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Frugalismus: Durch Sparsamkeit zur Rente ab 40?

Das Ziel von Frugalisten ist es nicht, möglichst reich zu werden, sondern ein möglichst gutes Leben zu führen, betont Florian Wagner. © Quelle: picture alliance / dpa-tmn

Stuttgart/Hannover. Florian Wagner erreicht man derzeit auf Bali. Der 34-Jährige verbringt gerade zwei Monate auf der indonesischen Insel, „um die Vorteile des Onlinearbeitens zu nutzen", wie er erklärt. Ins Büro geht der gelernte Wirtschaftsingenieur schon seit Jahren nicht mehr. Seinen Job in der Automobilindustrie kündigte er 2018 vier Jahre nach dem Berufseinstieg und machte sich selbstständig. In ein paar Jahren muss Wagner wahrscheinlich gar nicht mehr arbeiten. Dann wird er genug Geld gespart haben, um davon den Rest seines Lebens bestreiten zu können.


Wagner ist eines der bekanntesten Gesichter der Frugalismus-Bewegung in Deutschland, Autor des Buchs „Rente ab 40". Auf seinem Blog „ Geldschnurrbart " gibt er Spartipps für Gleichgesinnte. Wie es in der Community üblich ist, tut der Blogger dabei etwas, was in Deutschland normalerweise oft vermieden wird: Er legt seine privaten Finanzen offen. Als Wagner im Jahr 2014 mit dem Sparen begann, betrug sein Vermögen laut den Angaben auf seinem Blog 13.000 Euro; inzwischen steht der Zähler bei 467.000 Euro.


Der Frugalismus - was steckt dahinter?

Das Wort Frugalismus leitet sich vom Adjektiv „frugal" ab, das so viel bedeutet wie „genügsam, sparsam". In den USA entstand die Lebensweise in den Neunzigerjahren, Anhängerinnen und Anhänger nennen das Konzept dort FIRE - für „Financial Independance, Retire Early", also finanzielle Unabhängigkeit, um früh in Rente zu gehen. Die Idee ist schnell erklärt: Man spart bis zu 70 Prozent des eigenen Einkommens und legt das Geld an der Börse an, sodass es sich von selbst vermehrt. Dies tut man so lange, bis genug Geld zusammengekommen ist und man nicht mehr auf regelmäßige Einkünfte angewiesen ist.

Doch für Wagner geht es beim Frugalismus nicht ums Sparen um jeden Preis. „Für mich bedeutet es, das bestmögliche Leben schon heute zu gestalten, um Ausgaben zu hinterfragen und unabhängig zu werden vom Druck, Geld verdienen zu müssen", sagt der 34-Jährige. Frugalistinnen und Frugalisten hätten nicht das Gefühl, verzichten zu müssen. Stattdessen lasse man das weg, was man ohnehin nicht zum Glücklichsein brauche. Er habe zum Beispiel angefangen, selbst zu kochen, anstatt mehrmals pro Woche Fast Food zu essen. „Ich wollte mich gesünder ernähren und habe gleichzeitig auch Geld gespart", sagt Wagner.


Heute statt morgen glücklich

Es gehe beim Frugalismus auch nicht darum, in der Gegenwart zu leiden, um es später gut zu haben, betont Wagner. Er rate niemandem, einen Job zu machen, den er nicht ausstehen könne. Im Gegenteil, bei vielen führe Unzufriedenheit im Job dazu, dass sie mehr Geld ausgeben. „Man sollte etwas tun, was einem Spaß macht - dann muss man sich keine Dinge kaufen, um den schlimmen Alltag zu kompensieren", sagt der Sparprofi.

Wie viel Geld braucht man, um sich zur Ruhe zu setzen? Die Faustregel der Frugalistinnen und Frugalisten sieht vor, dass in etwa das Fünfundzwanzigfache des Jahresverbrauchs an Vermögen angespart sein muss, um 30 weitere Jahre mit dem gleichen Jahresverbrauch weiterleben zu können, erklärt Wagner. Die Inflation ist bei diesem Modell miteingerechnet. Durch Gewinne aus Geldanlagen vermehrt sich das Geld dann von selbst weiter, sieht das Konzept vor. Klar ist: Je weniger Geld man zum Leben braucht, desto weniger Erspartes reicht aus.


