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"Bitte kein Lego schenken!"

Seit etwa fünf Jahren lässt Anneliese Bunk die Plastikpackungen links liegen - ihr Einkaufskorb ist dennoch immer gut gefüllt. (Foto: Catherina Hess)

Anneliese Bunk und ihre Familie versuchen, so weit wie möglich ohne Plastik zu leben. Beim Einkauf gibt es viel zu beachten. Aber allzu dogmatisch soll es auch nicht zugehen.

Es hat einfach Klick gemacht. Anneliese Bunk sieht den Dokumentarfilm "Plastic Planet" vor fünf Jahren zum ersten Mal. 90 Minuten lang macht der Film deutlich, wie viele Facetten der Plastikkonsum hat und wie viele Folgen - für unsere Umwelt und unsere Gesundheit. Anneliese Bunk ist schockiert: Wenn es jeder weiß, warum tut dann keiner was? "Nach der Stein-, Bronze- und Eisenzeit beginnt jetzt die Plastikzeit", lautet der erste Satz des Films, der ihr Leben und das ihrer Familie grundlegend umkrempelt. Sie beschließt, ihre Plastikzeit zu beenden. Von einem Tag zum anderen wird die Familie Bunk zu Plastik-Aussteigern.

Was im Kopf schnell beschlossen ist, lässt sich in der Realität nicht sofort umsetzen. Bunk schaut sich in ihrer Wohnung um. Sie ist ein Bauchmensch, impulsiv und spontan, aber sie überlässt auch nichts dem Zufall. Schritt für Schritt soll die Plastikvermeidung laufen, angefangen bei dem Produkt mit dem schlechtesten Verhältnis von Inhalt und Verpackung. Flüssigwaschmittel ist der erste ausgemachte Teufel, ein "Umwelt-Supergau", also weg damit, von nun an wird es selbstgemacht: Ein paar Flocken Olivenseife, warmes Wasser, etwas Waschsoda. Fertig. Genauso der Badreiniger, der schneller zusammengemischt ist, als der neue eingekauft - "das haben wir getestet!"

Die Planerin in Anneliese Bunk probiert alles aus, vergleicht Preise, Zeiten und Rezepte, bilanziert Kosten. Ihr Mann hofft zu Beginn, es sei "nur so eine Phase", wie sie Frauen nun einmal immer wieder hätten. Sie ist zu dem Zeitpunkt Geschäftsführerin einer Münchner Werbeagentur, beschäftigt eine Festangestellte und zwölf freie Mitarbeiter. Sie arbeitet sehr viel, daneben die Familie mit den beiden Jungs, heute neun und elf Jahre alt. Schon damals glaubt sie, nachhaltig einzukaufen, viel Bio landet im Einkaufswagen, aber eben auch viel Plastik. 2014 hängt die gelernte Grafikdesignerin ihren Job zusammen mit dem Plastik einfach an den Nagel - wieder eine Bauchentscheidung.

Plastikvermeidung wird zu ihrer Lebensaufgabe. Nach kurzer Zeit will sie auch die Plastiktüten an Obst- und Gemüsetheken einsparen: "Allein die Obst- und Gemüseverpackungen füllen jährlich 61 000 Müllfahrzeuge in Deutschland". Sie näht sich kleine Stoffbeutel mit Gummizug, die sie mit zum Einkaufen nimmt. Es dauert nicht lange, da sprechen die Verkäufer sie darauf an, wollen ihr die Taschen abkaufen. Sie startet eine Crowdfunding-Kampagne, um Produkttests zu finanzieren. Als Dankeschön will sie den Spendern ein Booklet mit 50 Tipps zum Plastiksparen schenken. Beim Sammeln "wurden es immer mehr Tipps". Mit Unterstützung einer befreundeten Journalistin bringt sie 2016 gleich ein ganzes Buch heraus, das es in die Spiegel-Bestsellerliste schafft.

Ihre Stoffbeutel werden mittlerweile in einer Näherei mit acht Angestellten produziert. Parallel erhält Anneliese Bunk "täglich" Einladungen zu Vorträgen in ganz Deutschland: Berlin, Frankfurt, Hamburg, Stuttgart - aus ihrem spontanen Sinneswandel ist ein neuer Vollzeitjob geworden. Richtig gut fühlt sie sich dabei noch nicht, die ganze Reiserei sei "auch nicht nachhaltig" und damit ein Widerspruch zu ihrer Intention. Ihr schwebt vor, stattdessen die konsumbewussten Menschen in Deutschland besser zu vernetzen, Teamwork statt One-Woman-Show.

Plastik muss man in der Wohnung von Familie Bunk heute, knapp fünf Jahre nach dem Wandel, aktiv suchen. Ein Blick ins Badezimmer: die Seife am Stück ("Kein Mensch braucht Duschgel!"), selbst angerührte Cremes, handtellergroße, feste Stücke Shampoo, auch Deo und Haarwachs sind selbstgemacht. Bunk redet von Natron, Maisstärke, Sheabutter und Ölen, die sie zur Herstellung benutzt hat - alles lebensmitteltaugliche Zutaten.

Im Kühlschrank, zwischen einer Unmenge an Einmachgläsern und Stoffbeuteln, findet er sich doch noch, der Übeltäter Plastik, in Form einer Packung Cheddarkäse. "Mein Mann ist Engländer", lacht sie. "Er kann nicht ohne seinen Cheddar." Der eingeflogene Käse aus England - für die Münchnerin eine "Katastrophe" - gehört zu den ganz wenigen Ausnahmen im Hause Bunk.

Anneliese Bunk hält nichts von Plastikverboten im Haus, die "gab es nie und wird es nie geben". Ihre Familie hat sie mehr oder weniger freiwillig zu Plastikvermeidern gemacht, ihr Mann war lange skeptisch, die beiden Kinder haben es relativ schnell akzeptiert. Mittlerweile, so erzählt es die Mutter, lehnen die Jungs Gummibärchen, Traubenzucker und Taschentücher in der Apotheke ab, der Satz "Eine Cola ohne Strohhalm, bitte" ist im Restaurant zum Automatismus geworden. Verzicht spüren die Kinder nicht, meint ihre Mutter, obwohl sie sehr wohl auf vieles verzichten, um Plastik zu umgehen. Auf Chips beispielsweise, und auch Schokolade ohne Plastik ist selten. Dafür mampft der neunjährige Noah gerade selbstgebackenen Kuchen, als seine Mutter einkaufen geht. Wenn sie fährt, dann mit dem Fahrrad.

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