Jacques Brel (1929-1978), ein Sänger französischer Chansons, dessen Namen in diesem Zusammenhang unumgänglich zu erwähnen ist, war belgischer Herkunft oder vielmehr ein französischsprachiger Flame. Er war der Sohn eines Bourgeois, oder nach seinen eigenen Worten, „Sohn [s]eines Vaters.“
Er besang ausgiebig Paris und Amsterdam, viel Flandern und die Flamen und mit „tendresse“ (Zärtlichkeit) auch ein wenig China und die Chinesen. Als Fan kenne ich alle seine Chansons und Interviews, die auf YouTube verfügbar sind. Mir ist natürlich bewusst, dass dies lediglich ein kleiner Teil seines großen Nachlasses ist, wie die von Olivier Todd ausgearbeitete Biografie und die neuesten Veröffentlichungen der Fondation Jacques Brel beweisen.
Soweit ich weiß, waren „China“ und „Chinesisch“ in Brels Welt nicht viel mehr als Worte, um dem Fernen einen Hauch von Exotik und Fantasie zu verleihen und vor allem schön zu klingen. Zur Veranschaulichung zitiere ich zwei Passagen aus Brels Texten:
„Mon enfance“ (1967)
„Mon enfance passa
Les femmes aux cuisines
Où je rêvais de Chine
Vieillissaient en repas“
In Bezug auf „Chine“ sagte Brel 1967 selbst, dass diese kleine Geschichte von ihm komplett erfunden wurde.
„L’Ostendaise“ (1968)
„À la cuisine
Quelques voisines
Parlent de Chine“
Das heutige Thema ist jedoch das Macao, über das Brel sang. Wie wir in dem am 9. März im Jornal Tribuna de Macau veröffentlichten Artikel „Algumas canções europeias adaptadas em cantonense“ (Kantopop-Covers einiger europäischer Liedern) erwähnt haben, heißt eines von Brels Stücken „Jacky“ oder „La Chanson de Jacky“ (1965), in dem wir hören:
„Même si un jour à Macao
Je deviens gouverneur de tripot
Cerclé de femmes languissantes“
Leider wurde im heute weltweit bekannten amerikanischen Cover dieses Chansons (1966) der Verweis auf Brels Macao durch einen „social whirl“ ersetzt:
„Locked up inside my opium den
Surrounded by some Chinamen
I’d sing the song that I sang then
About the time they called me ‚Jackie‘“
Der schottische Musiker Momus hat es im Mai 1986 in seiner Version umgeschrieben:
„The in my Hong Kong orchid den
Waiting for 1999
I’d spend the years of my decline“
Wir erinnern uns, daß die Chinesisch-Britische gemeinsame Erklärung, die das Schicksal Hongkongs besiegeln würde, 1984 unterzeichnet wurde. Wir kennen die genaue Bedeutung dieses genannten Jahres 1999 nicht, da die chinesisch-portugiesischen Verhandlungen über Macau erst einen Monat nach der Veröffentlichung des Songs begannen.
Ehrlich gesagt bin ich kein großer Bewunderer deutscher Coverversionen französischer Lieder, obwohl eine Ausnahme Hildegard Knefs deutsches Cover „Amsterdam“ (1986) bildet oder wie Klaus Hoffmann „Adieu Émile“ (1975) sang. Ich freue mich jedoch, dass der Berliner Sänger Brels Originalfassung treu geblieben ist, als er das Lied 1997 ins Deutsche übersetzte; den Namen „Macao“ hatte er dem deutschen Publikum somit näher gebracht:
„auch wäre ich in Macao
der Chef in einem Kasino
umringt von schmachtenden Gefahren“.
„La Macao du Grand Jacques“
Aus den vielen Brel-Interviews, die ich mittlerweile gesehen hatte, fiel mir auf, dass Brel Hongkong nur einmal in einem Dokumentarfilm des belgischen Regisseurs Marc Lobet und des Journalisten Henry Lemaire aus dem Jahr 1971 erwähnte. Obwohl der Hintergrund in Hinblick auf die ehemalige britische Kolonie auch heute bekannt ist, habe ich den Eindruck, dass „Hongkong“ hier nur erwähnt wurde, um seine Wanderlust oder Sehnsucht nach der Ferne zu zeigen:
„Das Schwerste für einen Mann, der in Vilvoorde lebt und nach Hongkong gehen möchte, ist nicht nach Hongkong zu gehen, sondern Vilvoorde zu verlassen.“
Darüber hinaus ist bekannt, dass Brels große Leidenschaft nicht im Fernen Osten lag. Daher ist der wahre „Tripot“ in Brels Versen eher das Kasino Knokke in Belgien als das alte „Casino de Macau“ in Macaos Innenhafen.