Die Rente mit 40 schafft nicht jeder

„Das ist durchaus ein Modell, was mathematisch Hand und Fuß hat", sagt Stefan Adam, Finanzexperte bei der Verbraucherzentrale Niedersachsen. „Aber es ist ein harter Weg." Um viel Geld zu sparen und dennoch ein gutes Leben zu haben, brauche man ein überdurchschnittliches Einkommen. Nicht jeder könne es schaffen, bis 40 genug Geld für den Ruhestand beisammenzuhaben. Viele müssten beim Sparen sehr streng sein, um finanziellen Unabhängigkeit zu erreichen. „Die Frage ist, auf wie viel will ich verzichten", sagt Adam.


Möglich sei es jedoch, sich auch mit einem durchschnittlichen Gehalt ein Vermögen aufzubauen. An Aktien führe dabei kein Weg vorbei, betont der Finanzexperte: „Je früher man anfängt, desto besser." Wer Geld mit hohem Renditepotenzial anlege, müsse aber auch Schwankungen aushalten können. „Kursrücksetzer können schon mal bis zu 50 Prozent betragen", sagt Adam. Daher sei es wichtig, das Risiko mit zunehmendem Lebensalter zu reduzieren und das Vermögen auf Tagesgeldkonten oder in sichere Anleihen zu verschieben, rät der Finanzberater der Verbraucherzentrale. Aber auch wer es letztlich nicht schaffe, schon früher in Rente zu gehen, könne vom Sparen profitieren und dann zum Beispiel weniger arbeiten oder sich einen Job suchen, der mehr Spaß, aber weniger Geld bringe. „Ein Finanzpolster bedeutet immer mehr Freiheiten", sagt Adam.


Frugalismus: keine Kapitalismuskritik - aber ein Infragestellen

Weniger konsumieren und auf Dinge verzichten, die man sowieso nicht braucht - wie kapitalismuskritisch ist die Frugalismus-Bewegung? „Überhaupt nicht", sagt Florian Wagner, „das Konzept stützt sich ja auf dem Prinzip von Wachstum und Investitionen in Aktienunternehmen." Aber der Frugalismus bringe mehr Bewusstsein und Selbstbestimmung in das System und stelle die Frage nach der Sinnhaftigkeit und Effizienz von Produkten.

Tatsächlich kämen aber viele neue Mitglieder über das Ziel von mehr Nachhaltigkeit zur Frugalismus-Bewegung. Es gebe einige Schnittmengen. „Zum Beispiel ist es sowohl nachhaltiger und spart auch Geld, wenn ich mir einmal eine gute Bohrmaschine kaufe, die dann ewig hält, anstatt alle zwei Jahre eine billige, die schnell kaputtgeht", sagt Wagner.


Nachhaltigkeit an der Börse

Grüne Investments an der Börse sieht Wagner dagegen eher skeptisch. „Es gibt da sehr viel Greenwashing." Teilweise dürfe man den Einfluss, den man als Privatanleger mit seinem Geld an der Börse nehmen könne, auch nicht zu überschätzen. „Ich glaube, ich kann mehr bewirken, wenn ich später bewusst entscheiden kann, wofür ich mich mit meinem Vermögen einsetzen will." Zudem ermögliche die finanzielle Unabhängigkeit es erst, über Fragen wie Klimaschutz und eine nachhaltige Lebensweise nachzudenken. „Wer ständig total gestresst von der Arbeit ist, hat dafür keine Zeit", gibt Wagner zu bedenken.


Komplett in den Ruhestand gehen will der 34-Jährige in sechs Jahren aber noch nicht. Es gehe ihm eher darum, nicht mehr arbeiten zu müssen und nur noch die Arbeit zu machen, auf die er Lust habe. Momentan arbeitet Wagner an einer App, die dabei helfen soll, die eigenen Finanzen genau im Blick zu haben. Denn Wagners ultimativer Tipp fürs Sparen lautet: „Ich muss wissen, wofür ich mein Geld ausgebe."

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