Mit dem Strache-Video ist in deutschsprachigen Medien ein Wort groß herausgekommen, das eigentlich nur die Randbedingungen des ganzen Skandals beschreibt: Oligarch.
In der ersten Titelgeschichte der „Süddeutschen Zeitung“ (€) dazu fiel das Wort „Oligarchennichte“ acht Mal, zwei Mal wurde die fiktive Aljona Makarowa auch selbst als „vermeintliche Oligarchin“ bezeichnet; der real existierende Igor Makarow wurde ebenfalls zwei Mal „Oligarch“ genannt. Immerhin: Im Untertitel war die Rede von einer „Multimillionärin“, und zwei Mal wurde sie in der SZ-Geschichte auch „Investorin“ genannt. Der „Spiegel“ nannte sie in seiner Titelgeschichte fast immer „Frau“ oder „Russin“ – aber auch hier fiel zwei Mal das Wort „Oligarch“.
Rund um die Ibiza-Affaire wurden von SZ und „Spiegel“ auch andere
einflussreiche und reiche Menschen genannt, die allerdings aus
Österreich kommen. In der SZ hießen sie „Unternehmer“ (Hans Peter
Haselsteiner), „Kaufhaus-Erbin“ (Heidi Horten) und „Milliardär“ mit
Immobiliendeals (René Benko). Wörter, die vielleicht nicht auf Anhieb
Sympathien erwecken, aber auch nicht sofort mit einer stillen Herrschaft
und Korruption in Verbindung gebracht werden.
Der „Spiegel" zeigte zumindest gegenüber René Benko seine Abneigung und bezeichnete ihn als „Immobilienkrösus" und „Milliardär und Immobilienmogul". Die anderen kamen dafür umso besser weg: Heinrich Pecina, „der Investor" und „große Player" mit „aristokratischem" Auftreten, der „Unternehmer" Dietrich Mateschitz und die „milliardenschwere Kaufhaus-Erbin Heidi Horten": All das klingt nach Wirtschaftswachstum, nach Menschen, die das Geld ins Land bringen und die Konjunktur ankurbeln. Die Lorbeeren der „Spiegel"-Geschichte trug aber immer noch Hans Peter Haselsteiner als der „Tiroler Industrielle und Philanthrop" - als hätte der aus reiner Menschenliebe viele Millionen an Amtsträger gezahlt.
Keiner der Genannten kommt wirklich gut weg. Sie alle sind entweder mutmaßliche Großspender*innen der FPÖ oder in Korruption verwickelt. Aber selbst als Immobilienmogul oder -krösus der unsympathischsten Sorte wird man als westlicher Milliardär eines nicht genannt: Oligarch.
Das negativ behaftete Wort aus dem Altgriechischen bezeichnete in der antiken Staatstheorie die Herrschaft von einigen wenigen, die meistens ihre eigenen Vorteile durchsetzen. Seit den neunziger Jahren bekam der Begriff eine neue Verwendung: Nach Zusammenbruch der Sowietunion bereicherten sich wenige Russen auf oftmals korrupte Art und Weise und bildeten eine politisch einflussreiche Elite - die russischen Oligarchen.
In der russischen Sprache wird das Wort offenbar viel genutzt. Aber auch auf englisch wird es verwendet, und zu dem Begriffspaar „Russian Oligarch" gibt es sogar einen eigenen Wikipedia-Eintrag. Unterschieden wird zwischen den Oligarchen der Jelzin-Ära und denen der Putin-Ära, als handele es sich bei einer neureichen Elite um ein einzig in Russland auftretendes Phänomen. Es gibt Dokumentarfilme: „Oligarchie: Russland, die Milliarden und die Frauen" und Artikel: „Wie russischen Oligarchen ihre Milliarden vererben".
Der Begriff wird also zuerst als Bezeichnung einer historischen Begebenheit legitimiert, als Beschreibung eines zeitlich und örtlich genau eingegrenzten Phänomens. Schon das ist fraglich. Da war Russland nun endlich nicht mehr kommunistisch und brachte dieselben Auswüchse des Kapitalismus hervor wie der Westen, und schon musste ein Wort her, um es schlechter erscheinen zu lassen als das westliche Original. Das Herkunftsland scheint bei der Definition von größerer Bedeutung als die Tatsache. Außerdem wird das Wort aber weit über die neunziger Jahre hinaus und bis heute verwendet.
Die meisten Zeitungen und Sender haben den Begriff „Oligarch" im Rahmen ihrer Berichterstattung über die Ibiza-Affäre übernommen - entweder bewusst oder nur als Nacherzählung der SZ- und „Spiegel"-Geschichte, die das Wording sozusagen vorgegeben hatten.
Positiv fiel zumindest anfangs die „Tagesschau" auf, die in ihren Fernsehberichten (im Gegensatz zu ihren Online-Beiträgen) überwiegend von einer „vemeintlich reichen Russin" sprach, oder von einer „russischen Geschäftsfrau". So viel unternehmerische Unabhängigkeit konnten die meisten deutschsprachigen Medien einer Frau offenbar nicht unterstellen. Es dominierte das Wort „Oligarchen-Nichte": Aljona Makarowa wurde also mehr durch ihre Abstammung charakterisiert als durch ihre Tätigkeit - obwohl sie in dem Gespräch mit Strache als Investorin ja tatsächlich Aufträge bekommen wollte.
Erwartbar schlugen „Focus" und Bild.de in noch holzschnittartigere Richtungen aus und titelten mit fragwürdigen Bindestrichkonstruktionen: „Russen-Oligarch jagt falsche Nichte", oder mit Dachzeilen wie „Russen-Oligarch Makarow spricht von Lockvogel". Dazu passte auch ein „vermeintlicher Oligarchen-Onkel" der „Augsburger Allgemeinen".
Sogar die Bundeszentrale für politische Bildung teaserte ihr Russland-Dossier aus dem Jahr 2018 an mit den Worten: „Das ‚System Putin' ist eine Mischung aus Autokratie und Oligarchie."
Dass Russlands Herrschaftsstrukturen großenteils undemokratisch sind - wer will das bestreiten. Vielleicht ist „Oligarchie" tatsächlich ein treffender Begriff. Wenn er aber nicht nur russlandfeindliche Ressentiments bedienen, sondern Tatsachen benennen soll, braucht es eine klarere Definition.
Und wenn „Oligarchen" mächtige Reiche mit Einfluss auf Poltik sind, dann müsste konsequenterweise auch Nestlé-Chef Marc-Aurel Boersch „Oligarch" heißen, wenn er Verbraucherministerin Julia Klöckner für ein informelles Werbe-Video gewinnen kann; Menschen wie Dirk Niebel, die zuerst Ministerposten besetzen und dann in der Waffenindustrie reich werden, oder die Lobbyist*innen von Unternehmen wie Monsanto, die Studien in Auftrag geben und Gesundheitsministerien beeinflussen. Oder, um bei Österreich und der Ibiza-Geschichte zu bleiben: Haselsteiner, der „Philanthrop", der mehrfach verdächtigt wurde, sich seine Aufträge ganz ähnlich wie die falsche Aljona Makarowa mit Schmiergeldern hereinzuholen.
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