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Rio de Janeiro: Was Olympia die Bewohner von Rio kostet

Der Badestrand von Ipanema in Rio de Janeiro.

„Die olympischen Spiele sind für diejenigen, die ausreichend Geld dafür haben", sagt Alexander Aguiar, Stadtführer in Rio de Janeiro. Seiner Ansicht nach bringen Großereignisse wie die Fußball-Weltmeisterschaft und nun Olympia für die einfachen Bürger nicht viel. „Sie verschärfen eher die Ungleichheit." Und das sagt Aguiar, obwohl er in der Tourismusbranche arbeitet, die in vielen Bereichen von den olympischen Spielen profitiert.

In der tropischen Stadt prallen die unterschiedlichen sozialen Schichten so stark aufeinander wie an kaum einem anderen Ort. Zum einen gibt es die reichen Viertel im Süden: Gávea, Leblon, Leme, Ipanema und Copacabana. Dort sind die breiten, mit Palmen bewachsenen Straßen mit hohen Zäunen bebaut. Pförtner und Sicherheitspersonal überwachen rund um die Uhr die modernen Hochhäuser dahinter. Zum Strand braucht man selten länger als zehn Minuten.

Nur ein paar Minuten in eine andere Richtung sieht die Stadt komplett anders aus. Auf den zahlreichen Bergen, die die reicheren Stadtteile voneinander trennen, befinden sich die Armenviertel, die sogenannten Favelas. Dort sind die Straßen eng, sie sind meist nur punktuell an öffentliche Verkehrsmittel angeschlossen, in vielen dieser Gebiete haben Drogenkartelle und nicht die brasilianische Regierung das Sagen. Der Stadtteil Rocinha, der häufig als größte Favela Südamerikas bezeichnet wird, ist beispielsweise gerade mal eine fünfminütige Fahrt durch einen Tunnel von einem der teuersten Wohngebiete, dem Stadtteil Gávea, entfernt.

Dreifach zahlen für den Bus

„Diese zwei Welten entfernen sich dank Olympia noch weiter voneinander", sagt Aguiar. Das gravierendste Problem sei der Transport. Für die olympischen Spiele wurde viel investiert. Zahlreiche Straßen wurden erneuert, Brücken gebaut und eine neue Metro-Linie wurde gerade noch so vor Beginn der Spiele eröffnet.

„Das neu etablierte Transport-System ist ineffizient und dient mehr als Touristenattraktion statt der Erleichterung des Massentransportes", sagt Aguiar: „Für die ärmeren Bewohner war es noch nie so schwer, ins Stadtzentrum zu gelangen."

Die neue Metro-Linie beispielsweise darf während der Spiele nur von Sportlern und Zuschauern mit Eintrittskarten benutzt werden. Viele Buslinien wurden so geändert, dass der Zugang zu den Austragungsorten der olympischen Spiele einfacher ist. Das bedeutet aber auch: Wenn man aus dem Norden der Stadt, in dem viele ärmere Menschen leben, in den Süden will, muss man nun oft mehrfach umsteigen. Früher brauchte es nur einen Bus. Im System des brasilianischen Nahverkehrs bedeutet das nun: Doppelt oder dreifach bezahlen. Jede Busfahrt kostet dort fix 3,80 Reais, egal, wie lange man sitzen bleibt.

Diogo Borges da Silva wohnt im Norden Rios. Aus seiner Nachbarschaft pendeln sehr viele täglich in die reicheren Gebiete, um als Servicepersonal zu arbeiten. Früher konnte er mit einem Bus an die beliebten Strände Copacabana und Ipanema fahren, nun muss er einmal umsteigen. „Für meinen Vater macht das einen deutlich spürbaren Unterschied im Gehalt", sagt da Silva.

Sein Vater ist Portier in einem Haus in Ipanema. Da er jetzt täglich 15,20 Reais statt 7,60 Reais ausgeben muss, um zur Arbeit zu fahren, bleibt ihm von seinem monatlichen Einkommen weniger für den Rest übrig. Außerdem ist er 20 Minuten länger unterwegs. „Die Regierung macht für uns den Zugang zum Süden schwerer", sagt da Silva. Wenn er einen Samstag am Strand verbringen will, kostet ihn das nun auch das Doppelte.

