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Kolumbien: Die Waffen schweigen - aber Frieden sieht anders aus - SPIEGEL ONLINE - Politik

Es war zwar nur ein symbolischer Akt, aber dennoch hat er große Bedeutung. Kurz vor dem ersten Jahrestag der Unterzeichnung des Friedensabkommens zwischen kolumbianischer Regierung und der Farc-Guerilla am 26. September beendeten die Vereinten Nationen am Freitag die Zerstörung der bei den Rebellen eingesammelten Waffen.

In den vergangenen Wochen vernichtete die Uno 9000 Gewehre, Pistolen und Granatwerfer, machte rund 38 Tonnen Munition und Sprengstoff unbrauchbar. Und bei der Zeremonie in der Ortschaft Funza nahe Bogotá wurde Präsident Juan Manuel Santos symbolisch das letzte Gewehr überreicht.

Der Staatschef wird nun als derjenige Präsident in die Geschichtsbücher eingehen, der den bewaffneten Konflikt in seinem Land mit der ältesten und größten Guerillaorganisation Lateinamerikas nach 53 Jahren beendet hat.

Aber zum Frieden gehört noch mehr als das Schweigen der Waffen. Das lernen die Kolumbianer gerade, die sich mit der Implementierung des 310 Seiten starken Friedensvertrags von Havanna schwer tun. Das Abkommen ist anspruchsvoll und umfassend, nach Einschätzung von Experten gar das weitreichendste, das jemals im Rahmen von Friedensprozessen geschlossen wurde. Aber es ist deshalb nicht weniger umstritten in der Bevölkerung. Ein halbes Jahrhundert Bürgerkrieg hat 250.000 Tote gefordert und sieben Millionen Kolumbianer zu Vertriebenen gemacht. Und für einen Teil davon sind die Farc verantwortlich.

Das haben ihnen die Menschen nicht vergessen, und viele Kolumbianer ärgern sich deshalb über die vermeintlich großen Zugeständnisse an die Farc im Abkommen von Havanna. So erhalten die früheren Kämpfer für zwei Jahre ein Übergangsgeld in Höhe von 90 Prozent des Mindestlohns.

Zudem werden der Anfang des Monats gegründeten Partei der Ex-Rebellen ("Fuerza Alternativa Revolucionaria del Común", Farc) im nächsten und übernächsten Parlament zehn Sitze (fünf im Senat, fünf in der Abgeordnetenkammer) garantiert. Und vielen Kolumbianern kommen die Strafen zu symbolisch vor, die im Rahmen der Übergangsjustiz für geständige ehemalige Kombattanten vorgesehen sind.

Vor allem diesen letzten Punkt bekämpft auch das "Centro Democrático", die Partei von Ex-Präsident Álvaro Uribe vehement. Die Rechtsaußen-Opposition droht damit, das Abkommen in "Stücke zu reißen" und polemisiert auf allen Ebenen dagegen. Noch nie habe ein "Friedensvertrag mit einem so gewalttätigen Widerstand im eigenen Land zu kämpfen gehabt", klagte vor Wochen Sergio Jaramillo, ehemaliger Beauftragter der kolumbianischen Regierung für den Friedensprozess. Besonderen Druck schafft dabei die Präsidentenwahl im Mai kommenden Jahres. Und so gleicht die Implementierung des Vertragswerks einem Wettlauf gegen die Zeit. Es muss bis zur Wahl unumkehrbar gemacht sein. Denn sollte Uribes Partei die Wahl gewinnen, wird sie ihre Drohung in die Tat umsetzen wollen.

Dabei hinkt die Umsetzung vieler Punkte aus dem Havanna-Vertrag dem Zeitplan dramatisch hinterher. Die Regierung Santos wirkt überfordert und verheddert sich in der eigenen Bürokratie. "Wenn die Farc nicht mit ihrem eisernen Willen das Friedensabkommen getragen hätte, wäre es schon längst zusammengebrochen", sagt ein ausländischer Berater.

Von Eingliederung keine Spur

Die Liste der Versäumnisse des Staates ist lang. Das Übergangsgeld für die Rebellen in Höhe von monatlich 190 Euro wird erst seit August und nicht seit Jahresbeginn gezahlt. Und die den Friedensprozess begleitenden Gesetze sind erst zu einem kleinen Teil in Kraft. Institutionen wie die Wahrheitskommission und die "Einheit zur Suche" nach den geschätzten 100.000 Verschwundenen des Bürgerkriegs sind noch nicht geschaffen. Viele dieser Vorhaben hat Präsident Santos, der für sein Engagement mit dem Friedensnobelpreis geehrt wurde, im Dekretverfahren durchgeboxt. Nun liegen die präsidialen Erlasse zur Prüfung vor dem Verfassungsgericht, das vermutlich noch diesen Monat entscheidet. Experten gehen davon aus, dass Teile der Übergangsjustiz wegen der zu geringen Strafandrohungen von den Verfassungsrichtern kassiert werden könnten.

Geradezu dramatisch aber ist das fehlende Konzept für die "Reincorporación". Damit sind die Programme zur Wiedereingliederung der demobilisierten Rebellen in die Gesellschaft gemeint. Also das Angebot von Jobs, Ausbildungsplätzen und Fortbildungsmaßnahmen. "Das ist vermutlich das größte Problem bei der Umsetzung des Friedensprozess", kritisiert Ariel Ávila, stellvertretender Direktor der Stiftung Paz y Reconciliación (Frieden und Versöhnung). "Die Ex-Guerilleros sind wütend, und niemand sagt ihnen, wie es weitergeht."

Schon jetzt steigen die Zahlen der "Disidentes", der abtrünnigen Rebellen, die angesichts mangelnder Perspektiven in einem zivilen Leben zurück in die Illegalität gehen. Entweder verstärken sie die Reihen der kleinen Linksguerilla ELN oder sie schließen sich den Drogenbanden an, die Teile der Rauschgiftgeschäfts der Farc übernommen haben.

Die Waffen schweigen in Kolumbien, aber der Frieden lässt noch auf sich warten. Es wird ein Rennen gegen die Uhr.

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