Ich denke, dass die französische Vorstellung von Macao als „Hölle der Kasinos“ so präsent war, dass sogar Brel, ohne Leidenschaft für den Fernost, diesen Bezug in den oben erwähnten Versen des Liedes ausnutzte. Vielleicht ist der Ursprung dieser Vorstellung Macaos der Film „Die Spielhölle von Macao“ (1942) von Jean Delannoy, nach dem gleichnamigen Roman von Maurice Dekobra. Für die jeweiligen Märkte lautete der portugiesische Titel während des Krieges „Labaredas“ und der brasilianische Titel „Macau-Inferno do Jogo“.
Diese Werke haben die Frankophonen der Welt beeinflusst und beeinflussen sie bis heute, indem sie Macao mit einer „Hölle des Glücksspiels“ in Verbindung bringen. Darüber hinaus gibt es auf Deutsch einen abwertenden Ausdruck für das Worte Kasino: „Spielhölle“. Was für ein Pech!
Ein multikulturelles Macao
Weiterhin ist anzumerken, dass der ehemalige Direktor der Cinemateca Portuguesa, Luís de Pina, 1995 in seinem Artikel „Macao: in search of the lost portrait“ in der Review of Culture Macaos schrieb:
„[...] diese Version von Maurice Dekobras Roman war nicht sehr schmeichelhaft für Macau. Er nannte Macau ‚Hölle des Glücksspiels‘ und zeichnete das Terrain als einen Ort, wo alle Süchte und alle Trafikanten dieses Stücks Land gefunden haben (direkt übersetzt aus der portugiesischen Urfassung).“ Dieses Zitat reicht aus, um die reduzierende Vision des Macao zu verstehen, das im Roman und im entsprechenden Film phantasiert wurde.
Jetzt konzentrieren wir uns auf das Thema, und zwar, das Macao des Jacques Brel, d.h. die fantastische Darstellung von Macao in der französischsprachigen Welt.
Bereits als Kind war ich schon von Mehrsprachigkeit oder sogar „Multidialektalismus“ im Kontext Macaos fasziniert, dessen kosmopolitische Geschichte mein Interesse an der Welt geweckt hat, welches ich noch immer an den Orten, wo ich lebe, vertiefe. So hatte ich mir die DVD von „Die Spielhölle von Macao“ angesehen, die 2005 von der französischen Gesellschaft „Studiocanal“ verliehen wurde.
Nach meinem Lusitanistikstudium vor einem Jahrzehnt, begann ich bei mehreren Alliances Françaises Französisch zu lernen, um meine sprachlichen und philosophischen Kenntnisse zu diversifizieren. Zu dieser Zeit fiel mir auf, dass in dem Film die Figur Almaido (oder Almeido), gespielt von Henri Guisol, ein neutrales Macao (in seinem etwas „exotisierten“ Englisch), während des Zweiten Weltkriegs, präsentiert wurde. Dabei spielte Guisol die Rolle eines Reiseführers (und eines Agenten des „Eldorado-Kasinos“) für die Ankömmlinge in der Stadt:
„Macao is the most wonderful city in the World! No war, no desolation! Only happiness and joy!“
Brel als „Gouverneur des Casinos“
In Brels Lied „La Chanson de Jacky“ dient die Strophe mit dem Wort Macao als Übergang und Kontrast. Er besingt zunächst die Realität (Knokke-le-Zoute Belgiens), durchquert dann in einem imaginären Übergang das Macao, wahrgenommen als die Heimat der Sünde,und erreicht schließlich sein „Paradies“ (das Ziel seiner Imagination). Dies wird in drei Strophen als drei „Stufen“ der Geschichte in diesem Lied erzählt, aber mit einem Brel, der immer von Frauen umgeben ist.
Hier ist der „Gouverneur“ höchstwahrscheinlich von der Figur des fiktiven Macao-chinesischen Tycoons Ying Tchaï (von Sessue Hayakawa gespielt) inspiriert, der offenbar Betreiber einer ebenfalls fiktiven „Macao Commercial Bank Ltd.“ (selbstverständlich nicht mit der heutigen Banco Comercial de Macau zu verwechseln, die es damals noch gar nicht gab) ist. In Wirklichkeit jedoch ist Ying Tchaï auch der Meister des erfundenen Kasinos „Eldorado“ und der „größte Waffenhändler in ganz Südchina“ während der japanischen Invasion.