Seine Tante wohnt noch etwas weiter außerhalb und muss nun sogar drei statt früher eine Linie nehmen, um an einen der schönen Badestrände zu gelangen. „Ich glaube sie wollen nicht, dass die Welt die armen Brasilianer sieht“, vermutet da Silva. Einige seiner Freunde besitzen Autos. „Aufgrund der Änderungen in der Straßenführung haben die es aber auch nicht leichter.“

Unberechtigt auf der Olympia-Spur - das kostet

Die Hauptstraßen Rios waren meist mit zwei oder drei Spuren für Autos und eienr weiteren exklusiv für Busse versehen. Im Zuge der Umbauten für Olympia wurden daraus zwei für Autos und zwei für Busse. Außerdem wurde eine spezielle Spur exklusiv für Olympia eingerichtet. "Das führt zu noch mehr Stau, als wir ohnehin schon haben."

Egal welches Transportmittel man also wähle, man brauche so oder so länger. Und mal schnell auf die unerlaubte Spur ausweichen, das ist auch keine Option. „Wenn man unberechtigt auf die Olympia-Spur fährt, kann das mehr als 1000 Reais Strafe kosten“, sagt da Silva. Das entspricht etwa 270 Euro.

Luciana Ambuja kennt diese Probleme aus ihrem Alltag kaum. Sie gehört zur gehobenen Mittelschicht Brasiliens, besitzt zwei Wohnungen in Gávea und wohnt im angesagten Botafogo. „Natürlich kann ich mit den Mieten jetzt während Olympia enorm hoch gehen“, sagt sie.

Sie hat ihre beiden Wohnungen für diese Zeit an Ausländer untervermietet. „Die Nachfrage ist riesig.“ Sie empfindet dies allerdings nicht als Luxus, sondern als kleinen Hoffnungsschimmer in einer finanziell insgesamt schwierigen Situation. Brasilien befindet sich gerade in einer Wirtschaftskrise. Ambuja arbeitet als selbständige Event-Managerin, das Geschäft lief schlecht in den Krisenmonaten. „Die Leute haben kein Geld mehr um zu Konzerten zu kommen.“

Kurzzeitig dachte sie, sie müsse eine ihrer Wohnungen verkaufen, um sich über Wasser halten zu können. „Da hat mir Olympia jetzt noch ein paar Monate Puffer verschafft.“ Ihren vorherigen Mietern gegenüber habe sie keine Schuldgefühle. „Die kann ich mir nicht leisten. Es muss eben jeder von uns schauen, wie er für sich sorgt.“ Wirklich Profit aus Olympia schlagen könnten indes nur die Superreichen, denen die Krise ohnehin nicht sonderlich schade.

Neben Mieten und umständlichen Busfahrten sind auch Taxifahrten, Sandwiches und einige Lebensmittel in Supermärkten teurer geworden. Eine Fahrt auf  einem „Moto-Taxi“ in die unter Touristen beliebte befriedete Favela „Vidigal“ kostet nun zum Beispiel 10 Reais statt ursprünglich 4,50.

Was aber zu Rio gehört wie die sozialen Ungleichheiten ist der unbestechliche Optimismus der Brasilianer. „Allzu lange gehen die Spiele ja nicht mehr“, sagt Aguiar mit einem schiefem Lächeln. Er hofft, dass die Investitionen in die Verkehrssysteme zumindest langfristig das alltägliche Chaos auf Rios Straßen etwas verbessern.

Die Metro können dann zumindest alle Bewohner Rios benutzen und auch die Mieten sollten wieder sinken. „Ob die Busse wieder zurück geändert werden, das weiß ich nicht“, sagt Aguiar. „Aber irgendwie muss es ja weitergehen.“


Veröffentlicht am 20.08.2016 auf FAZ.net

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