Die Eltern von Julia Engelmann müssen sehr stolz sein auf ihren Sprössling: Ein Gedicht für die Mama, ein Gedicht für den Papa und sogar eins für den Hund hat die 26-Jährige jetzt im nahezu ausverkauften Kuppelsaal vorgetragen.
Vier Jahre ist es her, dass das Youtube-Video von ihrem Auftritt beim Bielefelder Hörsaalslam viral ging und Engelmann schlagartig bekannt machte. Die gebürtige Bremerin sinniert darin im typischen Poetry-Slam-Sprachduktus über Mut und vertane Chancen. Fünf Millionen Mal wurde „One Day/Reckoning Text“ in den ersten zwei Wochen angesehen, über zwölf Millionen Klicks hat das Video heute. „Stimme ihrer Generation“ wurde Engelmann danach oft genannt.
Die Mischung aus Twenty-Something-Selbstzweifeln und naiver Euphorie kommt immer noch an: Engelmann ist nicht nur Poetry-Slammerin und Schauspielerin („Alles, was zählt“), sondern auch Bestsellerautorin („Eines Tages, Baby“, „Wir können alles sein, Baby“ und „Jetzt, Baby“) – es gibt wenig, was sie noch nicht ausprobiert hat.
Ihr Psychologie-Studium hat Julia Engelmann – wie sie selbst sagt – „erfolgreich abgebrochen“ und dann auf dem Fußboden in ihrer neuen Berliner Wohnung einen „Kleinen Walzer“ darüber geschrieben, dass sie nicht weiß, wohin sie gehört – Generation Y nach Lehrbuch. Auf ihrem luftigen Pop-Debüt „Poesiealbum“ (2017) hat sie ihre Gedanken über sich und die Welt nun auch vertont.
„Was auch immer sich richtig anfühlt!“
Mit der dazugehörigen Tour füllt sie den hannoverschen Kuppelsaal nun bereits zum zweiten Mal. Sie singt, liest Texte vor und erzählt breit lächelnd eine Anekdote nach der anderen. Von ihrem Opa, ihren Eltern, dem Familienhund „Pumba“ oder natürlich der Liebe und wie es sich anfühlt, wenn sie geht („Junges Unglück“).
Gefühle sind sehr wichtig heute Abend: „Klatscht, jubelt oder tanzt! Was auch immer sich richtig für euch anfühlt!“, fordert Engelmann das Publikum mehrmals auf. Hinter Engelmann stehen Miniaturhäuser, die Bühnenwand ist mit kleinen, sternförmigen Lichtpunkten übersät und leuchtende Lampignons sorgen für Dachterassenflair. Die Atmosphäre ist kuschelig, gute Laune, Konfetti! Engelmann gibt sich alle Mühe, jeden der knapp 2200 Zuschauer zufrieden zu stellen. Und die honorieren das mit langem Applaus, einige von ihnen haben sogar selbst bunte Papierschnipsel dabei.
„Ich habe irgendwann festgestellt: Konfetti macht eigentlich alle Leute glücklich – außer die mit tiefen Dielenböden vielleicht“, sagt sie grinsend und wirft die Schnipsel in die Luft und die Zuschauer lachen. Engelmann ist mehr Entertainerin als Musikerin, mehr Geschichtenerzählerin als Ratgeberin. Die Bilder in ihren Texten sind eher märchenhaft als real, manchmal schräg und teilweise auch schlichtweg falsch: Mit einem gebrochenen Bein geht man ja auch zum Orthopäden, glaubt die 26-Jährige etwa im Song „Grapefruit“. Es geht nicht um den Inhalt, sondern darum, dass es klingt. Oder wie Engelmann in „Das Lied“ singt: „Es geht nicht um das Lied, sondern darum, dass du dancest“.
Schräge Bilder und Feel-Good-Ratschläge
Bei einigen Coming-of-Age-Themen mögen die Feel-Good-Ratschläge funktionieren, bei anderen wirken Engelmanns in Klischees verpackte Gedanken recht naiv: Weil ein Mädchen bei einer WG-Party so schwermütig schien, habe sie das Lied „Grapefruit“ geschrieben, erzählt Engelmann. Fenster auf, Radio laut, ’ne Grapefruit zum Frühstück und einfach fest dran glauben, dann werde man schon glücklich, rät Psychologentochter Engelmann ihr zu federleichten Akustik-Gitarrenriffs und schiebt am Schluss hinterher: „Kannst ja vielleicht mal mit ’nem Psychologen reden“. Eine Grapefruit reicht vielleicht doch nicht, um glücklich zu sein.
Von Kira von der Brelie
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