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FDP: Anwälte sollen Erfolgshonorar bekommen

Fälle wie Flugverspätungen und Mietstreitigkeiten lassen sich mit digitalen Rechtsberatern klären. Das Problem: Noch agieren viele dieser Legal Techs in einer rechtlichen Grauzone. Das will die Politik jetzt ändern - mit Folgen für alle Anwälte.


Es gibt Situationen, in denen Bürger selten zu ihrem Recht kommen. Etwa, wenn Vermieter die Miete ein bisschen stärker erhöhen, als erlaubt ist. Auch wenn eine ausgefallene Heizung nicht schnell genug repariert wird, könnte eigentlich die Miete gemindert werden. Und wenn ein Flug verspätet startet, haben Reisende in bestimmten Fällen Ansprüche auf Entschädigung. Aber wenn Ansprüche auf Zahlung von ein paar Hundert Euro bestehen, kommt es vor, dass die Verursacher nicht zahlen. Sie hoffen, dass die meisten Geschädigten nicht klagen werden, weil dies recht aufwendig und kompliziert ist.

Dieses Problem gehen sogenannte Legal Techs im Verbraucherbereich an. Diese Unternehmen prüfen solche Fälle - oft gestützt auf automatisierte Auswertungen von Algorithmen - und setzen Ansprüche durch. Haben sie Erfolg, behalten sie in der Regel einen Teil der Entschädigung als Provision ein.

Der Clou: Fälle wie Flugverspätungen, die nach einem standardisierten Muster recht einfach gelöst werden können, lassen sich so skalieren. Dadurch werden sie für die Legal Techs trotz der kleinen Streitsummen enorm lukrativ. Und für viele Verbraucher, die ansonsten oft gar kein Geld erhalten würden, lohnt sich das Geschäft ebenso.

Viele agieren in rechtlicher Grauzone

Bekannt wurden in diesem Bereich etwa LexFox (wenigermiete.de), das unter anderem verspricht „die Mietpreisbremse zu ziehen", oder Flightright (flightright.de), das mit einer 99-prozentigen Erfolgsquote vor Gericht bei Entschädigungen für Flugverspätungen wirbt.

Doch ob diese Unternehmen überhaupt arbeiten dürfen, ist umstritten. „Viele agieren in einer rechtlichen Grauzone", sagt Felix Walter, Justiziar des Start-up-Verbandes. Das Problem: Rechtsdienstleistungen sind in Deutschland per Gesetz verboten. Denn das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDL) ist so gestaltet, dass es nur Ausnahmen definiert, in denen sie erlaubt sind. Eine dieser Ausnahmen ist die Tätigkeit als Anwalt, eine andere die als Inkassounternehmen.

Doch obwohl häufig Anwälte die Legal Techs gründen, organisieren sie sich nicht als solche. Denn Anwälte dürfen keine Bezahlungen annehmen, die davon abhängen, ob sie Erfolg haben. Das Geschäftsmodell der Legal Techs basiert aber gerade auf einer so gestalteten Provision. Die meisten organisieren sich daher als Inkassounternehmen. Doch ob das, was Legal Techs tun, nun tatsächlich unter eine Inkassolizenz fällt, ist selbst unter Richtern umstritten.

Diese Unsicherheit will die FDP jetzt beenden. Sie hat sich Mitte April auf den Inhalt eines Gesetzesentwurfs geeinigt, in dem sie unter anderem Änderungen im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), in der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) und im RDL fordert. Teilweise sind diese Änderungen sehr weitreichend.

Angestoßen wurden sie vom jüngsten Mitglied des deutschen Bundestages: Roman Müller-Böhm. Legal Techs seien wichtig, weil Recht durch sie durchsetzbar werde, sei der Anspruch auch noch so klein, betont er. „Mit unserem Gesetzesentwurf genießen Verbraucher wie Anbieter endlich rechtliche Sicherheit in allen Aspekten."

Daniel Halmer, der Geschäftsführer von LexFox stand im Rahmen der Entwurfserstellung mit der FDP im engen Austausch. Für ihn wären die Änderungen eine spürbare Erleichterung. „Wir appellieren an alle Parteien im Bundestag, ein Zeichen für rationalen Parlamentarismus jenseits der parteipolitischen Denkweisen zu setzen und ein Legal-Tech-Gesetz in Angriff zu nehmen", sagt er.

Politiker anderer Parteien, Verbraucherschützer und sogar Start-up-Vertreter reagieren überraschend einheitlich auf den Entwurf. Der Grundtenor lautet: Es ist richtig, dass endlich etwas für Legal Techs getan wird. Der Entwurf selbst aber sei nicht umfänglich durchdacht und in manchen Punkten sogar gefährlich.

Erfolgshonorare für alle

So fordert die FDP beispielsweise, Erfolgshonorare grundsätzlich zu erlauben. Die Idee dahinter ist, Rechtsanwälte mit den Legal Techs gleichzustellen und somit den Konflikt zwischen den beiden Gruppen aufzulösen. Bislang wurde oft gefordert, dass Legal Techs sich an die gleichen strengen Regeln halten müssen wie Anwälte. Die FDP wählt nun den genau umgekehrten Ansatz. Sie will Anwälten die gleichen Möglichkeiten eröffnen wie den Legal Techs.

