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Kulturhauptstadt werden wollen

Bad Ischl möchte samt dem Salzkammergut die Europäische Kulturhauptstadt 2024 werden. Gut so - andere Städte resignieren nämlich oft im Vornherein. Zu schwer und polarisierend, so sinniert man in den Amtsstuben, sei schon der Weg zur Bewerbung. Wie sollte man da ein Kulturhauptstadtjahr stemmen? Dabei gilt auch hier eine goldene Regel der Kulturarbeit: Der Weg ist das Ziel. Ein Plädoyer von Klemens Pilsl.


Regionale oder kommunale Bewerbungsprozesse sind zugegeben kein Pappenstiel. Gilt es doch, den gesamten Körper gründlich abzutasten (auch dort, wo man nicht so gern hinschaut) und sich selbst zu erkennen. Sich als Kulturhauptstadt bewerben zu wollen heißt nämlich, die eigene Identität zu hinterfragen, das kulturelle Selbstbild über Bord zu werfen und sich dem schmerzhaften Prozess einer Neuerfindung und Positionierung hinzugeben. Doch beginnen wir von vorne.


Kulturhauptstadt aus Mangel

So ein Kulturhauptstadtjahr ist per se kein Tourismusprojekt. Es ist ein kommunales Entwicklungswerkzeug und eine Möglichkeit, sich aus einer schwierigen Situation heraus neu zu definieren, zu branden, zu positionieren. Kulturhauptstadt ist nicht unbedingt für kulturell „hochentwickelte“ Kommunen gedacht, sondern auch für solche, die Mängel in ihrer Positionierung erkannt haben und Kultur als Treibstoff von städtischer oder regionaler Entwicklung erkennen.


Kultur und Teilhabe

Don‘t believe the hype: Kultur ist kein Allheilmittel und keine Garantie für boomende Standorte. Aber Kultur und Kulturarbeit haben ein hohes Potential zu gesellschaftlicher Partizipation. Kunst und Kultur können, so sie klug agieren, Menschen an Bord holen, die sich eigentlich kaum noch für das Schiff interessieren. Sie können Diskurse anregen, Polarisierungen abdämpfen oder, basal aber wunderbar, die Menschen zum Nachdenken, Streiten, Versöhnen und Träumen anregen.


Kultur mit allen

Wer die Themen „Kulturarbeit“ und „Kulturhauptstadt“ ernst nimmt – und die EU tut das interessanterweise – kommt nicht umhin, sich bereits im Bewerbungsprozess mit allen Stakeholdern auseinanderzusetzen. Kulturhauptstadt plant man nicht im Rathaus, im Stadtentwicklungs- oder im Tourismusbüro. Kulturhauptstadt heißt bereits bei der Bewerbung, dass man alle Gruppen anhört und mitdenkt: Die Gewerbetreibenden und die KünstlerInnen, die Flüchtlinge und die Wutbürger, die Kinder und die Alten. Die, die nichts damit zu tun haben wollen und auch die, mit denen man eigentlich nichts zu tun haben will. Kulturhauptstadt ist für alle.


Selbstverständnis finden

UnternehmerInnen wissen, wie schwer das Finden einer Corporate Identity oder eines Leitbildes sein kann. Glauben sie mir, eine Bewerbung für die Kulturhauptstadt ist schwieriger: Gilt es doch, gemeinsam mit allen Playern die Historie, die Stärken und nicht zuletzt Schwächen der eigenen Region zu benennen. Gilt es doch, eine gemeinsame Vision von Zukunft zu finden – oder zumindest eine, in der sich alle halbwegs finden können. Gilt es doch, Tradition und Aufbruch neu zu denken, liebgewonnene Selbstbilder zu verlieren und sich auf kollektive Prozesse einzulassen. Das verlangt nicht zuletzt von den BürgermeisterInnen und anderen MeinungsbildnerInnen großen Mut, ist aber eine ausgezeichnete Lektion in Sachen demokratische Prozesse.


Sich einbringen

Manche TourismuschefIn, BürgermeisterIn oder RegionalentwicklerIn scheint der Gedanke an eine Kulturhauptstadt und die damit einhergehenden Kapitalflüsse, Medienberichte, Touris und Fame zu verführerisch – da passen die QuerulantInnen nicht ins Bild der Bewerbung. Hier kommt die Zivilgesellschaft ins Spiel: KünstlerInnen, Kulturschaffende, Medien, Gewerkschaften, Kirchen, Kammern, Sport- & Sozialvereine sind allesamt Player einer potentiellen Kulturhauptstadt und müssen sich von Beginn an in die Prozesse reklamieren. Die Zivilgesellschaft kann Motor eines breit angelegten Bewerbungsprozesses sein, der möglichst viele Menschen via Medien, Workshops, Konferenzen, Projektideen und mehr einbindet. Und es ist eindeutig der Job der Stadt/Region, dies bestmöglich zu fördern. Und ja, das kostet Zeit, Nerven und eine ganze Stange Geld.


Wofür das Ganze?

Auch der offenste und selbstkritischste Bewerbungsprozess ist kein Garant für die Zusage – jede Menge professionelle KulturmanagerInnen würden sogar das Gegenteil behaupten, aber ich bleibe da stur. Nur: Ein demokratischer Prozess wie der von mir skizzierte ist nie umsonst. Im Gegenteil, er ist ein Akt der politischen Selbstermächtigung einer Stadt/Region und ein gewaltiger Schritt Richtung Zukunftsfähigkeit. Und ich sage das nicht nur als linker Utopist und Kulturaktivist, sondern denke dabei durchaus auch an wirtschaftliche Kennzahlen und Standortmarketings: Die intensive und kollektive Beschäftigung mit sich selbst und seiner Umwelt ist nicht nur eine kulturpolitische Herausforderung, sondern ein ziemlich cooles Framing der gesamtgesellschaftlichen Möglichkeiten. Und, obwohl das wir Kulturfuzzis oft gar nicht gerne hören wollen, ein ökonomischer Wachstumsfaktor. Regionale Selbstverständnisse und Klarheiten eröffnen wirtschaftliche Strategien und Investitionsmöglichkeiten – auch ganz abseits der vielzitierten „kreativen Klasse“. Sogar dann, wenn es mit der Kulturhauptstadt nichts werden sollte.



[Erstabdruck 03/2017 in der Printausgabe von "kulturhauptstadt2024 #2"]