Brel war zu seiner Zeit ein großer Star und eine lebende Legende. Er war natürlich geradezu von Frauen umgeben, wie das großartige Foto vom niederländischen Journalisten Ben van Meerendonk bezeugen kann (siehe Bild). Aber wie kommt es, dass der „Chef in einem Kasin[o v]on schmachtenden Gefahren“ umringt?
In dem Film „Die Spielhölle von Macao“ sind die „Commercial Bank“ und das Kasino „Eldorado“ heimlich miteinander verbunden. Ying Tchaï, in der Öffentlichkeit eine geschätzte und sympathische Persönlichkeit, zeigte Wohltätigkeit, als er an seiner Bank ankam (und bevor er den Geheimgang zum Kasino betrat), indem er einem Priester in einer schwarzen mittelalterlichen Mönchskutte aus der Renaissancezeit einen Scheck überreichte. Ich erzähle mit Freude diese Passage weil es interessant ist zu sehen, wie das französische Produktionsteam eine Macao erfand, das ihnen gänzlich unbekannt war.
Beim Betreten des „Eldorado-Kasinos“ enthüllt Ying Tchaï seine Seite als großer Bösewicht, in dem er die vielen europäischen Frauen wertend kommentierte. An dieser Stelle ist der „Casino-Gouverneur“ wortwörtlich „von ihn anschmachtenden Frauen umgeben.“ Der „Bösewicht“ hier ist doch ein vom Filmemacher gestaltetes Bild. Oder wie ich hier an dieser Stelle den Hongkonger Schauspieler Ng Man-tat zitieren würde: Niemand denkt, dass er or sie selbst ein schlechter Mensch ist. In dem Film ist Ying Tchaï ein sehr angesehener „Big Brother“.
Noch keine offizielle Fassung für Macaos Zuschauer
Um diesen Artikel zu schreiben, habe ich den Film noch ein paar Mal gesehen, mehr als ein Jahrzehnt nach meiner ersten Begegnung mit diesem Werk.
Diesmal hat es viel mehr Spaß gemacht, da ich bereits Französisch spreche und die jeweiligen historischen und kulturellen Kontexte kenne. Mit einer angenehmen Überraschung konnte ich hier in Berlin die 2018 von der Produktionsfirma Gaumont vertriebene DVD-Version erwerben. Ich sehe dies als Zeichen dafür, dass dieser erfolgreiche Film der 1940er Jahren auf dem Alten Kontinent immer noch eine gewisse Nachfrage und ein gewisses kulturelles Gewicht hat.
Nach einer schnellen Google-Suche konnte ich weder überprüfen, ob und wann der Film in Macao uraufgeführt wurde, noch scheint er mir in der damaligen portugiesischen Kolonie und heute chinesischen Sonderverwaltungszone ordnungsgemäß auf DVD oder Blu-ray verliehen zu sein, obwohl der Film in einer Retrospektive der Cinemateca Portuguesa über Macao im Jahr 1991 ausgewählt wurde. Daher nutze ich diese Rubrik erneut, um an unsere Macauer Cinémathèque und unsere Filmfestivals zu appellieren, eine Version mit Untertiteln in Chinesisch-Mandarin, Englisch und Portugiesisch bereitzustellen.
In dem oben erwähnten Artikel der Review of Culture von Luís de Pina schreibt der frühere Direktor der Cinemateca Portuguesa auch: „Tatsächlich könnte ein derart negatives Macao ohne eine allgemeine kosmetische Operation nicht an unsere milden Zuschauer weitergegeben werden…“
Mehr als drei Jahrzehnte nach der Veröffentlichung des Artikels von Luís de Pina sind mehrere Studien und Artikel in mehreren Sprachen erschienen, um zum Verständnis dieses Images von Macao als „Hölle des Glücksspiels“ im französischsprachigen Raum beizutragen. Ich gehe davon aus, dass das Macauer Publikum, welches heute besser mit der Darstellung von Macao im ausländischen Kino vertraut ist, bereits auf eine (noch kritischere) Vorführung wartet.
Die Originalversion dieses Films mit Erich von Stroheim in der Hauptrolle, wurde mitten im Krieg während der deutschen Besetzung Frankreichs zensiert. Stroheims Szenen, in denen er später vorkam, wurden durch die von Pierre Renoir ersetzt. Beide Versionen, die originale und die zensierte, verdienen ebenfalls eine kritische Präsentation und eine Verleihung auf DVD und BluRay mit Untertiteln, damit Macao in der Art und Weise wie es kinematographisch dargestellt und rezipiert wird, endlich zu seinem Ursprung „zurückkehren“ kann.
