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Das Geisterhaus wird zum Geisteshaus

Zwei Häuser, die eigentlich tot sein sollten, aber stattdessen wachsen, leben und gedeihen? Gibt es! An der Stadtgrenze Nürnberg-Fürth befindet sich hinter der unscheinbaren Fassade eines verlassenen Gebäudes aus den 50ern der künstlerische Organismus des Borgo Ensembles um Reiner Bergmann. Und das lädt im Rahmen der Ausstellung „Womöglich" ein, auf Erkundungstour zu gehen.


„Das Borgo Ensemble ist ein freies Künstlerkollektiv. Und das ganze Haus hier ist das Ensemble", beschreibt der Nürnberger Künstler Reiner Bergmann seine Wohn- und Schaffensstätte. Seit drei Jahren lebt und arbeitet der 63-Jährige im Erdgeschoss des von Bernd Pillhofer zur Verfügung gestellten Komplexes. „Eine Art Salon" habe sich seitdem etabliert, in dem „Kunstschaffende und Freunde gemeinsam Atmosphäre schaffen." Gemeinschaftliche Verweilorte gibt es, dazu Fotolabore, Werkstätten, ein kleines Heimkino, ein Musikzimmer - in dem „künstlerische und menschliche Interaktion stattfindet." Und diese Interaktion wird nun auf das komplette Gebäude, auf alle Etagen, jeden Raum ausgeweitet. Über 65 Künstlerinnen und Künstler nutzen anlässlich „Womöglich" die Gelegenheit, in den verlassenen Wohnungen und Büroräumen „eine außergewöhnliche Form der Kunstdarbietung zu praktizieren." Jedes Zimmer, jede Treppe wird hergenommen, um lebendige Darstellungen entstehen zu lassen, die „auf die jeweilige Situation der Räume reagieren" - ohne Strom, Wasser oder Heizung, denn die Leitungen des alten Hauses sind längst stillgelegt.

Wie in einem Labyrinth begibt man sich durch die unzähligen Zimmer auf eine verwirrende, spannende Reise, die zur „Entdeckung der eigenen Vergangenheit" geraten kann, wie Bergmann meint. „Ich habe den Leuten gesagt: Ich hab da einen Raum, vielleicht wär der was für dich, schau's dir doch mal an", erklärt er die Aufteilung der Kunstwerke. Und so hat sich jeder den Ort gesucht, der ihm für sein Schaffen am geeignetsten erschien. Und hat hineinimprovisiert. Die Zimmer sind teils leergeräumt, staubig, dreckig, teils picobello in Schuss und sogar noch eingerichtet. Drumherum: Bilder direkt auf die Wand gemalt wie Peter Angermanns „Licht am Horizont", Fotos und Gemälde verschiedenster Stilrichtungen wie die verspielten Dämonen von Anke Hellmich, mitten ins Zimmer gepflanzte Häuslein oder wie beiläufig abgestellte Koffer aus Beton.

Miniatur-Szenen gibt es oder große wie die „Wandernde Schweineherde" Heinz Thurns, die sich auf den Treppen tummelt. „13 dunkle Kammern" hat sich Günther Derleth eingerichtet, Katja von Puttkamer die „Horten-Fassade" in die hiesige Küche umgepflanzt, während Norman Gevekoth noch nicht ganz sicher ist, wie er seine Sammlung von Fotos („Schönes neben Hässlichem") am besten an die Wand bringt und nebenan zwei riesige Portraits auf Papier darauf warten, an die Decke verfrachtet zu werden. Vor lauter Staunen und Gucken und Entdecken (hier und da ist gar nicht sicher, ob das, was man sieht, zur alten Einrichtung gehört, eine neue Installation ist oder eine Kombination aus beidem) verliert man flugs die Orientierung, verlässt die Räume anders, als man sie betreten hat und entdeckt immer wieder neue Präsentationen, zum Beispiel mit Hühnerställen und Airbagkleidern. „Das ist kein Geisterhaus - das ist ein Geisteshaus", sagt Bergmann schmunzelnd. Angst, verlorenzugehen, muss niemand haben: Alles lebt, alles werkelt, wuselt, schafft - und in den Treppenhäusern weisen Zettel den Weg durch die beiden Häuser mit je vier Etagen. „Spätestens jetzt ist das Haus viel zu schade, um es abzureißen", meint Bergmann. Überzeugen Sie sich! Ausstellung „Womöglich" in der Nürnberger Straße 159/161, Öffnungszeiten: Sa. 12.10. und So. 13.10. von 15 bis 19 Uhr, Sa. 19.10. von 16 bis 21 Uhr und So. 20.10. von 11 bis 19 Uhr.

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