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Drogenbanden in Mexiko: Der Boss ist tot, es lebe das Geschäft - SPIEGEL ONLINE

Wenig Zeit? Am Textende gibt's eine Zusammenfassung.

Vielleicht wird man sich an Servando Gómez alias "La Tuta" mal als einen der Letzten seiner Art erinnern. Ein echter Drogenboss alter Schule, ein "Capo", legendenumrankt, in der Bevölkerung gefürchtet wie bewundert. Einer, der ständig den mexikanischen Staat herausforderte. Gómez, 49, der einzig verbliebene Anführer des pseudo-religiösen Regionalkartells der Tempelritter, veröffentlichte regelmäßig Videos, in denen er seine Ideologie verbreitete, Gouverneure einschüchterte, Bürgermeister nötigte und sich über Militärs und Polizei lustig machte. Vergangenen Freitag wurde er im Bundesstaat Michoacán festgenommen.

Nur wenige Tage später gelang den Sicherheitskräften ein Schlag gegen einen weiteren Drogenboss: Omar Treviño Morales, als "Z-42" Anführer der Zetas, wurde im Norden des Landes verhaftet.

In den vergangenen Jahren hat man sich in Mexiko an die Schläge gegen die mächtigen "Narco-Bosse" gewöhnt. Einer nach dem anderen sind die großen "Capos" entweder getötet oder geschnappt worden. Rund zwanzig sind es allein, seit Präsident Enrique Peña Nieto Ende 2012 sein Amt angetreten hat. Allen voran natürlich Joaquín Guzmán Loera alias "El Chapo", der Anführer des Sinaloa-Kartells. Er galt als einer der meistgesuchten Verbrecher der Welt, bis Zielfahnder ihn vor rund einem Jahr schnappten.

Aber haben Festnahmen und Tötungen der "Capos" etwas verändert? Geht die Gewalt zurück und hört der Handel auf? Verschwinden die Kartelle? Immerhin sinkt die Zahl der Morde. Seit dem tödlichsten Jahr 2011 hätten sie um rund 25 Prozent nachgelassen, behauptet die Regierung. Die meisten Analysten bestätigen das. Beobachter sind sich aber auch einig: Es wird weiter geschmuggelt und gut verdient. Die Struktur des organisierten Verbrechens verändert sich, und die Banden erschließen sich neue Geschäftsfelder.

Die Strategie der Schläge gegen die großen Bosse habe Vor- und Nachteile, sagt der unabhängige Sicherheitsexperte Alejandro Hope. "Sie brechen zwar die Macht der großen Kartelle, aber die Folge ist eine Zersplitterung, die kleinere und gewalttätigere Banden hervorbringt." Diese könnten zwar den Staat als Ganzes nicht mehr herausfordern, aber sie seien in der Bevölkerung oft gefürchteter als die großen Kartelle. "Diese Gruppen sind blutrünstiger, haben mit Entführung, Erpressung und Menschenhandel andere Einkommensgrundlagen als den globalen Drogenschmuggel."

Tempelritter kontrollieren Rohstoffschmuggel

Jüngstes Beispiel: Die "Guerreros Unidos", jene Mafia im Bundesstaat Guerrero, die an der Verschleppung und mutmaßlichen Ermordung der 43 Studenten von Ayotzinapa vor fünf Monaten beteiligt war. "Die Ära der großen national und global agierenden Kartelle ist vorbei", prophezeit Hope. Die Zukunft gehöre lokal und regional agierenden Gruppen. "Wir werden künftig eine Vielzahl von solchen Banden entstehen und auch wieder verschwinden sehen."

Auch die "Caballeros Templarios", die Tempelritter, sind erst vor drei Jahren aufgetaucht. Sie haben ihre Operationsbasis im Bundesstaat Michoacán und waren selbst Nachfolger des Kartells "La Familia Michoacana". Aber nachdem nun innerhalb eines Jahres die drei Tempelritter-Bosse getötet oder geschnappt wurden, ist unklar, ob die Bande weiter bestehen kann.

Sicher hingegen ist, dass ihr Geschäft weiter existieren wird. Die Tempelritter kontrollieren die Marihuana-Produktion in der Region, produzieren in den unwirtlichen und unzugänglichen Weiten Michoacáns synthetische Drogen und mischen im Rohstoffschmuggel mit. In diesem lukrativen Geschäft bleibt kein Machtvakuum lange bestehen.

Vor allem Rohstoffe sind für das organisierte Verbrechen in Mexiko attraktiv: Die Tempelritter kontrollieren große Teile der Kette von Eisenerzabbau bis -verschiffung. In Michoacán schlummern große Reserven. Der Rohstoff geht oftmals direkt an chinesische Clans, die im Gegenzug chemische Substanzen zur Herstellung synthetischer Drogen liefern.

Auch Großkartelle passen sich an

Wenn die mexikanischen Kartelle in den vergangenen Jahren etwas bewiesen haben, dann dass sie sich den Gegebenheiten anpassen können. "Im vergangenen Jahrzehnt ist das organisierte Verbrechen in Mexiko in Bereiche vorgedrungen, die lange undenkbar waren", schreibt die Rice-Universität aus Houston im US-Bundesstaat Texas in einer Untersuchung aus dem vergangenen Jahr. Dazu gehörten Bergbau, Abholzung von Wäldern, Menschenschmuggel, Kidnapping, Produktpiraterie und Erpressung. So machten die illegalen Gruppen Milliardenumsätze neben dem Rauschgifthandel.

Das gilt besonders für die "Zetas" und das Sinaloa-Kartell: Nach der Verhaftung von Guzmán ist es still geworden um das Syndikat. Niemand weiß, ob die neue Generation der "Narco-Juniors" jetzt regiert oder ein alter Kompagnon Guzmáns die Geschäfte geräuschlos leitet. Jedenfalls sind sowohl "Zetas" als auch Sinaloa-Kartell laut der Studie der Rice-Universität im Norden Mexikos groß in den Raub und illegalen Verkauf von Öl, Benzin und Gas eingestiegen. Beide Gruppen machen weiter ihre Gewinne, ohne dass die Schläge gegen ihre Führungsfiguren ihre Kapazitäten beeinträchtigt hätten.

Dafür benötige es "starke Institutionen", sagt Mary Speck von der International Crisis Group (ICG), einem Thinktank zur Beratung in Konfliktregionen. Trotz der Festnahmen der Bandenchefs bleibe das die wirkliche Herausforderung der Regierung: Eine unbestechliche Polizei aufzubauen, einen funktionierenden Rechtsstaat und Strukturen, um gegen die Finanznetze der Kartelle vorgehen zu können.

Zusammengefasst: Die mexikanische Regierung konnte in den vergangenen Jahren viele mächtige Drogenbosse festnehmen. Die organisierte Kriminalität hat ihre Strukturen jedoch angepasst. Die illegalen Geschäfte laufen weiter.

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