Eine französische Besessenheit seit 1938
Ich verstehe Luís de Pinas damalige Besorgnis: Auch ich erkenne ein Stereotyp, das der Roman und insbesondere der Film in die französischsprachige Welt gebracht haben und das seit mehr als acht Jahrzehnten nicht mehr die Köpfe vieler Franzosen verlässt. Ich kann nachvollziehen, dass es im Vokabular der französischen Sprache und in der frankophonen Vorstellung verankert ist. Jedoch ist es Macao gegenüber unfair, einen Eindruck, geprägt in den 1930er Jahren zu bewahren, um weiterhin auf die Aktualität eines so anderen Macao Bezug zu nehmen. Ich habe jedoch und wie üblich eine Beobachterhaltung, sodass ich hier keine Urteile fällen kann.
Neben „La Chanson de Jacky“, das 1965 herauskam, machte die 1977 in Paris gegründete französische Gruppe „Le Grand Orchester du Splendid“ 1979 ihren Song „Macao“ mit einem Videoclip, der dieses Stereotyp nur verstärkte. In diesem Videoclip, der heute schon Teil der französischen Popkultur ist, sind Karten spielende Mafiosi, rauchende Kurtisanen und einem „Chinesen“ karikaturistischer Art mit kompletter Tracht und Frisur des Mandschu-Reiches zu sehen.
Im folgenden Refrain dieses Liedes kann man die Stimmen mehrerer Sänger und auch dieses „Chinesen“ mit einem Akzent hören, der zum Lachen bringen soll:
„MACAO MACAO
Sechs Plombes du mat
schickte le sang écarlate”
Die Eindrücke des Filmes „Spielhölle von Macao”, der von Jean Delannoy in Nizza und Paris gedreht wurde, blieben über die Jahrzehnte nach seiner Premiere fest im Bewusstsein der französischsprachigen Menschen fixiert. Wenn von Macao in den französischsprachigen Berichten gesprochen wird, sei es in den alten Berichten über die Kulturrevolution in China oder in den jüngsten Präsentationen zum 20. Jubiläum der Sonderverwaltungszone, scheint der Begriff „Spielhölle“ auf Französisch zum Synonym für Macao zu sein.
Aber wie bei allem gibt es Ausnahmen. Ein Fernsehbericht der französischen Journalisten Michel Droit und Jean-Jacques Rebuffat aus dem Jahr 1958, „Macao sans Enfer ni jeu“, stellt eine solche Ausnahme dar: Droit berichtet in einem eher kritischen Ton das Folgende vor der Kamera, dass ich hier zitiere und übersetze:
„Wenn wir den Namen Macau aussprechen, tauchen fast sofort eine Reihe diktierter Assoziationen auf:‚Macau, die Spielhölle‘, ‚Macau, das Drogenparadies‘,‚Macau, der schlechte Ort Nummer eins im ganzen Fernost‘. Daher muss gesagt werden, dass die Literatur und das Kino, oder genauer gesagt, die schlechte Literatur und das schlechtes Kino, Macao ignorierten. Tatsächlich glaube ich, dass jeder, der mit diesen Ideen im Kopf nach Macao fährt, sehr schnell sehr überrascht sein wird, genau wie wir selbst es waren, weil wir, diese Vorurteile, um nichts vor Ihnen zu verdecken, ebenfalls hatten”
Dies ist natürlich nicht die einzige Ausnahme. So ist jedoch der Eindruck, den ich aufgrund der vielen Referenzen bekomme, die ich im französischsprachigen audiovisuellen Bereich sehe. Wahrscheinlich werden Menschen, die andere Sprachen sprechen, die gleiche Vorstellung von Macao haben. Doch die Französischsprachige kristallisierten sich aufgrund des Romans und des Films mit einer solchen negativen Konnotationen in diesem Ausdruck heraus. Es gibt auch eine internationale Produktion „Die Hölle von Macao“ aus dem Jahr 1967 mit der deutschen Protagonistin Elke Sommer. Dieser Titel wirkte sich jedoch nicht nachhaltig negativ auf das Image von Macao in dieser germanischen Sprache aus.
Der Originaltext wurde am 5. Mai 2021 auf Portugiesisch im Jornal Tribuna de Macau veröffentlicht. Die beiden Varianten des Namens „Macau“ auf Portugiesisch und „Macao“ auf Französisch werden seit langem parallel in der deutschen Sprache verwendet.
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