann dort dann nicht mehr versickern, landwirtschaftliche Flächen gehen verloren, Umweltschützer sind alarmiert.

Grundwasser-Reserven zubetonieren?

Auch Amanda Mkhonza schüttelt fassungslos den Kopf: Es sei „verrückt", dass die Stadt, die Grundwasserreserven eigentlich schützen solle, diese nun „zubetonieren" wolle. Der drohende „Day Zero" hat offenbar keinen Bewusstseinswandel ausgelöst. Den Verantwortlichen gehe es nicht darum, „die Wassereinzugsgebiete in einem optimalen hydrologischen Zustand zu bewahren, damit sie auch langfristig erhalten bleiben", kritisiert die Anwältin: „Es geht nur um kurzfristigen Erfolg". In Zeiten des Klimawandels sei diese Strategie besonders problematisch.

Die Rechtslage zum Schutz der Wasserressourcen sei in Südafrika äußerst kompliziert, erklärt die Anwältin am Beispiel des Tafelbergs, der über ihr in den blauen Himmel aufragt. „Allein für dieses Schutzgebiet finden drei verschiedene Gesetze Anwendung: eines zur Biodiversität, eines für Nationalparks und ein weiteres für die Flüsse, die dort entspringen."

Zwei verschiedene Ministerien, das für Umwelt und jenes für Wasser, seien dafür zuständig. „Aber es gibt nur wenig Austausch untereinander." Und selbst die Vielzahl an bestehenden Gesetzen bildeten keinen angemessenen Schutz aller Wassereinzugsgebiete in den Bergen Südafrikas.

Nur ein Bruchteil der Wassereinzugsgebiete ist geschützt

Zu Zeiten der Apartheid hielten die Landbesitzer auch die Wasserrechte, seit der demokratischen Wende sind sie an den Staat übergegangen. Das geltende Wasser-Gesetz schützt zwar Wasser als Ressource, nicht aber die Gegenden, aus denen es stammt. „Idealerweise bräuchten wir dafür ein eigenes Kapitel, mit Erklärungen und Definitionen, die auch vor Gericht standhalten", so Mkhonza.

Nur 13 Prozent dieser Wassereinzugsgebiete in den Bergen seien derzeit geschützt, allerdings nicht explizit sondern „eher zufällig", weil sie innerhalb der Grenzen von Nationalparks oder Naturschutzgebieten liegen. Und selbst dieser Schutz könne ausgehebelt werden, etwa für Bergbauprojekte. „Diese sind möglich, wenn die beiden zuständigen Minister zustimmen", erklärt die Juristin. Ein enormes rechtliches Schlupfloch.

Südafrika steckt bereits in einer Wasserkrise

Die Folgen dieser Gesetzeslücke können schwerwiegend sein, wenn Naturschutz und wirtschaftliche Interessen konkurrieren. Und das tun sie regelmäßig. Südafrika steckt in einer schweren Wirtschaftskrise, die Arbeitslosigkeit ist auf einem historischen Höchststand, außerdem grassiert Korruption.

Dazu kommt die Wasserkrise - und das nicht nur in Kapstadt: Viele Städte und Gemeinden leiden seit Jahren unter Wassermangel, Dürren belasten die Landwirtschaft. „Wasser ist schon jetzt eine knappe Ressource in Südafrika", betont Mkhonza, durch den Klimawandel werde sich die Situation weiter verschärfen. „Die Niederschlagsmenge beträgt nur die Hälfte des globalen Durchschnitts. Aber die Verdunstungsraten sind im weltweiten Vergleich um ein dreifaches höher."

Doch ein neues Gesetz oder die Änderung eines bestehenden braucht neben politischem Willen auch Zeit. Während sie an entsprechenden Vorschlägen arbeitet, setzt sich die Juristin dafür ein, dass bestehende rechtliche Möglichkeiten auch ausgeschöpft werden. Damit meint sie in erster Linie den „National Environmental Management Act", dessen Neufassung 2014 in Kraft getreten ist.

Dieses Gesetz ermächtige die Umweltministerin dazu, bestimmte, nicht näher definierte geografische Regionen zu einer Art „No-Go-Areas" zu erklären Das bedeute, dass sie bestimmte Vorhaben, wie etwa Bergbau, verbieten könne. „Dadurch werden auch automatisch alle zugehörigen Anträge zurückgezogen. Und das ist ein sehr mächtiges Instrument. Eine solche Formulierung gibt es in keinem anderen Gesetz."

