Mordendes Kinderspielzeug ist im Horrorfilm ein beliebtes Motiv, doch seit Ende der Achtzigerjahre hat Chucky ein gewisses Monopol im Puppenhaus. Es kam also nicht von ungefähr, dass der Twitteraccount der Mörderpuppe den Trailer zum Film M3gan, in dem eine Androidin ein unheimliches Eigenleben entwickelt, kürzlich recht giftig kommentierte: " Everybody's tryna be me" ("Alle versuchen, wie ich zu sein"), schrieb das Horrorspielzeug.
Die Konkurrenz hat allen Grund zur Missgunst, denn der mit vergleichsweise kleinem Budget produzierte Film hat sich zum ersten Überraschungshit des Jahres entwickelt: In den USA lag M3gan schon wenige Tage nach Start auf Platz zwei der aktuell erfolgreichsten Kinofilme, direkt hinter der EffektschlachtAvatar: The Way of Water. Doch der Vergleich mit Chucky hinkt. M3gan mag auch ein überdrehter Horrorfilm mit Trash-Appeal sein, jedoch fischt Regisseur Gerard Johnstone eher in ähnlichen Gewässern wie Spike Jonze mit seinem KI-Drama Her und das Schöpferteam der Serie . Auch M3gan ist im Herzen eine Dystopie, die eine Gegenwartsanalyse in übersteigerter Form bietet.
Zunächst klingt alles nach konventionellem Horror: Die kleine Cady (Violet McGraw) verliert in einem Autounfall ihre Eltern und kommt bei ihrer Tante unter. Gemma (Allison Williams) ist zwar Entwicklerin bei einer Firma, die Furby-ähnliche Spielzeuge herstellt, kann aber überhaupt nicht gut mit Kindern. Ihrer Nichte setzt sie den Prototyp ihres neuen Geheimprojekts vor: M3gan (Amie Donald) ist eine Androidin, die dem Mädchen fortan als Gefährtin dienen soll. Die beiden freunden sich an und M3gan tut alles, um Cady vor dem Übel dieser Welt zu beschützen, was selbstverständlich bedeuten wird, dass viel Blut spritzt und Körperteile durch den Raum fliegen.
Regisseur Johnstone integriert also Science-Fiction-Aspekte in eine Geschichte mit recht vorhersehbaren Horror-Plot, und das klappt erwartbar gut. Das ganze Gegrusel ist unterhaltsam, die Performance der Schauspielerinnen ordentlich, die Dialoge kann man besten Gewissens witzig finden und obendrein gibt es noch eine absonderliche Tanzszene, die auf TikTok prima funktioniert. Das alles erklärt aber noch nicht, warum M3gan dermaßen erfolgreich ist.
Ein Grund für das riesige Interesse könnte sein, dass der Film die Kernkompetenzen beider von ihm zitierten Genres, Horror und Science-Fiction, geschickt ausspielt. M3gan führt seinem Publikum - wie es in kühlen Sci-Fi-Welten öfter passiert - zum einen soziale Entfremdung unter technologischen Aspekten vor, zum anderen beleuchtet der Film menschliche Verfehlungen im Umgang mit Technologie. Das funktioniert deshalb so gut, weil M3gan sich selbst nicht besonders ernst nimmt. Es ist in erster Linie ein trashiges B-Movie, scheinbar nicht dafür gemacht, analysiert zu werden. Doch gerade deshalb ist der ganze Spaß sehr ergiebig - gewissermaßen aus Versehen.
Dass M3gan seine Themen ohne Holzhammer vermitteln kann, hat der Film ausgerechnet seiner audiovisuellen Brachialität zu verdanken, auch der seiner Protagonistin. Die Androidenpuppe M3gan ist kein fotorealistischer Mensch. Ihre Augen sind riesig, die Bewegungen kantig und ihre Stimme klingt anfangs, als sei sie von glitches durchzogen, von kleinen Störgeräuschen also. Wenn sie singt, hört es sich an, als bügele eine Überdosis Autotune alle Misstöne glatt. Das Uncanny Valley ist hier besonders dunkel und unheimlich. Das ändert sich allerdings im Verlauf der Handlung. Die Bewegungen der Puppe werden fließender, ihre Intonation klingt nuancierter. Je mehr unmenschliche Dinge M3gan tut, desto menschlicher wirkt sie dabei.Natürlich beschwört diese Entwicklung das Gespenst der technologischen Singularität, das aktuell auch durch Debatten um die künstlichen Intelligenzen ChatGPT oder NightCafe spukt. Die Kernfrage des Films lautet aber nicht nur, ob Roboter (oder eben Roboterinnen) eines Tages menschliche Eltern ersetzen werden, so wie M3gan es zwangsläufig tun muss, sondern auch, wie und warum sich Erziehungsberechtigte ihrer Rolle überhaupt fortlaufend entziehen.