Kultur Management Network: Lieber Herr Lukowicz, womit beschäftigen Sie sich am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz?
Paul Lukowicz: Ich habe Informatik und Physik studiert. Mein Bereich heißt Eingebettete Intelligenz und dabei geht es um die Schnittstelle zwischen der digitalen und der physikalischen Welt, auch mit sozialen Interaktionen. Wie kann also ein Computer aus Daten, Sensoren und verschiedenen Informationsquellen ein gewisses Verständnis von dem entwickeln, was in der Welt passiert, wie Menschen miteinander interagieren, wie sie sich fühlen und denken und wie bestimmte soziale Strukturen und Prozesse ablaufen? Von diesem Punkt aus überlegen wir, wie man neue Arten von Assistenzsystemen entwickelt.
PL: Heutige KIs und Deep Learning-Systeme machen im Prinzip nichts anderes als statistische Analysen anhand von sehr großen Datenmengen. Das heißt, wenn ein Deep Learning-System ein neues Bild malt in einem bestimmten Stil, dann betrachtet das System viele Bilder, überträgt sie in Zahlenreihen, identifiziert darin statistische Zusammenhänge und schafft darüber etwas Neues mit ähnlichen Zahlen, Mustern und Verteilungen. Es ist also nur eine Neukomposition von Bestehendem. Ich finde es faszinierend, dass das Menschen dann vorkommt wie ein Kunstwerk. Ob das Kreativität ist, hängt davon ab, wie Sie Kreativität definieren. Hier fehlt es oft an einer konsistenten und überzeugenden Definition. Ist Kreativität ein Objekt, das einem Menschen als kreativ vorkommt, oder ist es eher ein Prozess? Natürlich basiert auch Kunst oft auf Vorläufern, aber was den KI-Methoden fehlt ist die Reflexion des Zeitgeistes. Und das ist das, was Künstler oder Kunst eigentlich auszeichnet. Der große Unterschied ist also der Prozess, in dem diese Werke entstehen. Dass sich Künstler von sozialen und gesellschaftlichen Umständen und Denkweisen inspirieren lassen, dass sie auch unterbewusste Ebenen wahrnehmen und das dann ausdrücken in Kunst. Das ist etwas, was eine Maschine nicht kann. Und sie kann auch nicht antizipieren, welche Bedeutung das dann für die Gesellschaft oder für den einzelnen Menschen hat.
PL: Heutzutage ist noch kein KI-System in der Lage, ein Buch zu schreiben. Grundsätzlich kann man natürlich ein System bauen, dem Sie die gesammelten Werke von Shakespeare vorlegen und das dann mit einem gewissen Input zum groben Thema ein Werk produziert, das einem vorkommt wie Shakespeare. Aber das reflektiert eben nicht. Diese Reflektion, die künstlerische Idee, müssen sie der KI vorgeben. Heute weiß noch niemand, wie man ein Computerprogramm schreibt, das versucht, die Welt zu verstehen, und darauf basierend ein literarisches Werk schafft.
PL: Genau. Für mich sind Kultur und Kunst etwas, bei dem Menschen ihren Erfahrungen, Wahrnehmungen und ihrer Gefühlswelt einen Ausdruck verleihen. Eine KI kann die Dinge erschaffen, die ähnlich sind, aber Kunst ist die Umsetzung menschlichen Empfindens und menschlicher Wahrnehmung in bestimmte Ausdrucksformen und das kann sie nicht ersetzen.
PL: Da müssen Sie unterscheiden zwischen Strategien und Visionen. Strategieentwicklung kann bedeuten: Wie sollte ich mein Programm gestalten, um ein möglichst breites oder zahlungskräftiges oder ein Publikum mit einem gewissen Profil anzuziehen? Solche Aufgaben können Sie durchaus an eine künstliche Intelligenz übertragen. Dafür brauchen Sie nur genügend Daten über die Vergangenheit. Wenn Sie mit ihrem Programm aber eine Vision entwickeln wollen, haben Sie eine gewisse Sicht auf die Welt und das Programm drückt diese aus. Das muss von einem Menschen kommen. Eine KI kann hier aber unterstützend wirken. Mit Deep Learning und Algorithmen können Sie Muster sehen und zu einander in Beziehung setzen, zum Beispiel Gemeinsamkeiten zwischen Kunstwerken, dem Publikumsverhalten oder zu ähnlichen Organisationen. Mit diesem Input kann man sich überlegen, ob das zufällig ist oder ob eine wichtige Regelmäßigkeit dahinter steckt, die man bisher nicht gesehen hat. Das erleichtert die Entscheidungsfindung. Und es kann durchaus kreative Impulse setzen. Eine KI kann mir auch Programmempfehlungen geben oder Objekte für eine Ausstellung empfehlen. Sie kann mir vielleicht sogar sagen, ob die Ausstellung erfolgreich wird, aber nicht, was die Menschen daraus mitnehmen werden. Ich glaube fest daran, dass die Kombination aus Menschen und KI an vielen Stellen die größte Wirkung bringen kann.
