Mitten in der Stadt, mit Verkehrslärm und Abgasen: Ein Hamburger Campingplatz bietet Touristen ungewöhnliche Schlafplätze. Bald teilen sie ihn sich mit Obdachlosen
Von: Lena Frommeyer
Grüner Deich, es gibt wenige Orte, die man so wenig mit diesem Straßennamen in Verbindung bringt wie den Wohnmobilhafen in Hammerbrook. Aber wirklich: Die Adresse des Stellplatzes für Campingbusse lautet Grüner Deich 8. Eingerahmt von Bundesstraßen, einer Tankstelle und Bürobauten liegt er da. Ausgangspunkt für Hamburg-Besucher, die aus Bremen, den Niederlanden oder Frankreich anrollen.
Die Gäste des Wohnmobilhafens machen Urlaub in einer Stadt, die sich als die schönste weit und breit feiert, und übernachten auf einem Schotterplatz voller Pfützen. Er liegt nordöstlich des Zentrums, kurz vor den Elbbrücken. Ein Metallzaun umspannt das Gelände. Über den Köpfen der Camper verläuft die Trasse der S-Bahn. Wie eine Schlange aus fleckigem Beton, befestigt auf dicken Pfeilern, die zwischen den Wohnmobilen im Boden verschwinden.
Es ist 13 Uhr, bewölkt, aber trocken. Vor einem der Wohnmobile liegt eine Plastikplane, darauf zwei Stühle und ein Tisch. Bronder Koen und Stella Verlinolen öffnen gerade eine Flasche Weißwein. Das Paar aus Belgien ist gestern mit ihrem Hund Flappie angereist. Sie trägt Hausschuhe. Er sitzt in schwarzem Anzug mit roter Krawatte und Lackschuhen auf seinem Klappstuhl. Sie stoßen mit den Gläsern an, nippen an ihren Drinks.
Hupende Autos, brummende Lkws, surrende S-BahnenFür Bronder Koen und Stella Verinolen ist der Aufenhalt in Hamburg sowohl Urlaub als auch Businesstrip. Er betreibt in Hamburg ein kleines Geschäft mit Kaffee aus Äthiopien. Deshalb wollen sie sich später noch mit einem Kollegen auf eine Tasse Kaffee treffen. Danach planen sie dann einen Spaziergang durch die Hafencity. Und anschließend ein Essen in der Deichstraße. "Da sind so schöne Häuser, Restaurants und Geschäfte."
Während Koen und Verinolen Weißwein trinken, schlendern um sie herum andere Camper über den Platz. Auch im Herbst ist er gut besucht. Akkurat ausgerichtet stehen die weißen Gefährte da, mit Satellitenschüsseln auf dem Dach und Betten für zwei bis sechs Personen im Bauch. Ein Mann mit Badeschlappen schlurft zu den Sanitäranlagen. Vor den roten Containern der Platzwarte stehen Strandkörbe. Wer in ihnen sitzt, hört nicht das Meer, sondern den Verkehr: hupende Autos, brummende Lkws, surrende S-Bahnen. Es riecht nach Abgasen.
Bronder Koen zeigt stolz sein Mobil. Zwischen dem Bett mit geblümtem Überzug und der Küche, in der ein Topf mit Bolognese-Sauce steht, muss er die Stimme heben, um den Verkehr zu übertönen. "Es ist ein bisschen laut. Aber ich schlafe mit Ohrstöpseln", sagt er. "Am Fischmarkt darf man auch stehen, aber dort ist es auch nicht ruhiger." Wegen des Kopfsteinpflasters. Außerdem gebe es keine Duschen oder Strom. Einzig das Internet fehle ihm hier in Hammerbrook. "Das ist komisch in Deutschland. WLAN zu bekommen ist kompliziert", sagt er.
Schräg gegenüber von den zwei Besuchern aus Belgien parkt ein Ehepaar aus Münster ihren Campingbus ein: Andrea und Dieter Geiß, Musical-Fans. Drei Mal waren sie schon in Hamburg, um das Phantom der Oper zu sehen. Und immer haben sie das Wohnmobil einem Hotel vorgezogen.
"Ich kann aufstehen, wann ich will, ich kann essen, wann ich will, das ist Freiheit", sagt Andrea Geiß. Am besten gefalle ihr die gute Verkehrsanbindung des Hammerbrooker Wohnmobilhafens. Das sei wichtiger als eine schöne Lage. "Wir könnten auch raus nach Wedel und da schön idyllisch stehen. Aber das ist irre weit", sagt der Camper. Der Lärm mache ihnen nichts aus. "Wir schlafen auch auf Autobahnraststätten."
