Endlich darf das Theater wieder gemeinsam mit Publikum spielen, um in Dialog und Reflexion herauszufinden, was es heißt, Mensch zu sein. Mit kaum mehr Plattitüde, aber auch mit kaum größerer Treffsicherheit hätte da das Eröffnungsstück der Heidelberger Schlossfestspiele am vergangenen Samstag, 12. Juni in der Spielstätte Dicker Turm gewählt werden können. In Marivaux‘ Komödie „Das Spiel von Liebe und Zufall“ geht es um nichts anderes als die Liebe, der Titel verrät es, und darum dreht es sich im Leben ja irgendwie immer.
Die Komödienhandlung ist flott erzählt: Silvia soll Dorante heiraten, das erste Kennenlernen steht an. Um seinen Charakter zu prüfen, tauscht sie die Rolle mit ihrer Zofe. Blöd nur, dass er die gleiche Idee hatte und sich als sein Diener verkleidet hat. Selbstverständlich verlieben sich alle sofort und beide Paare dürfen am Ende heiraten. Das ist großer Kitsch, es ist aber auch Ausdruck einer Idee von Liebe, die nicht zufällig ist, sondern über alle Hindernisse hinweg zwei füreinander bestimmte Herzen zusammenbringt.
Dieses Ideal hat eine lange Tradition, in der Literaturgeschichte hat sich im Sinnen nach der Liebe grundlegend nichts geändert, nur die Ausdrucksformen wandeln sich. Hier setzt Regisseurin Lilli-Hannah Hoepner mit ihrem Team für die Heidelberger Inszenierung an und befragt Marivaux‘ Text aus dem Jahr 1730 auf seine Aktualität. Das Setting des Rokokos nimmt sie als Startschuss für einen grandiosen, temporeichen Galopp von achtzig Minuten durch die Kulturgeschichte der Liebe. Den Original-Text verlässt sie dabei kaum, zu jedem Zeitpunkt wird in Heidelberg tatsächlich Marivaux gespielt.
Das erreicht dennoch moderne Herzen, weil Hoepner erstens eine gelungene Neuübersetzung von Sigrid Behrens nutzt, die zwischen ältlicher Hochsprache und Tinder-Vokabular changiert. Zweitens werden die sieben Schauspieler von der wunderbaren Pop-Musikerin Charlotte Brandi unterstützt, die mit eigens komponierten Songs und mit Keyboard dort einspringt, wo die Emotion der Musik mehr vermitteln kann als bloße Worte. So werden die Monologe des Stückes gestrichen und durch Balladen ersetzt, Wendepunkte werden musikalisch begleitet und auch Erotik und wilder Sex halten dank musikalischer Imaginationskraft Einzug auf der Bühne.
Brandis Songs stellen die Liebe als allzeit besungene Kraft aus, in ihrer Plattheit sind die Texte genial, weil sie die Pop-Schmonzetten der vergangenen Jahrzehnte als Essenz darstellen. Musikalisch treibt Brandi das auf die Spitze, indem sie die Stile zwischen Modern Talking, Eurovision-Klamauk und Deutsch-Pop wechselt – mitunter im Laufe eines Liedes. Die Songs fungieren als Miniatur der Inszenierung: Es geht hier weniger um die Liebe an sich als um deren Darstellung.
Das zeigt sich auch im Spiel des durchweg fabelhaften Ensembles, das durch Plakativität glänzt. Die Männer sind papageienhafte Hampelmänner im Liebesrausch und die Frauen wohlerzogene, selbstsichere Gören. Das alles gestalten sie nah am Chargieren, um in ausgewählten Momenten durch ein zutiefst menschliches Spiel zu bestechen und die ganze Tiefe und Freude und Leid der Liebe in den Bühnenraum zu werfen. Für diesen grandios gedankengeladenen und doch vergnüglichen Marivaux bedankt sich das Publikum mit verdientem, starkem Applaus.
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