Selbstversuch im Pflegeheim Schutz vor Keimen, doch den Tod immer vor Augen
An ihrem letzten Tag im Pflegeheim zieht unsere Reporterin ein Fazit ihres Selbstversuchs: Ja, alte oder demente Menschen zu versorgen, macht auch glücklich. Und ja, der Job kann auch richtig anstrengend sein - allerdings auf andere Weise als erwartet.
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Mein fünfter Tag"Geh doch mal in den Wohnbereich 2", sagten die Pfleger in den vergangenen Tagen immer wieder zu mir. Dort sei es, was die psychische Belastung angehe, noch um einiges härter als in dem Wohnbereich, in dem ich in dieser Woche bisher mitgearbeitet habe. Der Grund: In Wohnbereich 2 wohnen fast ausschließlich demente Menschen.
Und tatsächlich: Als ich heute in den Wohnbereich 2 gehe, bemerke ich eine ganz andere Atmosphäre. Immer wieder höre ich Schreie aus den Zimmern. Auf dem Gang kommt mir ein Mann mit heruntergelassener Hose entgegen. Ein anderer Mann spricht beim Vorbeigehen alle Menschen auf Spanisch an - das denkt er zumindest. Eigentlich ist es eine Mischung aus spanischen Wortfetzen und einer erfundenen Sprache.
Hilfskraft Safae C. und ich möchten einem der dementen Bewohner den Oberkörper waschen, als dieser zu schreien anfängt. "Du bist doch gekauft", schreit er Safae C. an, "du bist doch nur dafür da, mich auszuspionieren." Safae C. wäscht daraufhin nicht den Oberkörper des Mannes, da er es nicht möchte. Seinen Intimbereich darf sie aber reinigen, doch auch dabei schreit er sehr laut.
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Darum mache ich den SelbstversuchDie Altenpflege hat ein schlechtes Image. Viele Menschen stellen sich die Arbeitsbedingungen eines Altenpflegers unattraktiv vor: körperlich anstrengend, unterbezahlt und mit unflexiblen Arbeitszeiten. Es gibt viel zu wenige Pfleger. Aber wie hart und stressig ist die Arbeit eines Altenpflegers wirklich? Welche schönen Seiten hat der Beruf? Das möchte ich in einem Selbstversuch im Julie-Roger-Haus in Frankfurt herausfinden. Fünf Tage lang werde ich dort als Pflegehelferin mitarbeiten. Mir ist klar, dass ich keine allgemein gültigen Aussagen treffen kann und ich in dieser Zeit nur einen Eindruck bekomme - aber immerhin.
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Bei einer infizierten BewohnerinVor, nach und manchmal auch während der Pflege sollen sich Pfleger immer die Hände desinfizieren. Das kam mir oft sehr nervig vor, ist aber wirklich wichtig. Heute betrete ich mit zwei Pflegerinnen das Zimmer einer Bewohnerin, die mit dem Bakterium Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus (MRSA) infiziert ist.
Der Keim ist gegen Antibiotika resistent und vor allem für alte Menschen und Kinder mit einem schwachen Immunsystem gefährlich. Im schlimmsten Falle kann er zum Tod führen. Um uns nicht zu infizieren und die Keime nicht weiterzutragen, tragen wir einen Schutzanzug, Mundschutz und Handschuhe.
Erst einen Tag zuvor war die Bewohnerin aus dem Krankenhaus gekommen. Dort hat sie sich mit dem Bakterium infiziert. Sie liegt auf ihrem Bett, und ich habe das Gefühl, dass sie auf mich nicht so freundlich reagiert. Sie starrt mich an und lächelt nicht - vermutlich weil ich ihr fremd bin und sie vielleicht denkt, dass ich nur zum Gaffen hergekommen bin. Streng genommen stimmt das ja auch.
