3 subscriptions and 2 subscribers
Article

Gemüsekiste als Erfolgsmodell? - «Wir machen das aus Überzeugung»

Mitarbeiter vom Bio-Lieferanten „Gemüsekiste“ aus Hemmingen packen Obst und Gemüse in grüne Kisten. Hunderte solcher Kisten mit Bio-Produkten verschickt die Firma an seine Kunden in der Region Hannover und Umgebung. Quelle: Stratenschulte/dpa

Eine Mitarbeiterin mit einer grünen Schürze und Handschuhen steht vor einer Waage. Nacheinander greift sie um sich herum in Kisten: Tomaten aus Spanien, Mairübchen und ein Kopf Salat vom nahe gelegenen Hof landen in der Box. Die üppig gefüllte Kiste wird ein Kunde später zu Hause auf dem Küchentisch auspacken.


Der Bio-Lieferant „Gemüsekiste" aus Hemmingen-Hiddesdorf verschickt an seine Kunden in der Region Hannover pro Tag Hunderte solcher Kisten. Seit dem Start 1996 ist der Betrieb stetig gewachsen: Belieferte das Team vor gut dreizehn Jahren noch 900 Haushalte, sind es nun 3000 Haushalte, Kitas und Büros. Der Umsatz pro Jahr liegt bei gut 5 Millionen Euro. Schulobst macht dabei rund 1 Million Euro aus.


„Am Dienstag und Mittwoch plant unsere Einkäuferin, was in dieser Woche in die Kisten kommt", beschreibt Mark Reinert, der im Marketingteam der Gemüsekiste arbeitet, während des Gangs durch die Kühlräume die Abläufe. So werden etwa 800 Kilo Porree und 2000 Köpfe Salat geordert. „Wir können punktgenau bestellen und müssen kaum etwas wegwerfen", sagt Reinert. Das sei ein Vorteil gegenüber einem Laden. Auch andere machen so ihr Geschäft: 44 Bio-Abokistenbetriebe gibt es dem Kompetenzzentrum Ökolandbau Niedersachsen (KÖN) zufolge im Land.


Bei der Gemüsekiste ist die Idee nach wie vor, Kunden ein saisonales Angebot zu bieten. Doch um der Nachfrage gerecht zu werden, wird heutzutage Bio-Ware aus Italien, Spanien oder selten aus Südamerika zugekauft. Flugware kommt nicht in die Box. Der Anfang sei schwierig gewesen, sagt Geschäftsführer Sven Hartmann rückblickend. „Richtig los ging's mit dem Internetauftritt und dem Onlineshop." Einen Aufwärtstrend bei den Bio-Kisten habe es vor allem zwischen 2000 und 2010 gegeben, erläutert KÖN-Geschäftsführerin Carolin Grieshop.


„Aber auch jetzt gibt es noch Wachstum", betont Grieshop. Mittlerweile gebe es im Land kaum noch weiße Flecken. Nur in Northeim, in Cuxhaven und im Emsland seien keine Angebote verfügbar. Verbraucher in anderen Regionen könnten dagegen teilweise zwischen bis zu fünf Anbietern auswählen. „Die Landwirte heben als Vorteil immer wieder die Planbarkeit hervor", sagt Grieshop. Durch den direkten Vertrieb haben sie regelmäßige, feste Einnahmen. Zudem seien die Betriebe unabhängiger von Großabnehmern wie Supermarktketten.


„HelloFresh" liefert in elf Ländern aus

Mit einem nachhaltigen Konzept, Frische und einem Lieferservice buhlen jedoch auch andere Firmen um zahlende Kunden: Mit dem Slogan „Gute Ideen. Einfach gekocht" ist zum Beispiel „HelloFresh" vor knapp sieben Jahren gestartet. Das in Berlin gegründete Unternehmen hat sich mit seinen Kochboxen erfolgreich am Markt behauptet. Rund 905 Millionen Euro hat HelloFresh im vergangenen Jahr umgesetzt - gut 50 Prozent mehr als 2016. Die Firma liefert in elf Ländern aus.


