Noch immer sind sie eine Ausnahme: mittelständische Unternehmen, die von einer Frau geführt werden. Noch seltener kommt es vor, dass die Führung von der Mutter an die Tochter übergeben wird. So wie beim Mittelständler Pilz Automation aus Ostfildern, der auf Sicherheitstechnik spezialisiert ist und beispielsweise Schalter und Sensoren herstellt, die Maschinen automatisch steuern. Als ihr Mann Peter 1975 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam, übernahm Renate Pilz die Geschicke der Familienfirma - erst alleine, dann mit ihrer Tochter Susanne Kunschert. Ende 2017 übergab sie die Führung ganz an ihre Tochter und deren Bruder Thomas Pilz.
Nun muss die Familie ihr Unternehmen durch eine Krise führen, die schon vor Ausbruch der Corona-Pandemie begonnen hat. Wie geht die Familie durch diese Zeit, wie helfen Mutter und Tochter einander - und warum spielt der Glaube für die Technologiepioniere eine so wichtige Rolle? Das Gespräch mit der 79-jährigen Renate Pilz und ihrer 48-jährigen Tochter Susanne findet am Firmensitz in Ostfildern statt; von einem Bild neben der Tür blickt der Firmengründer Peter Pilz zuversichtlich in die Runde.
ZEIT für Unternehmer: Frau Pilz, vor zwei Jahren haben Sie die Leitung Ihres Familienunternehmens an Ihre Kinder übergeben. Vielen Unternehmern fällt das Loslassen schwer. Wie fühlt es sich für Sie an, heute hier zu sein?
Renate Pilz: Es ist ein schönes Gefühl. Ich bin sehr dankbar, dass beide Kinder bereit gewesen sind, das Unternehmen zu führen. Aber natürlich ist auch Wehmut dabei. Ich habe lange mit den Menschen hier zusammengearbeitet, da entsteht eine starke Bindung.
ZEIT für Unternehmer: Mancher Patriarch kommt nach der Übergabe weiter täglich ins Büro und mischt sich ein. Wie oft sind Sie noch in der Firma?
Pilz: Vielleicht einmal im Monat.
Susanne Kunschert: Und auch wenn meine Mutter nicht in der Firma ist, ist sie bei Fragen immer für uns da. Ich rufe sie häufig an.
ZEIT für Unternehmer: Wann haben Sie sich zuletzt Rat geholt?
Kunschert: Vor drei Tagen habe ich sie zur Einführung eines neuen Produkts befragt, dessen Entwicklung sie noch angestoßen hat. Ich rede mit ihr über Personalfragen genauso wie über Zukunftsthemen. Sie ist hochinformiert und hat einen wachen Geist.
"Viele Kinder zerbrechen daran, in eine Rolle gezwungen zu werden. Ich bin sehr froh, dass ich selbst entscheiden durfte." Susanne Kunschert, Unternehmerin
ZEIT für Unternehmer: Das klingt, als sei Ihre Mutter ein Vorbild für Sie. Wollten Sie schon als Kind in ihre Fußstapfen treten?
Kunschert: Meine Mutter ist ein Vorbild für mich. In ihre Fußstapfen trete ich jedoch nicht. Denn: Wer in die Fußstapfen anderer tritt, hinterlässt keine eigenen. So hat es Wilhelm Busch formuliert.
ZEIT für Unternehmer: War Ihr Weg vorgezeichnet?
Kunschert: Nein. Meine Mutter hat mich nicht mit dem Pilz-Stempel ins Leben geschickt. Sie hat mir alle Freiheiten gelassen und klargemacht, dass ich meinen eigenen Weg finden muss, um ein glückliches Leben zu führen. Viele Kinder zerbrechen daran, in eine Rolle gezwungen zu werden. Ich bin sehr froh, dass ich selbst entscheiden durfte.
Pilz: Ich habe nie darauf hingearbeitet, dass du in die Firma einsteigst. Wichtig war mir eine werteorientierte Erziehung im Glauben.
ZEIT für Unternehmer: Frau Kunschert, Sie haben dann BWL studiert und sind nach einer Zeit beim Maschinenbauer Dürr bei der Wirtschaftsprüfung Ernst & Young gelandet, wo es viel um materielle Zwänge geht und weniger um christliche Werte. Waren diese Stationen ein Umweg?
Kunschert: Nein, im Gegenteil. In beiden Unternehmen durfte ich sehr viel lernen, wofür ich sehr dankbar bin. Bei Ernst & Young etwa, wie faszinierend Zahlen sind. Und welche Dynamiken in Teams entstehen können. Davon profitiere ich heute sehr.
ZEIT für Unternehmer: Warum sind Sie am Ende doch im Familienunternehmen gelandet?
Kunschert: Ich überlasse meinen Weg Gottes Führung. Manche Türen schließen sich, andere gehen auf.
Umsatz erzielte Pilz im Jahr 2018. Das war ein Anstieg von etwa zwei Prozent gegenüber dem Jahr zuvor.
ZEIT für Unternehmer: Oder lag es auch daran, dass die Firma bei jedem Essen mit am Tisch gesessen hat?
Pilz: Das gab es nie.
Kunschert: Aber ich habe natürlich wahrgenommen, wie ernst meine Mutter ihre Verantwortung für die Firma genommen hat. Wenn sie uns ins Bett gebracht hatte, hat sie sich an den Schreibtisch gesetzt, über Bücher gebeugt und gelernt und gearbeitet.
ZEIT für Unternehmer: Frau Pilz, Ihr Mann Peter starb 1975 bei einem Flugzeugabsturz. Sie waren 35 Jahre alt und von einem Tag auf den anderen für das Unternehmen verantwortlich.
Pilz: Das war eine sehr schmerzhafte Zeit. Den Mann zu verlieren tut sehr weh. Ich habe versucht, das Beste zu tun - für unsere gemeinsamen Kinder und das Unternehmen.
ZEIT für Unternehmer: Ihnen wurde damals geraten, das Unternehmen zu verkaufen.
Pilz: Das war ein vernünftiger Rat. Aber es kam für mich nicht infrage. Mein Mann war ein Pionier und Unternehmer mit Begeisterung und Herzblut. Für mich lebte er weiter in dem, was er geschaffen hat. Ich konnte das nicht einfach weggeben.
ZEIT für Unternehmer: Sie waren damals Hausfrau und Mutter. Frauen an der Firmenspitze waren noch seltener, als sie es heute sind. Wieso haben Sie sich diese Aufgabe zugetraut?
Pilz: Ich wollte es wenigstens versuchen. Ich habe immer so lange gefragt, bis ich so viel wusste, dass ich verantwortlich entscheiden konnte. Die Mitarbeiter haben zu mir gehalten, mich ernst genommen und sind mir mit Respekt begegnet. Für mich ist daraus eine Verpflichtung entstanden: Ich wollte das Unternehmen auch für sie erhalten.