Erschienen: 17. April 2018
Lana Del Rey beherrscht das Spiel mit den Querverweisen. Jede Pose sitzt beim Auftritt der Retro-Popperin in Berlin. Die Generation Instagram schickt sie auf Zeitreise in eine nicht so ferne Vergangenheit.
Es fühlt sich an wie eine Zeitreise. Auf dem Vorplatz der Mercedes-Benz Arena in Berlin stehen junge Frauen in knöchellangen Fransenmänteln und mit wallenden Haarmähnen voller Blumenkränze. Das männliche Pendant - von dem erstaunlich viele versammelt sind - trägt Jeansjacke und selbst gedrehte Zigarette. Grüppchen sitzen Bier trinkend im Kreis und singen die Zeile „I've got a war in my mind" von Lana Del Rey.
Die Szene vor dem einzigen Deutschlandkonzert der Retro-Pop-Queen wirkt wie ein Trip in die Hippie-Ära, ist in Wirklichkeit aber eine Reise in das Jahr 2012. Damals wurde das Wort „Selfie" groß, und das Duckface war noch eine würdige Pose der Selbstinszenierung im gerade aufkommenden Instagram-Hype. Es war das Jahr, als Lana Del Rey all das aufnahm und mit der nostalgischen Homerecording-Optik ihres Hits „Video Games" den Durchbruch schaffte.
2018 steht ihr die Retro-Pose noch immer. Zwischen zwei Bondgirls in hautengen, weißen Hosenanzügen, den Pappfelsen und Plastikpalmen aus „Dirty Dancing" und einer Chris-Isaac-würdigen Schwarz-Weiß-Projektion rennender Pferde am Strand macht Lana Del Rey in Berlin 90 Minuten das, was sie am besten kann: sich maximal referentiell am Poparchiv bedienen.
Mit schläfriger Carpenters-Stimme, die sie live mittlerweile erstaunlich gut im Griff hat, haucht sie Simon and Garfunkels „Scarborough Fair", rekelt sich im fast zu knappen Hippiekleidchen auf dem Flügel und lässt sich vom Ventilator das dunkle Haar zerzausen. Lana Del Rey beherrscht das Spiel mit den Querverweisen. In ihr Lied „Pretty When You Cry" baut sie trotzig die Zeile „I got my copyrights" ein - ein musikalischer Mittelfinger an Radiohead, die in Del Reys Song „Get Free" Anfang des Jahres ein Plagiat ihres Hits „Creep" gehört haben wollten.
Trotzige Diva, sexy Nancy-Sinatra-Vamp oder naiv-verklärte Vorstadthausfrau - Lana Del Rey wechselt die Rolle mit jedem dramatischen Augenaufschlag. Die Frage nach Authentizität, über die Musikjournalisten bei ihr über Jahre verzweifelten, stellt sich bei ihr nicht mehr. Trotz Küsschen und Selfies mit den Fans bleibt sie Projektionsfläche. Wer im Instagram-Zeitalter ernsthaft behauptet, dass sein Feed ihn authentisch der Welt präsentiere, der werfe den ersten Stein.
So kann man es Lana Del Rey nicht verübeln, dass ihre politischen Anwandlungen, die sie vollmundig als „Modern Manifesto" ankündigt, in der ästhetischen Pose verharren: Vor der US-Flagge singt sie Marilyn Monroes Interpretation „Happy Birthday, Mr. President", schiebt ein pflichtschuldiges „JFK, of course!" nach. Dann singt sie ihren Hit „National Anthem". 2012, als der erschien, wählte Amerika gerade Obama in die zweite Amtszeit, von Trump war weit und breit noch keine Spur. In dem Moment wünscht man sich tatsächlich kurz die Zeitkapsel, die hier alle inszenieren.
Dass Lana Del Reys popmusikalische Relevanz 2012 auf ihrem Höhepunkt war, merkt man beim Medley aus „Young And Beautiful", „Ride" und „Change", das sie auf einer Schaukel schwingend vorträgt - die Nostalgie verursacht Gänsehaut. Leider ist das Konzert zu diesem Zeitpunkt gerade mal zur Hälfte vorbei. Trotz einiger intimer Momente, wie der Akustikversion von „Yayo", den sie noch als Lizzy Grant aufnahm, hat sie ihre größten Hits zu früh verschossen. Da hilft es auch nichts, dass sie mehrfach die Treppe in den Bühnengraben hinabstakst und Songwünsche ihrer Fans erfüllt.
Der Erzählbogen zerfasert, und die Aufmerksamkeit nimmt zum Ende hin merklich ab. Obwohl sie alle Titelstücke ihrer Alben „Ultraviolence", „Honeymoon" und „Lust For Life" aufbietet, kann sie soundmäßig nicht an ihre frühen Hymnen anschließen. Würdevoll packt sie im Anschluss eine Papiertüte mit den Geschenken und Briefen ihrer Fans, die ihr nach ihrem Abgang den Ruf nach der Zugabe schuldig bleiben. Wahrscheinlich sind die meisten schon damit beschäftigt, das richtige GIF für ihre Insta-Stories auszuwählen. Die gab es 2012 übrigens auch noch nicht.