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Kämpfen bis zum letzten Tag

Ein Unternehmerpaar kauft die Pralinenmanufaktur Sawade aus der Insolvenz. Mühsam gelingt die Sanierung, dann kommt Corona - und Sawade geht wieder das Geld aus. 

Eine Geschichte über fehlende Staatshilfen, schnelle Digitalisierung und echte Solidarität


Zum Schluss erfasste Corona sogar die Hasen. Dunkle Äuglein, lange Ohren, Stummelschwanz. Aus feinstem Marzipan gefertigt, die Augen aus Schokolade von Hand aufgezeichnet, das Fell mit Kakao gepudert. Die erste Form schnitzte ein Süßwarenmeister aus Holz in den 1950er-Jahren nach dem Vorbild des berühmten Dürer-Gemäldes. Seitdem werden in der Berliner Pralinenmanufaktur Sawade jedes Jahr zu die Dürerhasen hergestellt. Liebhaberstücke, 95 Gramm für 8,90 Euro. Eigentlich.

Doch vor genau einem Jahr, kurz nach Ausbruch der Pandemie, verjubelte Sawade die Dürerhasen zu Ostern für die Hälfte. "Sie sind ein absolutes Hero-Produkt, da geben wir eigentlich nie Rabatte", sagt Melanie Hübel, 45. Zusammen mit ihrem Mann Benno Hübel, 47, hat sie Sawade 2013 aus der gekauft. Mit viel Mühe, Herzblut und Geld haben die beiden die Pralinenmanufaktur saniert. Ende 2019 schien der Kampf endlich gewonnen.

Doch die Corona-Krise macht den Hübels einen Strich durch die Rechnung. Als im Frühling 2020 die Läden schließen, bricht das Ostergeschäft zusammen. Davon erholt sich Sawade nicht. Im Sommer geht der Pralinenfirma das Geld aus, zum zweiten Mal in sieben Jahren. "Sawade setzt Restrukturierung in Insolvenz in Eigenverwaltung fort", heißt es in der Pressemitteilung, die das Unternehmen Anfang August verschickt.

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Hinter solchen nüchternen Meldungen verbergen sich persönliche Geschichten wie die von Melanie und Benno Hübel. Geschichten von Schuldgefühlen und Scham, von Hoffnung und Chancen. Kaum ein Schritt im Unternehmerleben ist so schwer wie der in die Insolvenz. "Für mich persönlich war der Schritt schrecklich, der blanke Horror", sagt Melanie Hübel. Über Wochen habe sie im Auto morgens auf dem Weg zur Arbeit immer wieder geweint. "Die Insolvenz hat mich körperlich und psychisch maximal an meine Grenzen gebracht."

Sawade ist nur eines von vielen Unternehmen, das seit Beginn der Pandemie mit der Firmenpleite in den Schlagzeilen landete. Die Warenhauskette Galeria Kaufhof und der Modekonzern Esprit sind ebenso darunter wie die Restaurantkette Vapiano, der Spielzeughändler Spiele Max oder der Grillhersteller Landmann.

Die vielen bekannten Namen täuschen jedoch leicht darüber hinweg, dass die befürchtete Corona-Pleitewelle zunächst ausblieb. Obwohl die Pandemie die deutsche Wirtschaft in eine Krise stürzte und das Bruttoinlandsprodukt 2020 um fünf Prozent sank, stieg die Zahl der Insolvenzen zunächst nicht. Im Gegenteil: Noch liegen die offiziellen Zahlen nicht vor, das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) rechnet für 2020 jedoch mit wenig mehr als 17.000 Unternehmensinsolvenzen. Es wäre ein neuer Tiefststand.

Das liegt zum einen daran, dass die Bundesregierung im März 2020 die strengen Meldepflichten für Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung aussetzte. "Dadurch wollte man verhindern, dass Unternehmen, die durch die Pandemie und den Lockdown in Schieflage geraten sind und kurzfristige Zahlungsprobleme haben, deswegen sofort Insolvenz anmelden müssen", erklärt Klaus-Heiner Röhl vom IW, der sich seit vielen Jahren mit Insolvenzen beschäftigt. Seit Oktober gilt die Pflicht zumindest bei Zahlungsunfähigkeit wieder, trotzdem gab es bisher keinen sprunghaften Anstieg.

Röhl vermutet, dass viele kleine und mittlere Unternehmen noch gar nicht mitbekommen haben, dass die Antragspflicht größtenteils wieder gilt. Ein weiterer Grund für die überraschend niedrigen Zahlen könnte sein, dass die Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung gut gewirkt und viele Unternehmen vor der Pleite bewahrt haben.

Das denkt etwa Oliver Damerius, Rechtsanwalt bei der auf Sanierungsfälle spezialisierten Kanzlei BBL. Er berät auch Sawade bei der Restrukturierung. "Die meisten meiner Mandanten haben Geld bekommen, und wir konnten sie retten", sagt er. Wieso gerade Sawade durchs Raster fiel, davon wird später noch die Rede sein. Die Klagen, dass versprochene Hilfen nicht oder zu spät ankämen, beträfen häufig kleine Unternehmen aus dem Kunst- und Kulturbereich sowie Soloselbstständige, meint Damerius. Er berät Mittelständler ab 20 Mitarbeitern und sagt: "Aus meiner Praxis kann ich sagen, dass vielen geholfen wurde."

Wie es 2021 weitergehen wird, lässt sich nur schwer vorhersagen. Experten sind sich jedoch einig, dass es dieses Jahr mehr Insolvenzen geben wird. Röhl etwa rechnet mit einem Nachholeffekt und über 23.000 Unternehmensinsolvenzen für 2021. Die Riesenwelle wäre auch das nicht: 2019, also vor der Pandemie, gab es in Deutschland rund 18.700 Unternehmensinsolvenzen. Im Finanzkrisenjahr 2009 waren es 33.000.

Diese Zahlen verraten allerdings nicht, wie viele Gastronomen ihre Restaurants für immer dichtmachen. Sie tauchen in dieser Statistik nicht auf, weil sie eine andere Rechtsform haben und deswegen einfach aufgeben können. "Weniger als ein Zehntel der schließenden Unternehmen meldet Insolvenz an", sagt Röhl. Zudem geht nicht jede Pleite allein auf die Pandemie zurück. "Seit März ist Corona bei jeder Insolvenz als Grund vorgeschoben worden", sagt der Rechtsanwalt Torsten Martini, der Sawade auch durch die zweite Insolvenz begleitet hat. "Unternehmen wie Galeria Karstadt Kaufhof oder Vapiano hatten schon vorher erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten." Corona sei hier nur der letzte Auslöser für die Antragstellung gewesen.

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