Ein schlagkräftiges Gesetz - oder ein Papiertiger?

Es sei genau der „proaktive Schutz", der für die Wassereinzugsgebiete in den Bergen nötig sei. Schließlich ist es besser zu handeln, bevor dort erhebliche Schäden entstanden sind. Bislang aber sei es ein stumpfes Schwert, so Mkhonza, weil die Ministerin davon noch keinen Gebrauch gemacht habe.

Wie es sich in der Praxis auf die Wassereinzugsgebiete anwenden ließe, ist eine Frage, mit der sich ein Beratungsgremium aus Vertretern der Provinzen, der nationalen Regierung, Wissenschaftlern und Experten des südafrikanischen Instituts für Biodiversität beschäftigt. Amanda Mkhonza ist als Rechtsexpertin Mitglied dieses Gremiums - und sie brennt für diese Aufgabe.

Pilotprojekt für drei Wassereinzugsgebiete in den Bergen

In Pilotprojekten solle die Umsetzung an drei der 22 „mountain catchment areas" durchexerziert werden, erzählt sie begeistert. „Wir sind schon recht weit bei der Formulierung der entsprechenden Deklarationen für diese drei Regionen."

Und zugleich liegt noch jede Menge Arbeit vor ihnen: Die Deklarationen müssten veröffentlicht, zur Diskussion gestellt und letztlich umgesetzt werden. Doch trotz all dieser Hürden ist die Juristin zuversichtlich, dass der Schutz der ersten drei strategischen Wassereinzugsgebiete auf diese Art gelingen kann.

Langfristig brauche es aber trotz allem ein „nuanciertes, spezifisches Gesetz", um alle 22 Wassereinzugsgebiete in den Bergen effektiv zu schützen. Dabei müsse auch berücksichtigt werden, dass die Risiken für diese Gebiete regional unterschiedlich ausgeprägt seien.

In der Provinz Mpumalanga, dem Kohleabbaurevier im Osten Südafrikas, besteht in erster Linie Gefahr durch den Bergbau, am Westkap bedrohen invasive Pflanzenarten die einzigartige Flora, und in KwaZulu-Natal leidet die Natur unter einer starken Überweidung durch Vieh. „Wir brauchen also eine landesweite Regelung, die jedoch ausreichend Spielraum für regionale Lösungen lässt."

Einsamer Kampf für den Schutz der Wasserressourcen

Es liegt also noch viel Arbeit vor ihr. Die 32-Jährige hat sich einer Mammutaufgabe verschrieben und fühlt sich damit manchmal allein auf weiter Flur. „Bei Konferenzen bin ich oft die einzige, die sich für den gesetzlichen Schutz unserer Wasserressourcen einsetzt." Es sei noch viel Aufklärungsarbeit nötig, sowohl unter Juristen, als auch in Politik und Gesellschaft.

Regelmäßig spreche sie als Dozentin an der Universität Kapstadt auch mit ihren Masters-Studentïnnen darüber: „Ich versuche zu vermitteln, wie spannend und relevant dieses Spezialgebiet ist." In der Hoffnung, dass sie künftig Unterstützung habe und nicht „die einzige Juristin" sei, die sich mit dem Wasserrecht auskenne, es anspreche und vorantreibe.

„Großmutter der Wassereinzugsgebiete"

Die meisten Absolventïnnen seien jedoch eher daran interessiert, schnell viel Geld zu verdienen, erzählt sie. Entmutigt wirkt sie dabei nicht, es scheint sie eher anzuspornen: Für ihre nächste Forschungsarbeit will sie als Pionierin auf ihrem Gebiet noch tiefer in das Thema einsteigen, um eine rechtlich wasserdichte, ökologisch nachhaltige und praktisch umsetzbare Lösung zu präsentieren.

„Und wer weiß", scherzt sie, als sie im Botanischen Garten am Fuß des Tafelbergs wieder an den blühenden Proteen vorbei zum Ausgang geht: „Eines Tages bin ich in Südafrika vielleicht als Großmutter der Wasser-Einzugsgebiete bekannt."


Riffreporter | Countdown Natur | 24.06.2021

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