Die Wohnung scheint perfekt: 70 Quadratmeter zwischen Warschauer Straße und Alexanderplatz und trotzdem ruhig gelegen, gute Anbindung, Parkplätze. Der Vermieter scheint zugänglich, er bietet nicht nur Massenbesichtigung, sondern auch Einzeltermine.
Die Vormieterin habe viele Jahre in der Wohnung gelebt, erzählt er und habe so gut wie nie Probleme gehabt. Das heißt aber auch, dass lange nicht renoviert wurde. Die Wände sind fleckig, die Silikonfugen im Bad schimmlig. Nicht schlimm, aber wer bringt alles in Ordnung? Bei einer Miete von knapp 1000 Euro warm doch wohl der Vermieter?
„Die Wohnung wurde doch erst vor drei Jahren gestrichen, das geht noch, und auch alles andere müssen Sie selbst machen", sagt der Vermieter. Wer dazu nicht bereit ist, hat keine Chance. Doch das ist bei der Wohnungssuche in Berlin noch eines der geringsten Probleme.
Die Konkurrenz auf dem Berliner Wohnungsmarkt ist enormEtwa 85.000 Menschen suchen nach Angaben des Mietervereins jedes Jahr eine Wohnung in Berlin - ich war in diesem Jahr eine von ihnen. Mein Freund und ich haben unsere Jobs in Bremen gekündigt, anschließend sind wir drei Monate durch die Welt gereist, und jetzt wollen wir uns in Berlin niederlassen. Aber die Konkurrenz auf Wohnungsmarkt ist enorm. So enorm, dass sich Vermieter einiges herausnehmen können - wobei exorbitante Mieten für renovierungsbedürftige Räumlichkeiten auch nur eines der Probleme sind. Ein anderes sind sexuelle Belästigungen.
Wer auf den Wohnungs-Plattformen Inserate aufgibt, muss sich ein auf einiges gefasst machen. Auf Sprüche wie: „Wenn du die Frau auf dem Bild bist, dann brauchst du keine Kaution zu zahlen. Wie hübsch, wow." Ein gewisser Nico hat statt eines Wohnungsangebotes sieben Herzen und seine Telefonnummer geschickt, ein anderer Mann mit dem Initialen P.T. bot an, dass wir „noch mal richtig Spaß zusammen" haben können. Die traurige Bilanz nach einigen Tagen: Sechs billige Anmachen und drei halbwegs seriöse Angebote. Von solchen Erfahrungen berichten zum Teil sogar alleinerziehende Mütter in ihren Gesuchen und bitten explizit um seriöse Nachrichten.
Wohnungssuche in Berlin: Pärchen werben mit Prämie von 2500 Euro1000 Euro warm haben wir als Budget festgelegt - das sind etwa 200 Euro mehr als wir vorher in Bremen bezahlt haben - für drei Zimmer in Innenstadt-Lage. Möglichst zentral soll unsere Berliner Wohnung liegen, in Prenzlauer Berg, Friedrichshain, Mitte, Kreuzberg oder Neukölln.
Wir versuchen es selbst mit einer Anzeige, in der Hoffnung, so einen Vermieter zu finden, der seine Wohnung zu fairen Preisen anbietet. Ich scrolle mich durch die Gesuche bei Ebay-Kleinanzeigen, um mir ein wenig Inspiration zu holen. Viele von ihnen wirken eher wie eine Bewerbung. Fotos, Jobbeschreibungen und möglichst ein paar lockere, sympathische Sätze über das eigene Selbst.
Immer wieder lese ich dabei auch, dass Suchende bereit sind, eine Prämie zu zahlen - sogar, wenn sie selbst angeben vom Jobcenter zu leben, sind einige Mieter offenbar willens, ihre Ersparnisse zu opfern. 1000 Euro schlägt etwa eine alleinstehende Person vor, ein Pärchen will sogar 2500 Euro drauflegen, um den Zuschlag zu bekommen.
Die Wohnungssuche in Berlin ist ein VollzeitjobErlaubt sei das offiziell nicht, sagt Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, denn nach dem Wohnungsvermittlungsgesetz darf nur eine Provision gezahlt werden, wenn vorher ein Auftrag an den Vermieter erfolgt ist, nicht aber, wenn es sein eigenes Inserat oder das seines Maklers ist. In der Praxis kommen solche Gefälligkeitszahlungen jedoch immer wieder vor. „Das Problem ist, dass das alles unter der Hand läuft. Dass bei einer Besichtigung mal schnell das Portemonnaie aufgemacht wird, ist leider Alltag geworden", sagt er.