Auch deutschlandweit verschickt die Firma ihre Kochboxen. Darin enthalten sind Rezepte samt allen fertig portionierten Zutaten und Gewürzen. Besonders beliebt seien die Kochboxen bei jungen Familien und Vollzeit berufstätigen Paaren, die keine Kinder haben, erklärt HelloFresh-Deutschland-Geschäftsführer Nils Herrmann. Auch die wichtigsten Abnehmer von Gemüsekisten sind Familien mit kleinen Kindern, wie das KÖN beobachtet hat. Sie hätten einen starken Wunsch nach frischer und gesunder Ernährung, erklärt Grieshop. „Die Menschen wollen abwechslungsreich und gesund essen", sagte auch Herrmann. Viele HelloFresh-Zutaten werden nach Firmenangaben regional bezogen, meist direkt von Erzeugergemeinschaften. Ein Teil hat Bio-Qualität.


Anbieter setzt kleinere Unternehmen unter Druck

Durch die Konkurrenz kommen bei den klassischen Bio-Abokisten neue Fragen wie nach Wunschlieferterminen auf. „Das ist für uns schwierig, weil wir jeden Tag bestimmte Routen in einem Gebiet abfahren und die Kisten dort verteilen", so Reinert. Kunden wird, je nachdem wo sie wohnen, ein fester Liefertag zugeteilt. Dagegen können Abonnenten bei HelloFresh Tag und Uhrzeit der Lieferung frei wählen.

Gemüsekisten-Geschäftsführer Matthias Rönicke fühlt sich durch die Konkurrenz nicht bedroht: „Sie werden nie regional verwurzelt sein." Seit zwanzig Jahren sei die Gemüsekiste ein Start-up und jetzt, „wo die Großen wie Lidl und Rewe kommen, haben wir Vorsprung", betont Rönicke. Bio-Produzenten hätten schon immer sehr flexibel auf geänderte oder neue Nachfrage reagiert, erklärt auch Grieshop.


„Die Zeit im Alltag wird immer knapper und es ist sehr attraktiv, wenn man sozusagen vom Sofa aus einkaufen kann", sagt die KÖN-Expertin. Die beiden Trends hin zu mehr Bio und gesunder Ernährung sowie zum Online-Einkauf kämen den Anbietern zu Gute. „Das ist ein nachhaltiger Erfolg und, ich glaube, dass das Bestand haben wird", erklärt Herrmann. Es sei nun wieder hip, selbst zu kochen.


Konventionelle Lieferangebote hinken hinterher

Dabei scheinen konventionelle Lieferangebote schlechter anzukommen als speziell zugeschnittene oder Bio-Angebote: Insgesamt steigen die Zahlen im Lebensmittel-Onlinehandel nur mäßig. Die Gesellschaft für Konsumforschung kam im Mai in einer Studie zum Ergebnis, dass der Internethandel mit Konsumgütern wie Obst, Fleisch oder auch Zahnpasta in Deutschland „mehr oder weniger auf der Stelle" trete. Die Verkaufserlöse der Bio-Erzeuger wuchsen nach Angaben des Bunds Ökologische Lebensmittelwirtschaft nach aktuellen Zahlen aus dem Jahr 2016 währenddessen um gut 9 Prozent auf knapp 2 Milliarden Euro.


HelloFresh hat auf die gestiegene Nachfrage mit einer eigenen Produktion reagiert: Seit Mai 2016 betreibt die Firma einen großen Standort in Verden. Ausgefallene Gemüsesorten wie Pak Choi werden individuell für das Unternehmen angebaut. Statt durch mehr Masse versucht die Gemüsekiste ihren Umsatz mit einer höheren Bestellsumme zu steigern. Der Online-Shop bietet weitere Bio-Produkte wie Nudeln, Kaffee, Milch, Marmelade oder Honig. Derzeit liegt eine Bestellung im Schnitt bei einem Netto-Bonwert von 32 Euro. Einem Wocheneinkauf einer Familie entspreche das nicht, sagt Hartmann. Bereut hat der Geschäftsführer das Projekt Gemüsekiste allerdings nie. „Wir machen das aus Überzeugung", sagt der gelernte Landwirt. Er würde manchmal nur lieber auf dem Feld stehen statt im Büro zu sein.


Kristina Wienand, dpa  Original