Das mag zuerst so scheinen. Doch gingen diesen neuen und zum Teil recht unterschiedlichen Ansätze bereits in den 1990er Jahren die Vorarbeit von Bands wie Replikas oder Zen beziehungsweise der daraus entstandenen und immer noch aktiven Baba Zula voraus. Auch werden die Neuinterpretationen und Neuauflagen von einer Reihe von Compilations begleitet, die wie im Falle von "Saz Power" und "The New Generation Of Turkish Psychedelic Vol.1" ein Schlaglicht auf das gegenwärtige Geschehen werfen oder wie "Songs Of Gastarbeiter Vol.1" die Geschichte von anatolischer Musik in der alten BRD dokumentierten, neu erfahrbar machen und Kontinuitäten aufzeigen. Die Musik der Gastarbeiter*innen und der nachfolgenden Generationen schließlich liefert einen wichtigen und meist übersehenen Baustein in der Geschichtsschreibung des Anadolu Pop, dessen Flagge zwar über die 1980er und frühen 1990er Jahre hinweg in der Türkei höchstens von großen Stars wie Barış Manço und Ersen hochgehalten wurde, in Westdeutschland aber weiterlebte. Auch Derya Yıldırım ist sich sicher: Wenn die Auseinandersetzung mit anatolischer Musik einen Hype darstellt, dann ist der eigentlich nie verklungen. "Nur weil der Hipster aus Neukölln jetzt auch Altın Gün hört, heißt das nicht, dass es an Mode gewinnt. Es war schon immer da!", sagt die Hamburgerin.
Kristoffer Cornils
Berlin
Feature
A Journey Into Turkish Music - Anadolu Pop (HHV.de Mag) / Deutsch
Altın Gün, Derya Yıldırım & Grup Şimşek oder Gaye Su Akyol: Obwohl die stilistische Schnittmenge zwischen diesen Bands und Musiker*innen bei genauerem Hinhören überschaubar ist, werden sie dennoch in einem Atemzug genannt. Zu erklären ist das vor allem durch ihre Bezüge auf anatolische Volksmusik oder den Sound des sogenannten Anadolu Pop, der sich in den 1960er Jahren in der Türkei formierte. Bağlama-Klänge, ungerade Taktarten und türkische Lyrics in der Tradition der Aşıks, reisenden Volksliedsängern, wurden von Gruppen und Sänger*innen wie Selda, Barış Manço, Erkin Koray, Ersen oder Moğollar mit Rockmusik und psychedelischen Anklängen zu einer neuen Soundästhetik verschmolzen. Diese wird mittlerweile vom Reissue-Markt intensiv neu aufgearbeitet, während Produzent*innen von Barış K bis hin zu Grup Ses daran andocken und sie im Dance- oder Hip-Hop-Kontext neu aufleben lassen. Handelt es sich also um ein handfestes Revival?
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