„Eine generelle Regelung, Gebühren nur im Erfolgsfall berechnen zu können, würde das in Deutschland bewährte Gebührensystem umkehren", sagt Sarah Ryglewski von der SPD alarmiert. Das sei nicht zielführend. Durch Erfolgshonorare würde das deutsche Rechtssystem dem amerikanischen ähnlicher werden. Anwälte hätten zwar einen höheren Anreiz, gründlicher zu arbeiten, um möglichst viele Fälle zu gewinnen. Gleichzeitig würden viele wichtige Prozesse aber möglicherweise gar nicht geführt, weil sie für Anwälte ein zu hohes finanzielles Risiko darstellten.

„Dort, wo wir sogenannte Unmet Legal Needs feststellen, also massenhafte, gleich gelagerte Geldforderungen, die ohne eine Öffnung überhaupt nicht durchgesetzt würden, bin ich bereit, darüber zu sprechen", sagt Manuela Rottmann von den Grünen dazu. „Aber Erfolgshonorare überall, auch etwa in familienrechtlichen Auseinandersetzungen?" Das sieht sie sehr kritisch.

Darüber hinaus will die FDP eine gesonderte Ausnahme für Legal Techs in das RDG schreiben. Damit wäre der Streit über die Auslegung der Inkassotätigkeit beendet. Sie schlägt vor, eine Ausnahme für „automatisierte Rechtsdienstleistungen" in den betroffenen Paragrafen aufzunehmen. Das findet nicht einmal Walter vom Start-up-Verband gut. „Das ist eine Verschlimmbesserung", sagt er. Der Begriff 'automatisierte Rechtsdienstleistung' sei für die Bedürfnisse der Start-ups vollkommen ungeeignet. „Es ist schwer vorherzusehen, ab wann eine Dienstleistung ‚automatisiert' im Sinne des Gesetzes wäre", erklärt er.

Türöffner für unseriöse Anbieter?

Denn in den Start-ups laufe zwar vieles effizienter und automatisierter als in den meisten Anwaltskanzleien. Aber eine vollautomatisierte Rechtsberatung könne nach aktuellem Stand der Technik niemand seriös anbieten. „Das Ausmaß der technischen Möglichkeiten der Automatisierung von Rechtsdienstleistungen wird häufig weit überschätzt", sagt Walter. Und je nachdem, wie streng die Behörde bei der Erteilung einer solchen Lizenz wäre, fürchtet er eine Türöffnung für unseriöse Anbieter.

„Wenn man darüber nachdenkt, Algorithmen zu erlauben, die automatisiert Rechtsfragen bearbeiten, muss man immer auch die Haftungsfrage mitdenken", fügt Jutta Gurkmann an, die den Geschäftsbereich Verbraucherpolitik bei dem Bundesverbandes der Verbraucherzentralen leitet. „Wer steht dafür ein, wenn ein Fehler passiert? Und wer muss was beweisen?"

Rechtsanwalt Wolfgang Ewer, Mitglied des Präsidiums im deutschen Anwaltverein, will sogar gar nichts ändern: „Wir sehen keinen zusätzlichen Regulierungsbedarf für Legal-Tech-Angebote im RDG."

Die FDP fordert allerdings weitere Änderungen, die auf viel Zuspruch stoßen. So will sie es verbieten, dass Unternehmen es Verbrauchern in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen untersagen, die eigenen Schadensansprüche an Dritte abzutreten.

„Sehr gut gefallen uns auch die Vorschläge zu den Änderungen im Bürgerlichen Gesetzbuch", sagt Walter. Dort geht es unter anderem darum, Bürokratiehürden abzubauen. So müssen Kunden aktuell oft per Post ein Schreiben einschicken, um ihre Ansprüche rechtmäßig abzutreten. Das soll nach Vorstellung der FDP auch per Mail möglich sein.

Der Gesetzentwurf soll noch vor der Sommerpause in den Bundestag eingebracht werden. Was jetzt schon geglückt ist, ist der Anstoß einer Debatte. Rottmann von den Grünen kündigte an: „Wir werden dem eigene Vorschläge beistellen und dann sehen, wie weit wir im Parlament damit kommen." Die Sprecherin für Rechtsthemen der CDU/CSU, Elisabeth Winkelmeier-Becker, sagt: „Wir müssen alle Wechselwirkungen einer solchen Gesetzesänderung umfassend analysieren." Sie kündigt an, ein Gutachten hierzu erstellen zu lassen.

Zudem steht eine auch seitens der Justiz eine Klärung der aktuellen rechtlichen Lage an. Im Juni entscheidet der Bundesgerichtshof, ob das Geschäftsmodell von wenigermiete.de, über das von verschiedenen Gerichten bereits sehr unterschiedlich geurteilt wurde, rechtens ist oder nicht (Az. VIII ZR 275/18). „Wir warten das Urteil ab und prüfen anschließend, ob regulatorischer Handlungsbedarf besteht", sagt Ryglewski von der SPD.

An einen direkten Erfolg mit seinem Entwurf glaubt Müller-Böhm übrigens nicht einmal selbst: „Als Oppositionspolitiker bin ich mittlerweile sehr realistisch geworden." Zumindest eine Diskussion aber hat er angestoßen.

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