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BeReal: Ist BeReal das neue Instagram?

Mein Handy fordert mich auf, ein Foto zu machen. Ich habe nur zwei Minuten Zeit. Ich sitze in meiner Küche, schon wieder, und drücke auf den Knopf. Doppelkinn, leicht verwackelt. Egal, ich lass das jetzt so. Ich könnte es wiederholen. Aber dann sehen meine Freund:innen, dass es nicht mein erster Versuch war. Ich beobachte Kimia beim Chipsessen, Juri beim Auskatern und irgendwie bin ich dabei, wenn Emilia und Paula im Wald spazieren gehen. Jetzt sind alle bei BeReal, dem Anti-Instagram. Und ich, internetbegeistert und handysüchtig, freue mich darüber.

BeReal ist ein soziales Netzwerk, in dem man Fotos mit Freund:innen teilen kann. Die App wurde Anfang 2020 vom gleichnamigen französischen Unternehmen veröffentlicht und blieb unscheinbar. 2022 wurde BeReal zum Hype, besonders in Frankreich und den USA. Fast 80 Prozent der um die acht Millionen Downloads stammen aus diesem Jahr.

BeReal funktioniert so: Alle Nutzer:innen bekommen gleichzeitig zu einer täglich wechselnden Uhrzeit eine Pushnachricht. Klicke ich die an, habe ich zwei Minuten Zeit, ein Foto zu machen. Lasse ich die Zeit verstreichen, kann ich ein Bild nachreichen, aber das ist dann als late markiert.

Wenn ich ein Foto mache, werden Front- und Rückkamera zeitgleich ausgelöst. Das Ergebnis ist ein Bild von dem, was ich sehe. Dazu mein eigenes Gesicht in diesem Moment, gezeigt in einer kleineren Kachel in der Ecke des Bildes. Fotos von anderen kann ich nur sehen, wenn ich auch selbst eins hochlade. Lurken, also nur gucken, geht nicht. Und nach 24 Stunden sind alle Fotos weg.

Warum jetzt der Hype?

BeReal fühlt sich an wie eine Retro-App. Ein social, das an die leichten Zeiten erinnert, in denen man noch zum Spaß auf war, nicht zur Selbstdarstellung. TikTok zeigt einem vor allem Videos an von Accounts, denen man nicht folgt. Instagram macht das seit Kurzem nach. Wenn ich den Algorithmus gut trainiere, sehe ich zwar einen auf mich zugeschnittenen Themenmix aus Lifestyle und Politik, aber kaum noch spontane, alberne und authentische Beiträge der Leute, für die ich mich wirklich interessiere. Das ist alles zu viel, mir zumindest. Deswegen poste ich dort mittlerweile viel seltener. Auf BeReal gibt es keine Likes, keine Beautyfilter, und es gibt keine Werbung - noch nicht. Aber meine Freund:innen sind da, in echt.

Vielleicht ist der Hype um BeReal so schnell vorbei wie bei Clubhouse. Nach vier, fünf Monaten hat sich kaum noch jemand dafür interessiert. Oder die App etabliert sich wie Snapchat und und wird zu einem der größten Konkurrenten für eine Plattform, die gute neue socials gerne mal kopiert - Instagram.

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Am Anfang kam mir die ganze Idee von BeReal bescheuert vor. Inzwischen benutze ich die App seit acht Wochen und habe verstanden, dass die Fotos nicht lange sichtbar bleiben und dass es Spaß macht, einfach was rauszuhauen. Egal, ob ich verschwitzt bin oder schief lächle. Fritzie sitzt genervt vor einer Excel-Tabelle, Marc isst auf dem Balkon seiner Eltern. Einmal wollte ich schnell ein Bild aufnehmen, während ich in einem Restaurant wartete. Erst später fiel mir auf, dass ich meine Augen in dem Moment komisch aufgerissen hatte. Irgendwie auch egal.

Nur enge Freund:innen

Deshalb achte ich darauf, nur mit engsten Freund:innen verbunden zu sein. Die Inhalte im Feed sind dadurch ganz anders als bei Instagram. Ich sehe keinen Naturwein und keine Beachbodys, sondern viel Alltag. Schreibtische, Ampeln, Parks und Supermärkte. Am spannendsten sind die Selfies, weil die mir verraten, wie es der jeweiligen Person im Moment der Aufnahme gehen könnte. Auf Twitter hieß es neulich: "Bereal in meiner Altersklasse heißt vor allem viele Bilder von Büroschreibtischen und Augenringen."

BeReal, das sagt ja schon der Name, soll für Authentizität stehen. Ich will real sein, aber ganz ehrlich: Natürlich bin ich eitel. Weil ich nur einmal am Tag posten darf, überlege ich mir genau: Welches Bild will ich heute von mir abgeben? Das lässt sich nämlich beeinflussen. Neulich saß ich in meiner Küche, als der Aufruf zum Posten kam. Dort hatte ich schon etliche BeReals aufgenommen. Später am Tag war ich mit meiner besten Freundin verabredet, um in eine Ausstellung zu gehen. Also habe ich die Benachrichtigung erst ein paar Stunden später angeklickt - ich war late - und habe das Foto im Museum gemacht. Böse Zungen würden jetzt sagen, dass ich nur gewartet habe, um zu zeigen, wie artsy wir sind.

Man weiß sich immer zu inszenieren. BeReal ist da keine Ausnahme, deswegen ist der Imperativ im Namen eigentlich albern. Ich kann steuern, welchen Ort, Moment und Zeitpunkt des Tages ich wähle, um ihn mit meinen Freund:innen zu teilen. Wenn ich gerade im Badezimmer bin, mache ich natürlich kein Foto, auch wenn die App das will.

Durch die vielen kleinen Aufnahmen aus dem Alltag entsteht eine Regelmäßigkeit und Verbindlichkeit zwischen meinen Freund:innen und mir, die ich online schon lange nicht mehr gefühlt habe. BeReal erinnert mich an diese Anfangseuphorie des Web 2.0. Das frühe Facebook und das alte Versprechen, verbunden zu bleiben, auch wenn man sich nicht täglich treffen kann. Jahre, in denen man noch Fotoalben vom Abend am See postete, in denen nicht jedes Foto perfekt inszeniert war. Klar, die App ersetzt kein Treffen mit Freund:innen, aber sie bringt uns im Alltag wieder näher zueinander.

Weil mein BeReal nur im engsten Kreis stattfindet, dürfen diese kleinen Situationen entstehen. Stella grinst vorfreudig in ihre Kamera, sie ist gerade auf dem Weg zum Shopping und hat den Eingang einer TK-Maxx-Filiale fotografiert. "Ich komme auch!!", kommentiert Mathis unter den Post. Nichts Besonderes, aber trotzdem schön.

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