Immer wieder tippe ich deshalb die gleichen Filter in die vermeintlich seriösen Immobilienportale im Internet ein, speichere Suchen und lasse mich via E-Mail über neue Inserate informieren. Meinen Posteingang habe ich noch nie so verflucht, wie in dieser Zeit. Alle paar Minuten geht eine neue Nachricht ein. Schnell merke ich: Die Wohnungssuche in Berlin ist ein Vollzeitjob. Nicht selten sind Anzeigen nur für wenige Stunden online, bevor sie die Vermieter aufgrund der Masse an Rückmeldungen wieder deaktivieren.
Was die Berliner Vermieter alles von den Bewerbern verlangenMit dem Start meiner journalistischen Selbstständigkeit bin ich zum Glück zeitlich flexibel. Ich kann schnell auf neue Inserate reagieren und Bewerbungen versenden, doch wie machen das Berufstätige? Schließlich sind es nicht nur die Anfragen, sondern auch die vielen Besichtigungstermine, die häufig mitten am Tag stattfinden - dabei ist den meisten Vermietern ein festes Arbeitsverhältnis doch so wichtig.
Meinem Empfinden nach formuliere ich freundliche Nachrichten mit den wichtigsten Fakten: Wer sind wir? Als was arbeiten wir? Können wir uns die Wohnung mit unseren Gehältern leisten? Vermieter brauchen eine gewisse Sicherheit, das ist verständlich. Schufa-Auskunft, Gehaltsabrechnungen, Bescheinigungen des Vormieters sind in umkämpften Märkten wie Berlin längst Alltag geworden. Aber wie viel müssen wir von uns preisgeben, ohne den Vermieter überhaupt persönlich kennengelernt zu haben?
Die Berliner Wohnungssuche ist vor allem eins: anstrengendWir entscheiden uns für den Mittelweg und wollen mit dem Versand der wichtigsten Unterlagen wenigstens so lange warten, bis wir ein Gesicht zur Wohnungsanzeige gesehen haben. Manchmal funktioniert das, es kommt aber auch vor, dass wir deshalb direkt aussortiert werden. Bekannte haben uns empfohlen, zu Besichtigungsterminen direkt eine Bewerbungsmappe mit allen wichtigen Unterlagen mitzunehmen. Uns erscheint das völlig überzogen, schließlich ist das kein Vorstellungsgespräch.
Schon nach den ersten Besichtigungen werden wir eines Besseren belehrt. Zusammen mit 50 anderen Paaren und Einzelpersonen stehen wir nun da und überlegen, wie wir innerhalb von fünf Minuten zeigen können, dass wir viel besser als alle anderen passen. Das wird schnell vor allem eins: anstrengend!
Und plötzlich kommt uns die Idee einer Mappe gar nicht mehr so doof vor - wobei die Vermittlerinnen schnell klar machen, dass sie aufgrund der Datenschutzverordnungen solche Unterlagen eigentlich gar nicht annehmen dürfen. Dennoch geben wir alle ein absurdes Bild ab, wie wir in dieser riesigen Gruppe durch die Wohnung laufen und allesamt bereits planen, welches Möbelstück wir an welche Wand stellen würden.
Schnelligkeit ist bei der Wohnungssuche in Berlin besonders wichtigWährend die Tage ohne ein passendes Objekt dahinfliegen, wächst auch die Panik. Eines Morgens um 8 Uhr dann der Lichtblick: Eine Dachgeschosswohnung in Charlottenburg gefällt, ist bezahlbar und schnell wird klar, dass diese Hausverwaltung ihre Vermieter nicht ausnehmen will. Hier wird vor Einzug gestrichen und es werden die Arbeiten erledigt, die bei einem Mieterwechsel eben notwendig werden.
Um es kurz zu machen: Wir haben eine neue Bleibe! Bekommen haben wir die Wohnung vor allem deshalb, weil wir schnell waren. Eine Stunde nach der Besichtigung ging bei der Hausverwaltung eine Mail mit sämtlichen Unterlagen von uns ein - wir haben in den vergangenen Wochen schließlich dazugelernt.
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