Während
Herr Geiß im Wohnmobil aufräumt, nehmen seine Frau und Hund Benny
Kontakt mit den anderen Campern auf. "In den Herbstferien sind viele
Familien hier", sagt sie.
Kurz darauf weiß sie bereits, dass die Platznachbarn von Gegenüber aus
Sachsen kommen, zwei Kinder haben und sich heute König der Löwen
anschauen. Die Karten gibt es direkt an der Stellplatz-Rezeption. Dort steht eine blonde Frau hinterm Tresen. "Martina vom
Platz" nennt man sie hier — und so möchte sie auch in diesem Text genannt werden.
Seit drei Jahren schließt Martina vom Platz morgens um acht das Büro auf, schaut nach dem Rechten und verkauft Tickets für sämtliche Hamburg-Attraktionen. Natürlich auch Stadtrundfahrten: Der Wohnmobilhafen wird von der Firma Die Roten Doppeldecker verwaltet, die das Gelände von der Stadt mietet. Deren Busse für Besichtigungstouren parken ebenfalls auf dem Gelände. Die Fahrten starten direkt vom Stellplatz aus durch die Innenstadt.
Martina vom Platz kann viele Geschichten erzählen. Zwar gibt es hier keine Dauercamper, aber dafür Stammgäste, die immer wieder für Musicals, Schlagermove oder Hafengeburtstag vorbeikommen. Da freundet man sich schnell an. "Wenn ich abends das Büro abschließe, dann trinke ich auch schon mal ein Bierchen mit", sagt sie. "Und dann versumpft man und die Musik wird angemacht. Wir haben letztens noch hier auf dem Schotter getanzt."
Der Stellplatz ist an 365 Tagen geöffnet. Etwa 60.000 Gäste kommen pro Jahr. Auch im Winter, wenn die Weihnachtsmärkte öffnen, sei viel los, sagt Martina. "Wenn der Schnee bis zu den Kniekehlen hoch liegt, wird hier immer noch gecampt", so Martina. Die Gäste schmückten dann ihre Wohnmobile mit kleinen Bäumchen und Lichterketten. "Das sieht toll aus."
In diesem Winter müssen die Touristen enger zusammenrücken. Ab Mitte Dezember nutzt die Stadt eine Hälfte des Stellplatzes für ihr Winternotprogramm. Bald entsteht ein Containerdorf für 250 Obdachlose. "Das ist notwendig, weil das Haus an der Spaldingstraße, das bisher für Notunterbringungen genutzt wurde, baufällig ist und abgerissen wird", erklärt Katharina Fest, Betriebsleiterin des Wohnmobilhafens. Täglich dürfen Obdachlose dann um 17 Uhr hier ihre Betten beziehen. Um neun Uhr müssen sie die Container wieder verlassen.Bald schlafen die Touristen in ihren Wohnmobilen also direkt neben Obdachlosen in Containern. Die Reaktionen darauf sind unterschiedlich. Angst, Ärger und Mitgefühl mischen sich. Camperin Andrea Geiß findet den Plan gut: "Was wir hier machen, ist Luxus. Das ist Urlaub. Die armen Menschen wissen nicht wohin. Ich würde mich schämen, wenn ich hier stehen und mich gestört fühlen würde."
Martina ist skeptisch, ob alle Gäste so verständnisvoll reagieren: "Wir leben in Hamburg. Wir sind mit der Situation der Obdachlosen vertraut", sagt sie. Viele der Gäste aber kämen vom Land, aus Österreich und Bayern. Die seien schon durch die Größe der Stadt und die Lautstärke des Verkehrs beeindruckt. "Wenn sie dann noch solche Leute sehen, haben sie Angst um ihr Mobil und fühlen sich nicht wohl."
Wenn der Winter vorüber ist und damit die Notunterbringung endet, müssen die Obdachlosen wieder auf die Straße. Dennoch bleibt es bei der halbierten Fläche für den Stellplatz. Die Container stehen den Sommer über leer. Betriebsleiterin Fest hat schon eine Idee, wie sie genutzt werden können: "Man könnte Backpacker in ihnen unterbringen", sagt sie. Einen Euro pro Übernachtung will sie für das Winternotprogramm spenden.Original