PL: Ich denke, das ist nicht unwahrscheinlich. Denn als Geschäftsführer einer großen Firma oder auch Kultureinrichtung müssen Sie Unmengen an Daten auswerten, um daraus Wahrscheinlichkeiten für den Erfolg bestimmter Handlungsstrategien abzuschätzen. Dass man solche Dinge auch maschinell mit einer KI machen kann, ist nicht abwegig. Aber was einem Computer dabei wiederum schwer fällt, sind die kreativen Leistungen eines CEO. Wenn man sich zum Beispiel Apple anschaut und die Idee des iPhone: Das war eine Entwicklung, an die vorher niemand gedacht hat. Steve Jobs hat dafür drei Dinge zusammengebracht: Ein Verständnis dafür, was mit Technologie möglich sein wird. Eine Vision. Und ein Gefühl für Bedürfnisse, die die Menschen noch nicht geäußert hatten. Es war ein abstrakter kreativer Sprung, zu erkennen, dass Menschen ein Bedürfnis nach Kommunikation und Interaktion haben. Das war damals noch kein formulierter Trend, sondern er hat das antizipiert. Das kann eine KI nicht. Aber sie könnte das alltägliche Führen einer Firma zum Erfolg sehr gut umsetzen und Bedarfe erkennen, die die Menschen bereits äußern.
PL: Sicherlich können einige einfache Routinetätigkeiten von einer KI ersetzt werden. Aber grundsätzlich glaube ich, dass das große Potenzial darin besteht, Menschen dazu verhelfen, bessere Leistungen zu erbringen oder komplexere Aufgaben durchzuführen. Also eine Form des Empowerment. Es ist ein wichtiger Aspekt für den Fachkräftemangel oder im Kulturbereich, wenn die Leute auf einmal Muster erkennen und daraus etwas Neues erschaffen können. Wie bei jeder Revolution in der Menschheitsgeschichte wird es eine Verschiebung von Schwerpunkten und Jobs, aber auch von Wertschätzung und Kompetenzen geben. Das ist aber schwieriger als es sich anhört, denn einerseits ist schon heute der Kontakt mit KIs und Algorithmen fast unumgänglich, auch wenn sie nicht bewusst wahrgenommen werden. Das wird in den nächsten fünf Jahren sicherlich rapide zunehmen. Und andererseits sollte das Prinzip dahinter eigentlich sein, dass sich die Systeme an den Menschen anpassen und nicht andersherum. Trotzdem müssen auch im Kulturbereich die Menschen lernen, wie man mit einer KI umgeht und deren Potenziale ausschöpft. Die Offenheit haben der Erfahrung nach eher innovative, meist junge Leute, die überall Chancen und Möglichkeiten suchen. Die Etablierteren fühlen sich eher bedroht oder trauen Maschinen gewisse Leistungen nicht zu, weil diese Leistungen sie als Mensch zum etwas Besonderem machen. Sie sehen also keinen Nutzen darin und wollen alles weitermachen wie bisher.
PL: Definitiv! Gerade wenn es um die Interaktion zwischen Software und Mensch geht. Es gibt durchaus schon Leute aus dem Kultur- und Kunstbereich, mit denen wir viel zusammenarbeiten, zum Beispiel die Uni der Künste in Berlin. Dabei geht es zum Beispiel um unser Verständnis von Kreativität - also um Fragen, die für uns als Informatiker, aber auch für Kulturschaffende fundamental sind und die wir nur zusammen zufriedenstellend beantworten können.
Original