Eine junge Frauen in El Salvador. Ihr trauriges Schicksal gibt nicht nur ihr selbst Kraft: Marisol Pérez schuftet unter unwürdigen Bedingungen, damit es ihre Kinder einmal besser haben. Laurine Zienc hat sie besucht und auf ihrem Arbeitsweg begleitet.
Marisol Pérez kann ihr Leben nicht selbstbestimmt gestalten. Ihr Tagesablauf wird von anderen diktiert. Aber Marisol hat immer funktioniert - für ihre Kinder. Nach über einer Stunde zu Fuß und mit dem Bus kommt sie bei der Fabrik an. Hunderte Menschen tummeln sich bereits frühmorgens auf der Straße.
Vor der Stadt Santa Ana stehen zahlreiche sogenannte Maquilas. So heißen in Mittelamerika Fabriken, in denen zum Beispiel Kleidung für den Export zugeschnitten, genäht, gebügelt oder verpackt wird. Das Freihandelsabkommen DR-CAFTA, das El Salvador mit den USA und anderen geschlossen hat, hat den Bau vieler Maquilas vorangetrieben. Eine bessere Infrastruktur, zollfreier Zugang zum US-Markt und kürzere Transportwege machen Mittelamerika für den wirtschaftlich starken Nachbarn im Norden attraktiver als etwa Asien.
Marisol Pérez geht im dichten Gedränge unter. Das bewaffnete Personal am Eingang der Maquila behält den Überblick: Marisol Pérez darf rein, Reporter nicht. Was hinter den hohen Mauern passiert, soll niemand mitkriegen. Wie die Sozialarbeiterin der Organisation „Mujeres Transformando" (Frauen verändern), Emma Catota, berichtet, lassen dort große Marken wie Adidas oder New Balance zum Beispiel Hemden oder Trikots produzieren. Im Laden in Nordamerika kosten sie später bis zu 150 US-Dollar. Marisol Pérez näht sie zusammen - für neun Dollar am Tag. Dafür muss sie mehr als zehn Stunden unter unwürdigen Bedingungen schuften, die sogar ihre Gesundheit gefährden.
Eine von 77.000
Die Maquilas interessiert der Abschluss nicht. „Jeder kann eine Nähmaschine bedienen, jeder kann ein Hemd zusammennähen. Dafür braucht man keinen Schulabschluss", sagt Marisol Pérez. Aber deswegen ist sie ersetzbar, wie all die knapp 77.000 Arbeiterinnen in den Maquilas von El Salvador. Die Mehrheit ist alleinerziehend, hat keinen Schulabschluss - und akzeptiert deshalb ungerechte Arbeitsbedingungen und Hungerlöhne.
Zuhause sitzt Marisol Pérez auf dem Sofa, die Hände gefaltet in ihrem Schoß. Die kleine, stämmige Frau ist nur bis zur dritten Klasse in die Schule gegangen. Sie kann kaum lesen und schreiben. Was in ihrem Arbeitsvertrag steht, weiß sie nicht. Ihre Augen werden feucht, sie blickt auf ihre Hände. „Ich will, dass meine Kinder einmal studieren, damit sie nicht in einer Maquila arbeiten müssen. Sie sollen große Träume haben, die sie sich hoffentlich erfüllen."
Marisol Pérez weiß, dass ein Studium teuer ist. Deswegen geht sie arbeiten. Und das, obwohl sie wegen der dort verwendeten Chemikalien bereits erkrankt ist. In ihrem linken Auge wächst ein Geschwür. Eine Operation ist teuer. Ob sie helfen würde, ist unklar. Über kurz oder lang wird Marisol Pérez erblinden. Mit dem Nähen aufhören kommt für die junge Mutter aber nicht infrage. „Ich muss Geld verdienen." Für die Zukunft ihrer Kinder.
Text: Laurine Zienc