Die Pflegerinnen waschen die Frau und desinfizieren danach nochmals den Raum. Dabei sprechen sie nicht mehr mit der Bewohnerin. Das Zimmer ist sehr karg eingerichtet, nur zwei Kalender und zwei Schwarzweißbilder hängen an der Wand.
"Zum Glück haben wir nur eine davon", sagt eine Pflegerin über die infizierte Frau, noch während sie im Zimmer ist - und ich bin mir sicher, dass sie es mitbekommt. Allein unsere Schutzkleidung und der karge Raum müssen ihr Unbehagen bereiten. Auch ich fühle mich unwohl, fühle mich, als würde die Bewohnerin gar nicht wollen, dass ich hier bin.
Die Pfleger gehen auf die Biografie der Bewohner einWas ich an dem Pflegeheim sehr zu schätzen gelernt habe, ist, dass das Pflegeheim auf die Biografien der Bewohner eingeht. So informieren Pfleger sich über ihre Vorlieben und Ängste, Begegnungen und Ereignisse aus ihrem früheren Leben. Sie passen ihre Pflege darauf an.
"Eine Bewohnerin ließ sich an Silvester zum Beispiel erst dann ausziehen und ihr Nachthemd überziehen, nachdem das Feuerwerk vorbei war", erzählt mir eine Pflegerin. Das Feuerwerk hörte sich für die Bewohnerin an wie Bomben und Explosionen. Die 95-Jährige erinnert sich noch stark an die Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg. Daher wollte sie auf eine mögliche Flucht vorbereitet sein. Also trug sie kein Nachthemd, bis die vermeintliche Gefahr vorbei war.
Ein anderes Beispiel ist eine Frau, mit der die Pfleger immer mit einem gekünstelten rumänischen Akzent sprechen. Zunächst dachte ich, die Pfleger machten sich über sie lustig. Doch auf diese Weise würden sie die gebürtige Rumänin besser erreichen, sagt Pfleger Franco Del Prete. Sie sei diesen Akzent so sehr gewohnt, dass sie darauf eher antworte, als wenn man mit ihr normal spreche.
Fazit des SelbstversuchsWie hart ist die Arbeit eines Altenpflegers tatsächlich? Und welche schönen Seiten hat der Beruf? Das waren die großen Fragen, die ich mit meinem Selbstversuch beantworten wollte. Schöne Seiten hat der Beruf sicherlich.
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Die ersten Tage im PflegeheimEnde der weiteren Informationen
"Das Schönste ist, wenn ein Bewohner nach der Pflege einfach danke sagt und lächelt", sagt die Hilfskraft Safae C. Auch ich habe diese schönen Seiten kennengelernt. Ich habe mit einigen Bewohnern gesprochen, mit ihnen gescherzt, sie näher kennengelernt. Es gab einige, die mich immer wieder anlächelten, mir dankten, wenn ich ihnen auch nur eine kleine Hilfe leistete. Diese Momente waren sehr wertvoll für mich.
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Gleichzeitig haben mir die fünf Tage im Pflegeheim gezeigt, dass die körperliche Anstrengung nicht unbedingt die größte Herausforderung darstellt. Klar ist es anstrengend, alte Menschen beispielsweise in den Rollstuhl zu heben oder ihre schweren Beine beim Waschen anzuheben. Viel mehr sehe ich aber die psychische Belastung als Herausforderung an. "Ich denke täglich über den Tod nach und wie ich sterben werde", sagt Pfleger Franco Del Prete.
Täglich arbeiten Pfleger mit Menschen zusammen, deren körperliche und geistige Kräfte schwinden. Täglich sehen sie, wie ein Mensch vor ein paar Wochen noch laufen konnte und jetzt auf einmal nicht mal mehr die Kraft hat, ein Bein anzuheben. Täglich sind sie mit dem Sterben von Menschen konfrontiert, die genauso vital waren, wie wir es noch sind. "Der Tod ist sicher, das Leben nicht", steht auf Englisch auf dem Unterarm des Pflegers Franco Del Prete. Ich finde den Spruch ganz passend.