Es ist ein Donnerstagmorgen im August, der über die Zukunft der Bauern entscheiden soll. Um neun Uhr steht die Sonne im griechischen Kavala schon recht hoch am Himmel. Die 40 Bauern warten im Schatten einiger großgewachsener Walnussbäume. Es herrscht jene aufgeladene Stille, die eintritt, bevor etwas passiert. Eigentlich würden die Bauern jetzt auf ihren Feldern arbeiten, aber heute gibt es Wichtigeres zu tun. Denn ihnen gegenüber stehen an einen alten Trecker gelehnt 15 Arbeiter der Gegenseite. In gelbe und rote Westen gehüllt, Schutzhelme auf dem Kopf, die Spaten bereit, warten sie darauf, ihre Arbeit fortsetzen zu können. Am frühen Morgen hatten die Bauern ihre Arbeit gestoppt und eine Genehmigung gefordert. Eine Genehmigung dafür, dass die Männer Rohre der TAP-Pipeline unter ihre Felder legen. ›Das werden wir nicht zulassen!‹, ruft Themis Kalpakidis, der Vorsitzende der Bauernvereinigung, der jetzt vor dem Eingang des Maisfeldes steht.
Bauern und Arbeiter, sie streiten um etwas, das es noch gar nicht gibt: Die Trans-Adriatische Pipeline, kurz TAP, die Erdgas von einem Gasfeld in Aserbaidschan nach Europa transportieren soll. Was ab 2020 die Energiequellen für die Europäer diversifizieren wird, ist hier, in der Region Kavala, Griechenland, in der schon flimmernden Morgensonne nur noch einen Schritt von einem Handgemenge entfernt. Die Lippen aufeinandergepresst, lehnen Arbeiter und Bauern nun gemeinsam über der Kühlerhaube eines weißen Jeeps. Skeptisch mustern die Bauern die Dokumente, die die Arbeiter darauf ausgebreitet haben. Bis einer der Arbeiter entnervt den Bebauungsplan zusammenfaltet und die Plastikhocker und Messgeräte wieder in die Jeeps wuchtet. Für heute haben die Bauern gewonnen, aber der Kampf um die Pipeline ist damit keineswegs entschieden.
Drei Tage zuvor sitzt der Biogasbauer Themis Kalpakidis in seinem blauen Traktor und zieht lange Bahnen auf einem abgeernteten Feld. Vor ein paar Wochen blühte hier in grellem Gelb der Raps, jetzt bedeckt dunkelbraune Jauche den Boden. ›Seit ich klein bin, bin ich mit aufs Feld gegangen. Das war etwas, das ich wirklich gerne mochte‹, sagt Kalpakidis. ›Wir lieben unser Land und kämpfen gegen die Pipeline, weil wir Angst haben, dass sie unsere Region zerstört.‹ Die Fensterscheiben schirmen ihn vom stechenden Gestank ab. Mit seinem Handrücken wischt er sich die Schweißperlen von der Stirn. Die Finger, die das Lenkrad umgreifen, sind abgenutzt, die Haut rau. Kalpakidis, 51, sonnengegerbtes Gesicht, graue Haare und ebensograue Bartstoppel, öffnet eine Landkarte auf seinem Smartphone. Eine pinkfarbene Linie zieht sich einmal quer über den dunkelgrünen Bildschirm, Kalpakidis würde sie am liebsten ausradieren. Es ist die Route der TAP, eines transnationalen Infrastrukturprojektes, an dem die britischen BP, die staatliche norwegische Statoil und SOCAR, die nationale Ölgesellschaft Aserbaidschans, beteiligt sind. TAP meint also nicht nur die Pipeline selbst, sondern ist auch der Name des Unternehmens, das für den Bau verantwortlich ist. ›In diesem Kampf geht es uns nicht um persönliche Vorteile, wir tun das für unsere Gemeinschaft, für unsere Kinder‹, sagt der Bauer. Seit fünf Jahren kämpft er nun diesen ungleichen Kampf. Dabei hat er nichts gegen die Pipeline, nur etwas gegen deren Route. Denn die verläuft direkt durch die Felder, die bekannt sind für ihre fruchtbare, moorige Erde und die den Bauern ihre Zukunft sichern. Für diese Felder fühlt sich Themis Kalpakidis als Präsident der Bauernvereinigung verantwortlich - auch wenn seine eigenen Grundstücke außerhalb der geplanten Route liegen. Aufgeben kommt für ihn nicht in Frage.
517 Kilometer westlich von Kavala, in dem kleinen Dorf Strum im Westen Albaniens, hockt Festim Malka auf seinem Wassermelonenfeld. Mit groben Bewegungen sticht er zuerst einen runden Deckel aus der Melone, dann schneidet er eine Spalte heraus, sodass ihr saftig-rotes Fleisch zum Vorschein kommt. ›Echt Bio, komm her und probier!‹, ruft er mit kratziger Stimme, die selbstgedrehte Zigarette steckt noch zwischen seinen weißen Zähnen. Mit seinen Ledersandalen und der beigefarbenen Caprihose sieht Malka gar nicht so aus, wie man sich einen Bauern vorstellt. Anders als sein griechischer Kollege Themis Kalpakidis hat er den Kampf gegen die Pipeline schon verloren. Seit fast einem Jahr sind ihre Rohre im Boden. Zwei Meter tief verläuft die Pipeline einmal quer durch sein Grundstück. Als die Leute von Abkons, dem albanischen Subunternehmen von TAP, vor zweieinhalb Jahren das erste Mal zu ihm kamen, weigerte er sich zu unterschreiben. Aber dann hätten sie gesagt, dass es Gesetze gebe, mit denen sie ihm die Grundstücke wegnehmen könnten, sie würden dann in Grundstücke der Regierung umgewandelt. Also unterschrieb er doch und bekommt seither 350 Euro Grundstücksmiete - pro Jahr. ›Hätte ich den Sommer über, also drei Monate lang, auf diesem Feld Wassermelonen angepflanzt, dann hätte ich mindestens 2.800 Euro im Jahr verdient‹, sagt Malka. Jetzt aber drohen seine Wassermelonen und Tomaten immer wieder zu ertrinken. Denn wenn es regnet, sammelt sich das Wasser auf seinem Feld und kann nicht mehr abfließen. Schuld daran sei die Drainage, die im Zuge des Pipelinebaus gemacht wurde und die die natürliche Laufrichtung des Wassers ändere. Die Dämme, die er notdürftig errichtet hat, halten den Wassermengen nicht stand. Malka sagt, er habe sich bei den Arbeitern vor Ort beschwert. Ein Anwalt wäre zu teuer und zu weit weg gewesen. Nach Tirana zu fahren, dafür habe er keine Zeit. Dann schiebt er mit einem resignierten Lachen hinterher: ›Außerdem, seit wann kann der kleine Fisch den großen fressen, und das in diesem Land?‹